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Frieden und Sicherheit im Sahel

Die Sahel-Region ist von massiver Gewaltdynamik geprägt und stellt die deutsche und europäische Politik vor große Herausforderungen. Seit 2016 beteiligt sich die Bundeswehr dort an Missionen der EU und der Vereinten Nationen (VN). Der Deutsche Bundestag hat nun der Fortsetzung mit einigen Veränderungen zugestimmt. Aber das Engagement im Sahel müsste dringend völlig neu ausgerichtet werden.

 

Von Dr. Martina Fischer am
Flagge im UN-Gebäude in New York

Flagge im UN-Gebäude in New York

Nach dem Abzug aus Afghanistan ist die Bundeswehr in einer weiteren gefährlichen Region im Einsatz: In Mali beteiligen sich etwa 900 SoldatInnen an der VN-Mission MINUSMA und 450 an der EU-geführten militärischen Ausbildungsmission EUTM, die im benachbarten Niger mit der „Joint Special Operations Task Force Gazelle“ eine Entsprechung hat. Trotz jahrelanger Präsenz französischer, deutscher und sonstiger militärischer Einheiten hat sich die Sicherheitslage jedoch dramatisch verschlechtert. In Mali verüben extremistische Gruppen Angriffe auf die Zivilbevölkerung, malische Sicherheitskräfte und VN-Personal, und das Zentrum des Landes ist von ethnopolitischen Kämpfen durchzogen. 2021 gab es rund 1.900 Konflikttote zu beklagen, darunter mehr als 560 zivile Opfer. Der Regionaldirektor der Organisation Oxfam, Assalama Dawalack Sidi sprach vom Scheitern der französischen und europäischen Streitkräfte: Nach fast zehn Jahren sei die zentrale Sahelregion weiterhin von Gewalt geprägt, mehr als 2,1 Millionen Menschen hätten ihre Heimat verlassen und 13 Millionen seien auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Die explosive Sicherheitslage trifft auf eine desolate Wirtschaft. Für junge Menschen ist es nahezu unmöglich, in Mali reguläre Arbeit zu finden. 2021 waren mehr als 70 Prozent der Bevölkerung im informellen Sektor tätig. In anderen Sahelländern sieht es ähnlich aus. Die Klimakrise, das Bevölkerungswachstum, aber auch die Folgen der COVID-19-Pandemie verschärfen die Beschäftigungskrise und auch die Ungleichheit. Die humanitäre Lage wird im Zuge des Kriegs in der Ukraine noch durch eine Verknappung von Nahrungsmitteln verschärft. Allein in Mali stieg UN-Berichten zufolge die Zahl der Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, seit 2021 von 5,9 auf 7,5 Millionen. Viele MalierInnen machen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich für die Misere verantwortlich und nehmen die Präsenz ausländischer Streitkräfte zunehmend als externe Besatzung wahr. Insofern fällt es schwer, Erfolge zu identifizieren. Wenn sich das Engagement in Mali nicht als Fehlschlag erweisen soll, muss deutsche und europäische Politik in umfassender Weise umsteuern.

Bundestag für Beteiligung an MINUSMA und EUTM

Nachdem die EU aufgrund der aktuellen politischen Situation und der fortgesetzten Kooperation der malischen Regierung mit russischen Söldnern die militärischen Ausbildungsaktivitäten (EUTM) im April „temporär, graduell und reversibel“ ausgesetzt hat, schlug das Bundeskabinett vor, die Beteiligung der Bundeswehr in Mali einzufrieren und nach Niger zu verlagern. Das Kontingent soll auf 300 SoldatInnen verringert werden und die „Joint Special Operations Task Force Gazelle“ in Niger aufstocken, nur einige wenige werden in Mali bleiben. Für die UN-Mission MINUSMA soll die Obergrenze von bisher 1100 auf 1400 deutsche SoldatInnen angehoben werden, mit der Begründung, bislang von Frankreich übernommene militärische Fähigkeiten müssten ausgeglichen werden. Da die französische Regierung im Februar 2022 ankündigte, die Mission Barkhane zu beenden und auch ihre Kampfhubschrauber mitzunehmen, ergibt sich für den deutschen Einsatz jedoch ein Problem. So wurde in das Mandat schon der Hinweis für einen möglichen Ausstieg eingebaut: Falls deutsche SoldatInnen nicht mehr ausreichend geschützt werden könnten, seien „Maßnahmen zur Anpassung des deutschen Beitrags einzuleiten bis hin zur Beendigung des Einsatzes“. Dem Regierungsbeschluss zur Verlängerung bis Mai 2023 stimmten am Freitag, 20. Mai, 541 von 648 Abgeordneten zu.

Widersprüche deutscher und europäischer Sahelpolitik

In Mali haben sich die externen Akteure, anders als in Afghanistan, auf Einladung der Regierung eingemischt. Frankreich entsandte vor allem Kampftruppen zum Einsatz gegen gewaltbereite Extremisten (Mission „Barkhane“), unterstützt von der Mission „Takuba“, an der sich weitere europäische Staaten beteiligten. Mit demselben Ziel finanzierten die EU-Mitgliedstaaten eine Eingreiftruppe der Sahel-Staaten Mali, Mauretanien, Niger, Tschad und Burkina Faso (G-5 Sahel Joint Forces). Die VN-Mission MINUSMA überwachte den Waffenstillstand und unterstützte bei der Umsetzung des Friedensabkommens von 2015, beim Ausbau des Sicherheitssektors und durch humanitäre Hilfe. Daneben konzentrierten sich diverse EU-Missionen auf die Ausbildung von Armeen und Sicherheitskräften (EUTM und EUCAP in Mali und Niger). Allerdings wurde die Regierung in Mali von dem mit EU-Mitteln ertüchtigten Militär weggeputscht. Die neue, überwiegend aus Militärs gebildete Führung verschob wiederholt demokratische Wahlen und legte erst kürzlich einen Zwei-Jahresplan für die Übergabe der Macht an eine zivile Regierung vor. Zudem kooperiert sie zunehmend mit russischen Söldnern im Kampf gegen islamistische Gewaltakteure. Ende März soll es bei einer gemeinsamen Militäroperation zu einem Massaker an Zivilisten mit mehr als 300 Toten gekommen sein. Aber auch in den Vorjahren verübte das malische Militär Gewaltverbrechen an ZivilistInnen. Zudem berichtet Amnesty International über zunehmende Polizeigewalt.

Akzeptanzverlust westlicher Militärpräsenz

Dennoch scheint der überwiegende Teil der malischen Bevölkerung die Übergangsregierung bislang zu unterstützen. Deren Politik wird vielfach als adäquate Antwort auf die „Einmischung“ des Westens und der Westafrikanischen Wirtschaftsunion ECOWAS gewertet, die nach dem Putsch massive Finanz- und Wirtschaftssanktionen verhängte. Die blockieren nicht nur den Außenhandel, sondern auch Überweisungen von Verwandten aus dem Ausland, auf die viele Menschen angewiesen sind. Massenproteste und eine Bewegung zur Unterstützung der Militärjunta waren die Folge. In sozialen Netzwerken wird Kritik am Regierungskurs als „unpatriotisch“ diffamiert. Hetz-Videos aus russischer Produktion und von malischen Internetnutzern sind verbreitet. Ein neues Gesetz soll Kritik an den Sicherheitskräften verbieten. Die kooperieren seit Jahrzehnten nicht nur mit EU-Staaten, sondern auch mit Russland. Diese Allianz nimmt nun mit der sogenannten "Gruppe Wagner" eine neue Dimension an. Diese vom russischen Oligarchen Prigoschin finanzierte Einheit agiert in Geheimdienstmanier, bedient sich kämpfender Milizen, und zu ihrem Repertoire gehören neben Waffentransfer auch Sabotage, Cyberangriffe und mediale Einflussnahme. Propaganda aus russischen Quellen wird von malischen Influencern unterstützt und richtet sich vor allem gegen die von Frankreich geführten Militäroperationen. So sinkt das Vertrauen in die westliche Militärpräsenz weiter. Laut Mali-Mètre, einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) veröffentlichten Umfrage vom Juni 2021, trauten nur neun Prozent der Befragten der (französischen) Barkhane-Truppe zu, das Land zu stabilisieren. Allerdings kann man die Verantwortung für den Akzeptanzverlust nicht einfach nur der Militärregierung und ihren russischen Unterstützern zuschieben. Die entscheidende Ursache liegt in einer verfehlten Politik Frankreichs und weiterer EU-Staaten, die „Sicherheit“ in erster Linie militärisch definiert haben.

Fixierung auf militärische Sicherheit 

Dass die Gleichzeitigkeit von militärischer Kriegsführung und Entwicklungsförderung schnell in ein Spannungsverhältnis geraten, hat sich in Afghanistan gezeigt. Auch im Sahel ist dieser Zielkonflikt zu beobachten. Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich dort viel zu stark auf militärische Counterterror-Maßnahmen und sicherheitspolitische Aktivitäten zur Eindämmung von Migration konzentriert und für beide Phänomene keine ursachenorientierten Strategien entwickelt (vgl. Montanaro 2022; Guiryanan u.a. 2021). Die „Versicherheitlichung“ manifestiert sich seit Jahren in einer forcierten Politik der Militärhilfe im Rahmen von Migrationspartnerschaften und Terrorismusabwehr. Die sogenannten „Ertüchtigungsprogramme“, die zur „Stabilisierung“ beitragen sollen, müssen jedoch dringend auf den Prüfstand gestellt werden. Besonders problematisch wird es, wenn sie mit Waffentransfer einhergehen. 

„Ertüchtigung“ und  „Stabilisierung“ hinterfragen

„Capacity building for Security and Development“ (im Weißbuch der Bundesregierung: “Ertüchtigung”) ist seit Jahren ein zentrales Element des EU-Engagements in Drittstaaten. Gemeint sind Maßnahmen zur Ausbildung und Ausstattung von Sicherheitskräften. 2018 veröffentlichte der Europäische Rechnungshof einen Prüfbericht zu einigen Missionen, die im Rahmen der EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Sahel durchgeführt wurden (EUCAP Sahel Niger und EUCAP Sahel Mali). Er kam zu dem Schluss, dass beide von sehr begrenztem Nutzen seien. Sie hätten die Fähigkeiten der Sicherheitsapparate allenfalls kurzfristig, aber nicht nachhaltig und langfristig verbessert. Sie seien von "operationalen Ineffizienzen" beeinträchtigt und kaum politisch überwacht und evaluiert worden. Auch das "Friedensgutachten 2018" der deutschen Friedensforschungsinstitute kam zu dem Schluss, dass sich die Ausbildungshilfen im Bereich Polizei und Militär nicht bewährt haben, weil sie nicht in politische Prozesse eingebettet wurden, die auf Rechtsstaatlichkeit, eine integrative Ordnung und Stabilität abzielten. Menschenrechtliche Kohärenz sei eine zentrale Voraussetzung für tragfähigen Frieden(IFSH u.a. 2018, 9). Das Problem: Der ressortübergreifende, gemeinsam mit der Entwicklungspolitik für die Konsolidierung von Nachkriegsregionen entworfene Ansatz der Sicherheitssektorreform wurde im „Stabilisierungsdiskurs“ nach und nach umfunktioniert: Stand ursprünglich das Ziel der Reform staatlicher Institutionen im Vordergrund, werden heute oft Gewaltapparate unterstützt, die weder demokratischer Kontrolle unterliegen noch Menschenrechte achten (vgl. Jakob und Schlindwein 2019). Teilweise werden auch Akteure gestärkt, die VN-Berichten zufolge für massive Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung verantwortlich sind. Das gilt nicht nur für Mali, sondern beispielsweise auch für Libyen und Südsudan. Die Wirkungen von "Ertüchtigungs"programmen wurden bislang kaum systematisch untersucht und viel zu wenig öffentlich diskutiert. Das ist besonders problematisch, wenn man bedenkt, dass die EU-Mitgliedstaaten 2021 beschlossen, diese zukünftig auch verstärkt mit Waffenlieferungen zu kombinieren. 

Waffenexporte tragen zur Gewaltspirale bei

Mithilfe der 2021 neu geschaffenen sogenannten „EU Peace Facility“ (EPF) wollen die EU-Mitgliedsstaaten afrikanische Friedensmissionen (z.B. im Rahmen der Afrikanischen Union) und außerdem verstärkt Militärhilfe finanzieren. Sie wird zusätzlich zum EU-Haushalt aus einem gesonderten Budget gespeist. So wird es neuerdings möglich, Ausbildung mit der Lieferung letaler Waffen zu kombinieren. Die vom Rat der EU dazu getroffenen Beschlüsse sind öffentlicher Kontrolle entzogen. Investigative Journalisten konnten aber Einblick nehmen und zeigen, dass keine verlässlichen Endverbleibskontrollen, Prüfkriterien und Sanktionsmechanismen im Falle von Menschenrechtsverletzungen vereinbart wurden. NGOs aus den EU-Mitgliedsstaaten sehen diese Entwicklung mit Sorge und appelierten an die EU-Institutionen, den Zuschnitt der „Peace Facility“ zu überdenken und auf Waffenlieferungen zu verzichten. Vor allem NGOs aus dem Sahel wiesen auf das Risiko hin, dass dort noch mehr tödliche Waffen aus europäischen Beständen in Umlauf gelangen.

Erwartungen der Zivilgesellschaft aus dem Sahel 

Partner von Brot für die Welt kritisieren seit Jahren die eurozentrischen und wenig friedensfördernden europäischen Diskurse ( z. B. bei der Tagung „Der Preis der Sicherheit“, 3.12.2018, bei einer Veranstaltung von Fokus-Sahel 2019, sowie bei digitalen Fachgesprächen der AG Frieden und Entwicklung im Frühjahr 2021). Sie weisen darauf hin, dass Migration zur kulturellen Identität in Afrika gehört und der Anpassung an wirtschaftliche Bedingungen geschuldet ist. Die Vorverlagerung der EU-Grenzen sehen sie als Beitrag zur Militarisierung und Unsicherheit im Sahel. Statt auf Migrationsabwehr zu setzen, müsse man die Triebkräfte für erzwungene Migration - Gewalt und Klimafolgen - angehen, jungen Menschen wirtschaftliche Perspektiven geben und den Blick auf strukturelle Ursachen von Gewaltkonflikten richten: ethnopolitische Diskriminierung, Konflikte zwischen Ackerbauern und Nomaden, die durch Ressourcenknappheit und Klimakrisen zusätzlich verschärft werden, den Mangel an Demokratie und politischer Teilhabe. Sie weisen darauf hin, dass die Region vom Drogentransfer (aus Lateinamerika Richtung EU) durchzogen ist, und dass dort diverse internationale Akteure um Einfluss und Ressourcen konkurrieren. Die bisherigen europäischen Sicherheitsstrategien würden die Gesamtsituation zu wenig berücksichtigen und seien nicht geeignet, die Konflikte in der Sahel-Region zu befrieden. Sicherheit umfasst nach ihrem Verständnis neben der Abwesenheit von Gewalt auch den Zugang zu Nahrung, Wasser, Infrastruktur, Bildung und Gesundheitsversorgung, also „menschliche Sicherheit.“

Dieses im UN-Kontext entwickelte Konzept stellt das Recht von Individuen sowie deren Schutz vor Gewalt, Naturkatastrophen und Zerstörung von Lebensgrundlagen in den Vordergrund und verknüpft das mit „menschlicher Entwicklung“. Die internationalen Akteure konzentrierten sich stattdessen auf ihre eigenen Sicherheitsinteressen. In Mali hätten sie zudem zu stark auf die Zentralregierung gesetzt. Sie sollten lokale Einflusspersonen, z.B. Repräsentanten von Glaubensgemeinschaften und Dorfälteste, einbinden, dezentrale lokale Verwaltung stärken und die Kompetenzen der Zivilgesellschaft nutzen. 2020 formierte sich in Mali eine Bürgerkoalition mit der Forderung nach einer neuen europäischen Sahelpolitik. Sie forderten den Schutz von ZivilistInnen und ein Ende der Straflosigkeit. Als die französische Regierung 2021 ankündigte, die militärischen Einsätze „Barkhane“ und „Takouba“ zu beenden, gab es weitere Aufrufe von NGOs für eine neue Politik der EU, die stärker auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht, Dialogräume schafft, auf transparente Regierungsführung drängt und die Versorgung der Bevölkerung mit Hilfsgütern und grundlegenden Dienstleistungen zur Priorität macht.

Empfehlungen für die deutsche und europäische Sahelpolitik

Die Parlamentsentscheidung, den Einsatz im Rahmen von MINUSMA zu verlängern, entspricht in etwa der Stimmung im NGO-Bündnis "Fokus-Sahel", in dem Brot für die Welt mitarbeitet. Nach kontroverser Diskussion zeichnete sich dort die Empfehlung ab, die Bundeswehr nicht sofort und komplett abzuziehen. Allerdings wurde empfohlen, das Mandat primär auf den Schutz und die Sicherheit der Bevölkerung auszurichten; gleichzeitig wünscht man sich, dass die Bundesregierung gemeinsam mit der EU die ECOWAS dazu bewegt, die Sanktionen zu lockern, bevor diese Mali wirtschaftlich strangulieren und die Konfliktlagen weiter zuspitzen. Es versteht sich von selbst, dass die Frage, ob und wie sich Deutschland im Sahel weiter engagieren soll, immer wieder und fortlaufend sorgfältig abgewogen werden muss. Ein Abzug der europäischen Präsenz müsste im Fall der Fälle unbedingt so gestaltet werden, dass er kein  Machtvakuum hinderlässt, das die Gewaltdynamik noch verstärkt. Außerdem muss ein umfassender Schutz für Ortskräfte sichergestellt werden.

Evaluierung von Auslandseinsätzen ist zwingend

Die Missionen im Sahel, die jetzt vom Bundestag beschlossen wurden, werden jedoch die Situation im Sahel kaum verändern, wenn diese nicht in eine glaubwürdige Politik eingebunden werden. Militärkooperationen mit repressiven Regimen sollten beendet und Partner für solche Maßnahmen sorgfältiger als bisher ausgewählt werden. Für Verbrechen verantwortliche Akteure müssen zur Rechenschaft gezogen werden. "Accountability" und Transparenz sollte aber nicht nur von Akteuren im Sahel, sondern auch von der Bundeswehr gefordert werden. Auslandseinsätze müssen fortlaufend evaluiert werden. Das Engagement im Sahel bedarf einer gründlichen Analyse, um zu verhindern, dass sich ein Desaster wie in Afghanistan wiederholt. Nur so kann die Bundesregierung eine kohärente Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik formulieren, die Schaden vermeidet. Dazu hat sich Deutschland in den Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ (2017) und seiner „Umsetzungsstrategie zur Sicherheitssektorreform“ explizit verpflichtet. Zudem müssen die EU-Mitgliedstaaten ihre Rüstungsexportpolitik reformieren. Sie haben sich 2008 in einem Gemeinsamen Standpunkt darauf geeinigt, Waffenexporte in Spannungsgebiete zu unterbinden. Für die Umsetzung sind jedoch Rüstungsexportkontrollgesetze auf nationaler Ebene und weitergehende rechtsverbindliche Regelungen auf EU-Ebene nötig, die eine Umgehung sanktionieren. 

Schlüssiges Gesamtkonzept und europäische Koordinierung

Darüber hinaus müssen sicherheitspolitische Maßnahmen in ein schlüssiges Gesamtkonzept eingepasst werden. Mitglieder der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen (Frithjof Schmidt u.a.) brachten Ende 2020 einen Antrag (19/23986) für die Neuausrichtung der europäischen und deutschen Sahelpolitik in den Deutschen Bundestag ein. Dieser fand seinerzeit keine Mehrheit, enthält jedoch bedenkenswerte Analysen und Empfehlungen, die nun, wo Bündnis 90/Die Grünen mitregieren und die Außenpolitik maßgeblich mitgestalten können, berücksichtigt werden sollten. In ihrem Antrag forderten die Abgeordneten die Regierung auf, sich für eine gemeinsame europäische Strategie für den gesamten Sahelraum einzusetzen und „konkurrierende Sahelpolitiken“ zu überwinden. Man müsse das zivile und diplomatische Engagement ins Zentrum stellen und an „menschlicher Sicherheit“ und „menschlicher Entwicklung“ orientieren. Die Bundeswehrmandate seien darin einzubetten und unter den "Primat des Zivilen zu stellen“. Der bisherige Sicherheitsbegriff der europäischen Staaten sei vor allem vom Anti-Terror-Kampf geprägt, aber die militärischen Einsätze hätten „weder zu Frieden geführt noch (…) die Häufigkeit terroristischer Anschläge gesenkt (…) – die Gewalt wurde letztlich immer nur in angrenzende Regionen verlagert.“ Ein „Mehr von demselben“ werde der Lage nicht gerecht. Es gebe zwar auch umfassende EZ-Programme, aber insgesamt seien die militärischen, entwicklungspolitischen und diplomatischen Bemühungen nicht ausreichend miteinander verknüpft und die Dominanz des Militärischen habe drastisch zugenommen. Humanitäre HelferInnen würden so gefährdet, da ihre Unparteilichkeit angezweifelt würde. Vor allem dürfe die VN-Mission MINUSMA nicht mit Kampfeinsätzen vermischt werden, weil so die Erfolge der Stabilisierungsmission aufs Spiel gesetzt würden.

Zudem müssten die unterschiedlichen Sahelpolitiken der Mitgliedstaaten endlich in eine kohärente gemeinsame Politik überführt werden. 2017 wurde von Frankreich, Deutschland und der EU zunächst die „Sahel-Allianz“ etabliert, um die EZ zu koordinieren. Die Weltbank, die Afrikanische Entwicklungsbank, das Entwicklungsprogramm der VN und weitere europäische Staaten sowie die Europäische Investitionsbank schlossen sich an. Diese Allianz sollte man zur zentralen Instanz für die Abstimmung der Unterstützung für die Sahelregion ausbauen, so meinen die Abgeordneten. Stattdessen wurden immer wieder neue Initiativen ins Leben gerufen, zum Beispiel die im G-7 Rahmen initiierte „Partnerschaft für Sicherheit und Stabilität im Sahel (P3S)“ und dann wurde von Frankreich noch die „Koalition für den Sahel“ mit den G-5 Sahelstaaten auf den Weg geschoben. Alle diese Foren befassen sich mit ähnlichen Themen, ihre Zuständigkeiten blieben jedoch unklar. "Vielmehr zeugen sie vom Anspruch Frankreichs, die europäische Politik gegenüber der Sahelregion verstärkt in eine militärische Richtung lenken zu wollen", so die Überzeugung der MdBs. Zudem hätte man die Potenziale der ECOWAS, in der die westlichen Sahel-Staaten wirtschaftlich und politisch integriert sind, vernachlässigt. Deren Möglichkeiten und auch die Potenziale der Afrikanischen Union sollten für Mediation und Konfliktbearbeitung auf regionaler Ebene stärker als bisher genutzt werden. Außerdem brauche es eine menschenrechtsbasierte politische Strategie, die inklusive (lokale) Regierungsführung und Vertrauen zwischen staatlichen Institutionen und Gesellschaft in den Vordergrund stelle. Man müsse verhindern, dass der Spielraum der Zivilgesellschaft durch repressive Machthaber eingeschränkt werde, und sicherstellen, dass die sich für Demokratisierung, Menschenrechte und Konfliktbearbeitung engagieren kann. Daraus folgt die Empfehlung, die deutschen Botschaften vor Ort personell besser auszustatten, um Ansprechpersonen für lokale Initiativen und MenschenrechtsverteidigerInnen zu schaffen, sowie Analysekapazitäten und ressortübergreifende Koordinierung zu erhöhen.

Durch die Dominanz militärischer Ansätze hat die europäische Sahelpolitik einen massiven Glaubwürdigkeitsverlust erfahren. Man sollte den militärischen Tunnelblick also überwinden. Dafür wäre es hilfreich, Alternativen zum militärischen Umgang mit extremistischer Gewalt anzudenken. 2021 veröffentlichten Saferworld, die Berghof Foundation, Conciliation Resources, das European Institute for Peace und drei weitere NGOs einen Aufruf an EU-Institutionen, in dem sie der EU empfahlen, ihre „Counter-Terrorism“-Strategie zu überdenken und Diplomatie und Mediation mehr Raum zu geben. Sie schlugen vor, Erfahrungen in Verhandlungsprozessen mit nicht-staatlichen Gewaltakteuren, wie sie auch im Sahel mit dschihadistischen Gruppen schon gemacht wurden, systematisch auszuwerten und weiter zu entwickeln. Die Bundesregierung, die die Stärkung von Prävention und ziviler Konfliktbearbeitung im Koalitionsvertrag verankert hat, sollte solche Initiativen unterstützen.

Entwicklungszusammenarbeit vom Migrationsthema befreien

Bei ihrem Besuch in Mali und Niger im April 2022 versprach Außenministerin Annalena Baerbock, dass Europa auch angesichts des furchtbaren Kriegs in der Ukraine die Krisen in anderen Teilen der Welt nicht vergessen würde. Angesichts drohender Lieferengpässe für Nahrungsmittel will sie sich dafür einsetzen, dass die G-7-Staaten (die stärksten Industrienationen, deren Vorsitz Deutschland zur Zeit innehat) einer Ernährungskrise gemeinsam entgegenwirken. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung aber vor allem dem Welternährungsrat der VN den Rücken stärken. Humanitäre Hilfe ist jetzt wichtiger denn je. Um die Akzeptanz europäischer Politik in der Sahelregion zu steigern, wäre aber darüber hinaus eine glaubwürdige Entwicklungszusammenarbeit erforderlich, die vom Migrationsthema befreit werden muss. Man sollte endlich anerkennen, dass Wanderung für den wirtschaftlichen und kulturellen Austausch in Afrika unerlässlich ist und auch positive Wirkung entfalten kann. Statt Diktatoren und instabile Regierungen mit Militärhilfe dafür zu belohnen, dass sie MigrantInnen aufhalten, sollte man sichere Wege und mehr legale Möglichkeiten für Einwanderung schaffen. Damit verbundene Herausforderungen müssen im Einklang mit dem UN-Migrationspakt gelöst werden. Und letztlich muss man die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit der Sahel-Region und mit Afrika insgesamt so reformieren, dass sie Menschen Aussicht auf Beschäftigung und ein Leben mit Entwicklungsperspektiven ermöglichen. Last but not least braucht es dafür auch eine effektive Politik zur Eindämmung der Erderwärmung und zur Bewältigung der Klimakrisenfolgen.

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