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Gewalt gegen Flüchtende nimmt weltweit zu

100 Millionen Menschen waren 2022 weltweit auf der Flucht – ein neuer trauriger Rekord. Gleichzeitig nimmt die Gewalt gegen sie zu. Zehn Partnerorganisationen von Brot für die Welt diskutieren auf einem Workshop in Tapachula, Mexiko, wie die Rechte von Geflüchteten verteidigt werden können – trotz der harten Realität einer militarisierten Abschottungspolitik.

Von Dr. Andreas Grünewald am
Graffiti

„Dass uns auf der Welt niemand aufhalten möge” - Wandbild in Tapachula

Um ein Haar wäre er gescheitert, unser Versuch, rund um den Weltflüchtlingstag Partner aus vier Kontinenten an der Südgrenze Mexikos zusammenzubringen. Auf dem Weg vom Flughafen ins Hotel erfahre ich, dass Grenzbeamte die Kolleg*innen von Alarmphone Sahara (Niger) und House of Peace (Libanon) am Flughafen von Mexiko-Stadt festhalten. Ihre Handys werden konfisziert, eine Kommunikation ist nicht mehr möglich. Soll so eine Reise enden, für die unsere Partner über Monate enorme Kraftanstrengungen auf sich genommen haben?

Erst drei Stunden später, und dank des großen Einsatzes unserer mexikanischen Partner, kommt die erleichternde Nachricht: Moctar und Aida durften einreisen. Unser gemeinsamer Workshop kann beginnen. Was bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack: Zwei unserer Partner, die sich für Bewegungsfreiheit und die Rechte von Migrant*innen und Geflüchteten einsetzen, wären beinahe selbst zu Opfern eines Grenzregimes geworden, das zunehmend repressiv und offen rassistisch agiert.

Grenz- und Sicherheitsbeamte sind allgegenwärtig

Die südmexikanische Stadt Tapachula ist beispielhaft für die Etablierung eines solchen Regimes, das sich weit von dem Anspruch entfernt hat, notleidenden Menschen Schutz und Sicherheit zu gewähren. Stattdessen werden Flüchtende und Migrant*innen von staatlichen Autoritäten als Sicherheitsrisiko wahrgenommen, ihre Kontrolle und Abwehr zur obersten Maxime erklärt. Das berichten unsere Partner einstimmig, egal ob sie aus Griechenland, Mali oder El Salvador nach Tapachula anreisten. In Südmexiko befinden wir uns auf Einladung zweier lokaler Organisationen, Voces Mesoamericanas und Centro FrayMa. Gemeinsam wollen wir diskutieren, was wir der ständig steigenden Gewalt gegen Flüchtende und Migrant*innen, aber auch gegen die sie unterstützenden Organisationen entgegensetzen können.

In Tapachula, einem zentralen Knotenpunkt von Flucht- und Migrationsrouten nach Nordamerika, hat die Präsenz von zivilen und militärischen Grenz- und Sicherheitsbeamten in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Diese sind nicht nur an der guatemaltekischen Grenze omnipräsent, sondern haben unzählige Posten entlang der Transitsrouten bis weit in den Norden eingerichtet. Jeder, der Verdacht weckt, wird kontrolliert, beim Fehlen gültiger Papiere inhaftiert, oder direkt – und ohne Möglichkeit, um Asyl anzusuchen oder sich Rechtsbeistand zu holen – an die Grenze gekarrt und nach Guatemala getrieben. Sandy von Voces Mesoamericanas erzählt uns, sie habe unzählige solcher Pushbacks dokumentiert und Beschwerden dagegen eingelegt. Bisher ohne Erfolg.

Tapachula – „Gefängnisstadt” für Flüchtende und Migrant*innen

Tapachula ist für Migrant*innen und Flüchtende zu einer „Ciudad carcel“ (Gefängnisstadt) geworden, da der Weg von dort Richtung USA immer stärker abgeschnitten ist. Dies ist eine direkte Folge der Externalisierung der US-amerikanischen Abschottungspolitik, die unter Trump stark an Fahrt aufgenommen hat. Mit einer Mischung aus Drohungen und Finanzhilfen haben die USA Mexiko zu einem hochgerüsteten Außenposten der Festung USA gemacht. Der Kampf gegen Migrant*innen und Asylsuchende erstreckt sich längst nicht mehr nur auf die Grenzregion zwischen USA und Mexiko. Er wird an den gesamten Migrationsrouten durch Mexiko, und insbesondere an der Südgrenze geführt, wo mittlerweile die meisten Menschen abgefangen werden. Seit Dezember 2018, dem Amtsantritt von Präsident Lopez Obrador, haben mexikanische Behörden 846.477 Menschen auf der Flucht fesgenommen, allein im letzten Jahr wurden 114.000 Personen aus Mexiko abgeschoben. Die meisten der Aufgegriffenen haben Gewalt erfahren, erzählt uns Brenda von Centro FrayMa.

Auch Karawanen bieten keinen Schutz mehr

Um sich davor besser zu schützen, schließen sich Migrant*innen in Zentralamerika und Mexiko seit einigen Jahren zu größeren Gruppen, den Karawanen, zusammen. Eine Woche vor unserer Ankunft brach eine besonders große Gruppe mit rund 6.000 Personen von Tapachula auf. In ihr manifestiert sich ein Exodus, der Zentralamerika seit einigen Jahren erfasst. 400.000 Migrant*innen und Flüchtende kommen jedes Jahr nach oder durch Mexiko. Sie verlassen ihre Heimat aus vielen Gründen: omnipräsente Gewalt, Vertreibung, Klimawandel oder Suche nach einem besseren Leben. Weit kommen die Karawanen allerdings kaum.

Die letzte Karawane stoppten staatliche Sicherheitskräfte bereits nach einigen Stunden. Zwar wurde einem Teil der Migrant*innen Papiere ausgestellt, die einen einmonatigen Aufenthalt in Mexiko gewähren. Doch einige Kilometer weiter stellten andere Sicherheitskräfte die Echtheit der Papiere in Zweifel und hindern die Menschen seither an der Weiterreise. Die Anzweiflung der Echtheit von Papieren sowie das mutwillige Zerstören derselben, gehört in Mexiko zu einer gängigen Praxis der staatlichen Sicherheitskräfte, ebenso wie willkürliche Festnahmen, wochenlanges Festhalten der Personen, Pushbacks und rassistisch motivierte Gewalt insbesondere gegen Indigene und Schwarze.

Tapachula ist überall

So furchtbar die Erfahrungsberichte in Tapachula sind, einzigartig sind sie nicht. Im Gegenteil. Anastasia von unserer griechischen Partnerorganisation Equal Rights Beyond Borders berichtet beim Workshop von ihrer Arbeit in der Abschiebehaftanstalt in Corinth auf der Peleponnes. Inhaftierte nennen sie „the fridge“, weil Menschen dort über Monate und Jahre ohne Perspektive und juristischem Beistand unter katastrophalen Bedingungen weggesperrt sind. Moctar von Alarmphone Sahara hat unzählige Pushbacks von Algerien in den Niger dokumentiert, bei denen Menschen mitten in der Wüste abgesetzt und ihrem Schicksal überlassen werden. Und indigene Frauen aus San Cristóbal erzählen uns, wie ihre Familienangehörigen auf den gefährlichen Migrationsrouten in die USA verschwunden sind. Tausende Flüchtende und Migrant*innen fielen in den vergangenen Jahren kriminellen Banden oder der tödlichen Hitze in der US-amerikanischen Wüste zum Opfer.

Militarisierung und Abschottung, Entrechtung und Straflosigkeit – es ist frappierend, wie sich das Umfeld gleicht, in dem Partner von Brot für die Welt in Bamako und Beirut, am Balkan und in El Salvador versuchen, die Rechte von Flüchtenden und Migrant*innen zu verteidigen. Trotz all der massiven Schwierigkeiten, die sie dabei haben, betonen die Teilnehmer*innen des Workshops jedoch immer wieder: Es gibt Kraft, zu sehen, dass auch andere Organisationen unter diesen schwierigen, oft lebensgefährlichen Umständen weitermachen. Und dabei auch immer wieder Erfolge feiern – sei es, dass sie für Geflüchtete auf Kos das Recht auf Familienzusammenführung erstreiten, Menschen vor dem Verdursten in der Sahara retten oder die Selbstorganisation von Migrant*innen in Südmexiko stärken.

Brot für die Welt und seine Partner kämpfen für Rechte von Migrant*innen und Geflüchtete

Mit welchen Strategien sie dies erreichen, und wie wir uns durch Zusammenarbeit in den nächsten Jahren weiter stärken können, darum drehen sich die Diskussionen beim Workshop. Eines der Themen, das dabei immer wieder aufkommt, ist das der Selbstfürsorge – die Notwendigkeit, die starken psychischen Belastungen, die bei der Arbeit auftreten, ernst zu nehmen und zu bearbeiten. Auch zukünftige Kooperationen und Aktionen werden geplant. Die erste findet heute, am Weltflüchtlingstag statt: eine Pressekonferenz mit selbstorganisierten Migrant*innengruppen in Tapachula, sowie eine anschließende Demonstration, die das Unrecht, das Flüchtende und Migrant*innen weltweit und tagtäglich erfahren, anprangert. Dieses Unrecht zu bekämpfen – dieser Herausforderung stellt sich Brot für die Welt gemeinsam mit seinen Partnern auch in Zukunft. Versprochen.

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Lachender Junge

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