Interview

„Wenn Weizen zur Waffe wird, sterben Millionen“

Der russische Krieg gegen die Ukraine kann zu einer Hungerkrise führen, wie sie die Welt seit Jahrzehnten nicht gesehen hat. Die Bundesregierung betont, dass sie für den Kampf gegen das Verhungern viel Geld bereitstellt. Thilo Hoppe, der entwicklungspolitische Beauftragte von Brot für die Welt, hält diese Ankündigungen für Schönrechnerei – und erklärt, was aus seiner Sicht nun passieren muss.

Von Kai Schächtele am
Thilo Hoppe ist entwicklungspolitischer Beauftragter von Brot für die Welt.

Thilo Hoppe ist entwicklungspolitischer Beauftragter von Brot für die Welt.

Schon vor dem Krieg gegen die Ukraine waren Millionen von Menschen in Ostafrika akut von Hunger bedroht. Jetzt droht der Welt die größte Hungerkrise seit Jahrzehnten. In einem Ergänzungshaushalt hat die Bundesregierung eine Milliarde Euro vorgesehen, mit denen das Entwicklungsministerium die indirekten Folgen des Kriegs gegen die Ukraine abfedern soll. Außerdem werden immer wieder zusätzliche 430 Millionen Euro hervorgehoben für globale Ernährungssicherheit. Thilo Hoppe, der entwicklungspolitische Beauftragte von Brot für die Welt, hält die Ankündigungen für einen Taschenspielertrick.

Herr Hoppe, die Bundesregierung spricht von knapp 1,5 Milliarden Euro, die sie im Kampf gegen den Hunger investiert. Sie bezeichnen das als Schönrechnerei. Warum?

Weil die Bundesregierung noch im März Pläne vorgelegt hat, nach denen der Etat des Entwicklungsministeriums um 1,6 Milliarden Euro gekürzt werden sollte. Die Entwicklungsministerin Svenja Schulze spricht selbst davon, es drohe die größte Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg. Deshalb wäre ein solcher Schritt völlig unverständlich und verantwortungslos. Nach Protesten von Brot für die Welt und vielen anderen Entwicklungsorganisationen und Hilfswerken wurden durch den Ergänzungshaushalt und andere Maßnahmen diese Kürzungen wieder zurückgenommen. Aber unterm Strich gibt es keine zusätzlichen Mittel, also nicht mehr, als auch 2021 für den Kampf gegen den Hunger zur Verfügung gestanden hat. Es ist sogar eher etwas weniger, weil im Etat des Agrarministeriums Kürzungen von Haushaltstiteln, mit denen in Partnerländern das Recht auf Nahrung gestärkt werden soll, leider nicht zurückgenommen worden sind.

Was befürchten Sie nun?

Dass der Hunger dramatische Ausmaße annehmen wird. Infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine stocken nicht nur die Weizenlieferungen aus Russland und der Ukraine. Die Preise für Nahrungsmittel und Energie sind auch durch skrupellose Spekulation durch die Decke gegangen. Es ist doch klar, dass bei Lebensmittelpreisen, die sich in einigen Ländern und Regionen verdoppelt, verdreifacht und vervierfacht haben, mit dem selben Geld wie im Vorjahr deutlich weniger Menschen erreicht werden können.

Was muss aus Ihrer Sicht passieren?

Man hätte sich bewusst machen müssen, dass wir uns auch im Kampf gegen den Hunger in einer Zeitenwende befinden. Wenn Weizen zur Waffe wird, sterben Millionen. Die Vereinten Nationen schätzen, dass in diesem Jahr bereits weitere 50 Millionen Menschen in extreme Armut und Hunger gestürzt sind. Wenn die internationale Gemeinschaft nicht mit aller Kraft gegensteuert, könnte diese Millionenzahl bis zum Ende des Jahres dreistellig werden. Wir von Brot für die Welt haben gefordert, dass im Bundeshaushalt 2022 im Vergleich zum Vorjahr mindestens 2,7 Milliarden Euro mehr für globale Ernährungssicherheit zur Verfügung gestellt werden muss, verteilt auf verschiedene Ressorts. Stattdessen hat es keinerlei zusätzliche Gelder gegeben. Der Kampf gegen den Hunger ist aber nicht zum Nulltarif zu gewinnen.

Sie saßen selbst lange im Bundestag für die Fraktion der Grünen. Warum tut sich die Bundesregierung nach Ihrer Einschätzung so schwer, wirklich etwas gegen die Hungerkrise zu unternehmen?

Ich bin und bleibe ein großer Befürworter der Demokratie. Sie hat aber den Nachteil, dass die Parteien immer auch sehr stark die nächste Wahl im Blick haben. Dann ist die Versuchung groß, vor allem Beschlüsse zu fassen, die den umworbenen Wählerinnen und Wählern zu Gute kommen. Die Menschen in Somalia und im Jemen haben hier aber im doppelten Sinn keine Stimme. Sie können kaum selber auf ihre unverschuldete Notlage aufmerksam machen und sie können bei den Wahlen nicht mitentscheiden. Wenn es zu Verteilungskonflikten kommt – und da sind wir jetzt mittendrin – drohen die Ärmsten der Armen, die für Meinungsumfragen und den Ausgang von Wahlen keine Bedeutung haben, übersehen zu werden und unter die Räder zu kommen.

Wer ist aus Ihrer Sicht maßgeblich verantwortlich für diese Blockade?

Alle Regierungsparteien hätten sich viel stärker für mehr Mittel im Kampf gegen den Hunger einsetzen sollen. Aber einer Partei ist es ganz besonders wichtig, dass im nächsten Jahr die Schuldenbremse eingehalten wird und keine Steuern erhöht werden: der FDP. Das zwingt zu einem harten Sparkurs. Und wenn es dennoch Entlastungspakete für die Menschen in Deutschland und zusätzlich viele Milliarden für die Bundeswehr geben soll, wird das Stück vom Kuchen, das dann noch zu verteilen ist, ganz klein. Das erhöht auch enorm den Druck auf das Entwicklungsministerium. Es ist zu befürchten, dass dessen Etat im nächsten Jahr tatsächlich gekürzt wird – auch wenn die Zahl der Hungernden noch weiter steigt.

Sehen wir hier die Anzeichen eines Verteilungskonflikts zwischen den wohlhabenden Ländern und dem Globalen Süden, der sich durch die Klimakrise in Zukunft noch weiter verschärfen wird?

Wir stecken schon mitten drin. Das hat sich schon sehr deutlich in der Pandemie gezeigt. Da haben die reichen Länder den armen die Impfstoffe vor der Nase weggekauft. Es gab dann zwar über die Covax-Initiative Impfstoffspenden. Aber viel effektiver und solidarischer wäre es gewesen, zumindest für eine begrenzte Zeit die Patente für die Impfstoffe frei zu geben. Die große Mehrheit der Mitgliedsländer der Vereinten Nationen hat das gefordert. Selbst die Biden-Regierung hat sich dafür eingesetzt. Deutschland und die Schweiz waren und sind nach wie vor eisern dagegen. In der Welternährungskrise wiederholt sich dieser Trend. Wenn etwas knapp wird, ist sich erstmal jeder selbst der Nächste.

Auf dem G7-Treffen in Elmau will der Kanzler das Thema Welternährung auf die Tagesordnung setzen und für ein vom Entwicklungsministerium initiiertes Bündnis für globale Ernährungssicherheit werben. Sind das am Ende nur schöne Worte?

Ich hoffe nicht, aber die Gefahr besteht. Es ist erstmal positiv, dass die Bundesregierung das Thema in Elmau auf die Agenda setzt und dass kurz vorher drei Ministerien gemeinsam – das Auswärtige Amt sowie das Entwicklungs- und das Agrarministerium – zu einer hochkarätigen Konferenz zur Welternährungskrise nach Berlin einladen. Aber es muss zu Ergebnissen kommen. Ich hoffe ja, dass die Bundesregierung noch den Dreh bekommt und deutlich mehr finanzielle Mittel für den Kampf gegen den Hunger verkündet anstatt sich mit einem stagnierenden Entwicklungshaushalt zu blamieren. Es geht aber nicht nur ums Geld. Die G7 kann verabreden, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit Getreide und Düngemittel aus der Ukraine, aber auch aus Russland und Belarus auf den Weltmarkt kommen. Dafür muss der Druck auf Russland erhöht werden, die Ausfuhr von ukrainischem Getreide und Speiseöl nicht länger zu blockieren. Aber teilweise müssten wohl auch die Sanktionen so angepasst werden, dass es zu Fortschritten auf diesem Gebiet kommt. Außerdem hätten die G7-Länder die Macht, ernsthaft gegen ausufernde Spekulation mit Nahrungsmitteln vorzugehen und in Sachen Schuldenerlass den Entwicklungsländern entgegenzukommen.

Und was erwarten Sie vom angekündigten Bündnis für globale Ernährungssicherheit?

Das muss so gestaltet werden, dass es nicht der Agrarindustrie den Boden bereitet, sondern wirklich nachhaltige Landwirtschaft und Fischerei fördert, den menschenrechtsbasierten Ansatz stärkt und das Komitee für Ernährungssicherheit (CFS) der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen nicht schwächt, sondern stark einbezieht. Das CFS, bei dem auch die Zivilgesellschaft eingebunden ist, hat im System der Vereinten Nationen das Mandat, den Kampf gegen Hunger zu koordinieren. Wenn es gelingt, dass in einem neuen globalen Bündnis viele Akteure an einem Strang ziehen und unter Respektierung des Mandats des CFS sich für wirklich breit angelegte und nachhaltige Lösungen im Kampf gegen den Hunger vereinen, wäre das eine tolle Sache. Leider gibt es aber viele Akteure, die immer noch meinen, der freie Markt würde alles richten und wenn es irgendwo nicht klappt, ließe sich alles mit Nahrungsmittelhilfe regeln.

Sehen Sie Anlass zu Optimismus angesichts der aktuellen Situation?

Ich hoffe stark, dass die versammelte Weisheit aus den Leitungen des Auswärtigen Amtes, des Entwicklungs- und des Agrarministeriums dazu führt, dass Ende Juni in Berlin und in Elmau starke Signale gesetzt und konkrete Verabredungen getroffen werden, auf nachhaltige und menschenrechtsbasierte Weise den Kampf gegen den Hunger zu führen und dafür auch mehr Geld in die Hand zu nehmen. Und dass Deutschland dabei mit gutem Beispiel vorangeht und der Finanzminister dafür auch grünes Licht gibt – wenn nicht freiwillig, dann durch die Richtlinienkompetenz des Kanzlers. Wenn das nicht nur in Deutschland, sondern parallel in vielen Ländern passiert, kann die Zahl der Hungernden tatsächlich sinken. Das klingt wie ein frommer Wunsch. Aber bei gutem Willen ist das absolut machbar.

 

Zum G7-Gipfel im Elmau haben wir ein eigenes Dossier veröffentlicht.

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