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Ciudad Juárez: im Schatten von Trumps Hetzjagd

Die US-Regierung macht Jagd auf Migrant*innen, entzieht auf einen Schlag 500.000 Geflüchteten den Aufenthaltstitel und inszeniert brutale Abschiebeaktionen. Was bedeutet das für die Menschen, die derzeit an der mexikanischen Nordgrenze ausharren? Ein Besuch bei unserer Partnerorganisation DHIA in der Grenzstadt Juárez.

Von Dr. Andreas Grünewald am
Grenzzaun in der Wüste bei Ciudad Juarez

Grenzzaun in der Wüste bei Ciudad Juarez

„Andreas, du weinst ja schon wieder.“ Blanca Navarrete, die Leiterin unserer Partnerorganisation DHIA, blickt mich lächelnd an, während Pfarrer Francisco González, Leiter der Migrant*innenherberge Vida, von seinem Arbeitsalltag erzählt. Ciudad Juárez ist eine Stadt der Extreme. Gewalt und Nächstenliebe, Ausgrenzung und Solidarität, geplatzte Träume und neue Hoffnung – das alles liegt in der Wüstenstadt an der mexikanischen Nordgrenze so nah beieinander, dass meine Emotionen während meines Besuchs eine ordentliche Achterbahnfahrt hinlegen.

Juárez: Eine Stadt mit tiefen Wunden

Da ist zum einen die Lage der Stadt: der zehn Meter hohe Grenzzaun, der sich wie eine schlecht geflickte Wunde durch die Stadt zieht, und hinter dessen Stacheldrahtspulen sich die kleine Skyline der US-amerikanischen Stadt El Paso erhebt. US-amerikanische Staatsbürger spazieren zum Shoppen und billigen Trinken über die Grenze. Schutzsuchenden ist der gegenläufige Weg in die (vermeintliche) Sicherheit versperrt. Die Hoffnungen der Migrant*innen und Geflüchteten aus Mexiko, Venezuela, Haiti und vieler anderer Staaten, in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu gelangen, sind mit dem Amtsantritt von Trump in der Hitze von Juárez (42 Grad im Schatten!) verdampft. Der sichtbare Zuzug von Migrant*innen, der schon im letzten Jahr der Präsidentschaft Bidens deutlich abgenommen hat, ist unter Trump völlig zum Stillstand gekommen. Das Glück, nach dem die Migrant*innen streben, ist in Juárez zum Greifen nahe – und bleibt doch unerreichbar.

Migrant*innen in Juarez: gefangen zwischen Kartellen und Grenzpolitik

Zugleich sind die Migrant*innen, die sich noch in Juárez befinden, den kriminellen Kartellen ausgelieferter denn je. Ohne Schleuser, die die gesamte Grenzregion kontrollieren, gibt es jetzt erst recht kein Durchkommen mehr. Vor allem aber haben die Kartelle ihr Geschäft angepasst. Da das Schleusen weniger Geld abwirft, ist die Zahl der Entführungen stark angestiegen – und brutaler geworden. Betroffen davon sind nicht nur Migrant*innen. Auch Einwohner der Stadt Juárez werden seit Beginn des Jahres vermehrt entführt, um Geld von deren Familien zu erpressen. Juárez – einst die gefährlichste Stadt Mexikos – ist mit dem Amtsantritt Trumps in einer neuen Gewaltspirale gefangen. 440 Menschen wurden hier seit Jahresbeginn ermordet.

„Ich will nicht, dass meine Kinder mit so viel Gewalt aufwachsen. Ich möchte hier nur noch weg“, seufzt James Young, der das Büro des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Juárez vier Jahre lang geleitet hat und kurz vor dem Absprung ist. Bevor er seine langjährigen Mitstreiter*innen Blanca und Diana Solis von DHIA in seinem Büro verabschiedet, will er aber noch was loswerden – und hat seine Gefühle dabei auch nur mehr schwer unter Kontrolle: „Ich bewundere die Arbeit von DHIA sehr. Ohne eure Unterstützung hätten wir in hier viel weniger erreicht. Aber ihr lebt gefährlich. Passt bitte auf euch auf.“

Der lange Schatten von Trumps Angstregime

Wenig später sind wir wieder in der Herberge Vida. DHIA unterstützt Herbergen, die von der Kirche betrieben werden, unter anderem dabei, die Qualität der Unterbringung zu erhöhen. „In den letzten Jahren hat es einen Wildwuchs bei den Herbergen gegeben“, berichtet Blanca. „Immer wieder kam es dabei auch zur Ausbeutung von Migrant*innen. Wir arbeiten daran, klare rechtliche Rahmenbedingungen und Mindeststandards für die Herbergen zu entwickeln.“ Dies ist aber bei weitem nicht die einzige Herausforderung, vor der die Herbergen derzeit stehen. Die Belegung ist stark gesunken, von durchschnittlich 95 Prozent im Jahr 2023 auf 50 (2024) und aktuell 30 Prozent. Viele gestrandete Migrant*innen bewegen sich nun wieder Richtung Süden – oder meiden die Herbergen, um unerkannt zu bleiben. Wer bleibt, sind die Schwächsten.

Wie es weitergeht, ist völlig unklar. Wird die Migrationsroute Richtung USA für länger blockiert bleiben? Wie unterstützt man die verbleibenden Migrant*innen längerfristig – vor allem die mexikanischen Binnenflüchtlinge, die in den Herbergen derzeit die größte Gruppe darstellen, und die sich in Mexiko oft nicht sicher fühlen? Muss sich Juárez auf eine neue Fluchtwelle aus den USA vorbereiten? Trotz seiner Hetzjagden und illegaler Abschiebeflüge in die Horrorgefängnisse von El Salvador hat Trump die Abschiebezahlen gegenüber der Vorgängerregierung bisher nicht substantiell steigern können. Seine Politik der Härte könnte aber dazu führen, dass viele Migrant*innen und Schutzsuchende die USA „freiwillig“ verlassen, und wieder Richtung Mexiko fliehen.

Die Normalisierung des Terrors

„Wir arbeiten derzeit in einer sehr unklaren Lage“, erklärt Blancas Kollegin Diana. „Und in einer sehr unsicheren.“ 85 Prozent der Migrant*innen, die es nach Juárez geschafft haben, wurden zumindest ein oder gar mehrere Male von Kartellen entführt. „Wir beobachten einen neuen Trend: Kartelle lassen ihre Opfer auch nach dem Zahlen von Lösegeldern nicht mehr unbedingt frei, sondern versuchen, noch mehr Geld aus den Familien pressen. Dabei setzen sie auch immer öfter Foltermethoden ein, wie das Abschneiden von Fingern.“ Die Zahl der Entführungen, die tödlich enden, nimmt zu. Wer mit dem Leben davon kommt, ist oft schwer traumatisiert. Das hat den Bedarf an psychosozialer Betreuung, die DHIA leistet, stark erhöht. Zudem bietet DHIA Migrant*innen, die Opfer von Entführungen wurden, Rechtsbeistand. Vielen anderen Organisationen ist diese Arbeit zu gefährlich. Sie haben Angst, selbst ins Visier der Kartelle zu gelangen. Warum DHIA diese Arbeit trotzdem leistet? „Wir können diese Menschen, die so viel durchgemacht habe, in ihrem Streben nach Gerechtigkeit nicht im Stich lassen“, sagt Blanca.

Hoffnung und Unterstützung: Perspektiven für Geflüchtete in Juárez

Es sind Sätze wie diese, die mich schlucken lassen. Zu erleben, mit welcher Überzeugung DHIA und die Betreiber der Herberge Vida an der Seite der Migrant*innen stehen, allen Widrigkeiten, Rückschlägen und Gefahren zum Trotz, ist überwältigend. Pfarrer Francisco und seine Mitstreiter*innen, die keinen Cent für ihre Arbeit erhalten, haben Kita- und Schulplätze für die Kinder der Unterkunft gefunden, ihre eigene Wohnung geräumt, um einer großen Gemeinschaftsküche Platz zu machen, und gemeinsam mit den Migrant*innen einen Gemüsegarten angelegt.

„Darüber hinaus können wir diesen Menschen etwas geben, was viele große und staatliche Organisationen nicht leisten“, erklärt Francisco am Ende unseres Gesprächs überzeugt. „Spirituelle Unterstützung – und den Glauben an eine bessere Zukunft.“ Dies sei nach dem Amtsantritt Trumps besonders wichtig gewesen, als die Verzweiflung groß war. Und wie funktioniert das? „Den Menschen ehrlich kommunizieren, dass ihr Traum, in die USA zu kommen, zwar vorerst geplatzt ist“, sagt Fracisco. „Dass sich daraus aber auch andere, gute Perspektiven entwickeln können. Zum Beispiel, sich ein Leben in Mexiko aufzubauen. Trump ist nicht das Ende der Geschichte.“

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