Folgen des Klimawandels
Wie Bauern in Äthiopien dem Klimawandel trotzen
Im äthiopischen Hochland lässt der Klimawandel die Regenzeiten für die Bauern zunehmend zur Glückssache werden. Mal fällt der Regen ganz aus, mal kommt er später als erwartet oder hört viel zu früh wieder auf. Dann wieder bricht Frost herein und macht ganze Ernten zunichte. Anpassung an den Klimawandel ist für die lokale Bevölkerung eine Frage des Überlebens. Im Distrikt Legambo hilft die Mekane Yesus Kirche Bauernfamilien, ihre Lebensgrundlagen zu wahren.
Nur der Kopf schaut oben heraus, so tief muss Seye Ahmed in den Brunnenschacht klettern, um ihre Gießkanne zu füllen. Der Klimawandel ist auch im äthiopischen Hochland deutlich zu spüren. Obwohl gerade Regenzeit herrscht, ist der Pegel des Grundwasser gespeisten Flachbrunnens niedrig. Es reicht so eben, den Gemüsegarten zu bewässern, den Seye und ihr Mann She Ali Abebe vor einem Jahr angelegt haben. Kohl, Spinat, Zwiebeln und Möhren wachsen in gepflegten Beeten hinter dem Holzzaun. Den Brunnen hat ihr Mann mit Unterstützung der lokalen Partner gegraben und gemauert. Von denen haben sie auch die Gemüsesamen erhalten. „Was wir und die Kinder nicht selbst essen, verkaufen wir auf dem Markt“, sagt Seye. – Ein wichtiges Einkommen für die fünfköpfige Familie.
Teufelskreis aus Dürre und Armut
„Die Menschen hier im Hochland hängen völlig von den Erträgen ihrer Felder und der Viehhaltung ab“, erklärt Endeshaw Kassa, Projektleiter der Mekane Yesus Kirche. „Fällt der Regen aus, verlieren sie ihre Ernten oder müssen ihre Tiere verkaufen, um zu überleben.“ Die meisten Bauern bewirtschaften nur kleine weit verstreute und zudem oft degradierte Flächen in bis zu 3.000 Metern Höhe, auf denen nur wenig wächst. Nur wenige besitzen einen Ochsen oder Esel, um ihre Äcker zu bearbeiten. Meist reicht die Ernte gerade, um die Familien für einige Monate zu versorgen. Fast zwei Drittel der Bevölkerung in der Region leiden vier bis sechs Monate im Jahr an Nahrungsmittelknappheit. „Früher gab es hier zwei Regenzeiten im Jahr“, sagt Kassa. „Den kleinen Regen von Februar bis Juni und die Hauptregenzeit von Juli bis Ende September.“ Doch seit einigen Jahren werden die Niederschläge immer unberechenbarer, die Dürrezeiten immer länger. Durch die steigenden Durchschnittstemperaturen machen sich zudem immer mehr Pflanzenkrankheiten breit. Eine weitere Gefahr ist der Frost. Schon ab Oktober können die Temperaturen unter den Gefrierpunkt sinken und die Ernten zerstören. In der Folge können viele Familien ihre Kinder nicht ausreichend ernähren, ihr Vieh nicht mehr füttern. Um die Lücken zu überbrücken, müssen sie Tiere verkaufen oder ihr Farmland verpachten, damit sie Essen oder neues Saatgut kaufen können. Für viele der erste Schritt in den Kreislauf aus Schulden und Armut.
Was das Leuchtturmprojekt erreichen will
Ein wichtiges Anliegen des Leuchtturmprojekts ist daher, die Produktion zu diversifizieren und an die veränderten Klimabedingungen anzupassen und zugleich alternative Einkommensquellen zu schaffen. Die Flachbrunnen und der Gemüseanbau sind nur einer von vielen Ansätzen. „Mit einer einzigen Form von Unterstützung kann man die Lebensbedingungen der Menschen nicht verändern”, erklärt Endeshaw Kassa. „Wir bieten daher ein Bündel verschiedener Aktivitäten für die am stärksten gefährdeten Familien an.” Dazu gehört auch der Anbau einer alten einheimischen Weizensorte, die durch andere Sorten verdrängt worden war. Die Sorte übersteht nicht nur Frost und Trockenheit, sondern ist zudem hoch produktiv. Die Ausgabe des Saatguts erfolgt auf Kreditbasis.
Nach der Ernte geben die Empfänger das Saatgut zurück, damit es weiteren Familien zugute kommt. Einer von ihnen ist der 18-jährige Seid Abebe. Wie viele Jugendliche besitzt er selbst kein Land, sondern bestellt zusammen mit seinem Bruder das Feld seines alten Vaters. In seinem Brasilientrikot sieht der schlaksige Teenager nicht gerade aus wie ein klassischer Bauer, doch er kennt sich aus. Von den 50 Kilo Weizen, die die beiden Brüder vor zwei Monaten ausgesät haben, erwartet er rund 800 Kilo als Ertrag. Abzüglich des zurückzuzahlenden Saatguts bleibt den beiden ein stattlicher Überschuss, den sie auf dem Markt verkaufen wollen, sowie genug Saatgut für die nächste Saison. Im Dezember hoffen die Jugendlichen ernten zu können. Dank des resistenten Weizens müssen sie nicht mehr fürchten, die Ernte durch den Frost zu verlieren.
Die Schwächsten stehen im Mittelpunkt
Mehr als 4.200 Haushalte in vier Gemeinden des Legambo-Distrikts haben die Mitarbeiter der Mekane Yesus Kirche zu Beginn des Projekts befragt. Am Ende der Risikoanalyse stand eine Liste, die die Anfälligkeit und Lebensumstände jeder einzelnen Familie erfasst. 905 wurden als besonders anfällig eingestuft. „Die Risikoanalyse ermöglicht es uns, gezielt jene Familien zu unterstützen, die am stärksten gefährdet sind und über die geringsten Ressourcen verfügen“, erklärt der Projektkoordinator. Im zweiten Schritt analysierte das Team, über welche Möglichkeiten und Mittel jede einzelne Familie verfügt – ob etwa Ackerflächen oder Weiden zur Viehhaltung vorhanden sind, wie viele Mitglieder der Familie arbeitsfähig sind, oder ob eine Wasserstelle in der Nähe ist, die sich zur Bewässerung eignet. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse wurden gemeinsam mit den Betroffenen und Fachleuten die passenden Aktivitäten ausgewählt.
Förderung für Frauen
Einige davon richten sich speziell an Frauen. Viele von ihnen müssen sich allein um Kinder, Haus und Felder kümmern, weil ihre Männer auf der Suche nach Arbeit in die Städte abgewandert sind. In mehr als 60 lokalen Selbsthilfegruppen kommen jede Woche bis zu 20 Frauen zusammen, um gemeinsam Lösungen für ihren schwierigen Alltag zu entwickeln. Neben Diskussionen zu Themen wie Gesundheit, Familienplanung und Klimawandel dienen die Gruppen vor allem als Sparvereine. Alle haben gemeinsame Sparkonten angelegt, auf die sie regelmäßig kleine Beiträge einzahlen. Bei Bedarf können sich die Mitglieder Geld leihen, um beispielsweise Vieh oder Saatgut zu kaufen oder Notlagen zu überbrücken. Aber auch für gemeinsame Anschaffungen wie einen Ochsen zum Pflügen wird gespart.
Eine der wichtigsten Errungenschaften der Gruppen ist die Verbreitung energiesparender Öfen. Je zehn Frauen lernen in Workshops, die Öfen aus Lehm, Stroh und Sand herzustellen, und geben ihr Wissen anschließend an den Rest der Gruppe weiter. Die Formen für die Lehmöfen wandern von Haus zu Haus. „Es qualmt viel weniger“, sagt Lubaba Ebre aus Chulke und zeigt, stolz den selbstgebauten Ofen, von dem ein Abzugsrohr nach draußen führt. 30-40 Teigfladen backt die 40-jährige Mutter jeden Tag für ihre Familie. Doch nicht nur ihre Gesundheit wird geschont. Die Öfen brauchen auch nur knapp die Hälfte an Holz oder Kuhfladen zum Befeuern. Mit dem übrigen Kuhmist können die Familien den Boden düngen. Einige Frauen haben zudem Solarmodule erhalten, mit denen sie Lampen und Mobiltelefone aufladen können. Ausgewählt wurden nur Familien mit schulpflichtigen Kindern. Das Licht ermöglicht es den Kindern, am Abend ihre Hausaufgaben zu machen. „Knapp sechs Stunden Sonne am Tag reichen, die Lampe zu laden“ erzählt Lubaba. Früher musste sie Kerosin kaufen, um Licht zu haben. Dank der Solarkraft spart sie nun jede Woche rund 20 Birr, also etwa 1 Euro.
Das Dorf der Optimisten
Übernutzung und Abholzung sind neben Dürre und Starkregen die Hauptursachen für die fortschreitende Degradierung und Erosion im äthiopischen Hochland. „Der Hang hier war regelrecht tot“, sagt Yimer Mussa aus Chulke und zeigt auf den Steilhang am Rande des Dorfs. Mehrere hundert Meter tief fällt das Gelände steil herab ins Tal, durchzogen von bunten Blumen und zartem Grün. „Hier wuchs nichts mehr“, sagt Mussa. Jahrelang hatten die Bewohner ihr Vieh auf dem Hang grasen lassen, Bäume als Brennholz und zum Bau ihrer Hütten abgeholzt. Bei jedem Regen wurden weitere Erdschichten abgetragen, bis nur noch nackter Fels übrig war. Das wertvolle Nass rauschte ungebremst und ungenutzt ins Tal.
In schweißtreibender Gemeinschaftsarbeit haben die Bewohner von Chulke vor einem Jahr begonnen, Terrassen und Steinwälle anzulegen, damit die Fläche nicht weiter degradiert. Dahinter wurde Erde angehäuft und mit Setzlingen des Luzernenbaums bepflanzt. Die Baumart speichert nicht nur Stickstoff und versorgt den Boden mit Nährstoffen. Die Blätter der Luzerne liefern zudem wertvolles Viehfutter. Ebenso wie das Fistuka-Gras, das in Büscheln angepflanzt wurde. Mehr als 95 Prozent der Setzlinge seien angegangen, berichtet Mussa stolz. Die dahinter gezogenen Gräben fangen bei Regen das Wasser auf, so dass es langsam ins Erdreich sickern kann. „Das ganze Dorf macht mit“, erzählt Mussa. Als Vorarbeiter leitet er die Arbeitskräfte an, die Terrassen und Mikrobecken zu bauen, zu bepflanzen und zu pflegen. Zudem haben sich alle Bewohner verpflichtet, keine Tiere mehr in der Rehabilitationszone weiden zu lassen. Im Gegenzug dürfen sie, wenn die Vegetation weit genug gediehen ist, Zweige und Gräser schneiden und an ihr Vieh verfüttern. Noch sind die Bäumchen winzig, die Gräser dünn. Doch in wenigen Jahren schon, so die Hoffnung der Dorfbewohner, wird der braune Hang wieder grün sein.
Verbesserung der Anbaubedingungen
Ähnliche Rehabilitationsprojekte zur Verbesserung der Bodenqualität und des Wasserhaushalts, haben die Partner in allen vier Gemeinden des Leuchtturmgebiets gestartet. In Dereba wurden Bauern, die bis dahin in den Steillagen vor allem Linsen und Erbsen anbauten, überzeugt, den Anbau einzustellen und das Land in eine Schutzzone umzuwandeln. Als Entschädigung für die entgangenen Erträge haben sie Nutztiere erhalten – je nach Größe der jeweiligen Fläche bis zu fünf Schafe. Zehn Bauern mit vier bis fünf Hektar Land beteiligen sich daran. Bauer Ebrie Seid ist begeistert. „Es war zwar harte Arbeit, die Terrassen in dieser Höhe anzulegen“, räumt der 60-Jährige ein. Doch das Grün, das auf dem Hang heranwächst, gebe hervorragendes Futter für die Schafe. Die ersten Lämmer hat Seid bereits verkauft und gegen einen Ochsen getauscht. Auch das Schulgeld für seine Kinder konnte er vom Verkauf bezahlen. „Schon im ersten Jahr hat sich die Vegetation sichtlich verändert und erholt“, sagt Endeshaw Kassa. Der gelernte Forstwirt wirbt inzwischen auch bei der Regierung für den Ansatz. „Vertreter vom Landwirtschaftsministerium haben sich die Schutzzonen angesehen, um davon zu lernen“, so Kassa. – Ganz im Sinne der Leuchtturmidee.
Material zum Mitnehmen

Im Fokus Klimawandel
Das Heft stellt auf 36 Seiten die gemeinsamen „Leuchtturmprojekte“ von Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe zur Katastrophenvorsorge und Klimaanpassung vor.
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