Atlas der Zivilgesellschaft 2024

Die Unterdrückung nimmt zu

Sich gegen soziale Ungerechtigkeit, Diskriminierung oder Umweltzerstörung zu engagieren, wird in vielen Weltregionen zunehmend schwieriger. In sieben Staaten hat sich die Lage der Zivilgesellschaft 2024 im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert ‒ in lediglich fünf Ländern verbessert.

Handlungsspielraum schrumpft

6,8 Milliarden Menschen lebten 2023 in Ländern, in denen die Zivilgesellschaft beschränkt, unterdrückt oder geschlossen ist. Das sind rund 86 Prozent der Weltbevölkerung. In diesen Staaten beschneiden Regierungen Freiheitsrechte und drangsalieren, verhaften oder verfolgen Kritikerinnen. Das trifft auf sechs von zehn Ländern zu.

Wie schwierig die Lage der Zivilgesellschaft ist, wie ihr Handlungsspielraum vielerorts immer enger wird, das zeigt der Atlas der Zivilgesellschaft 2024. Brot für die Welt hat ihn auf der Grundlage eigener Expertise, der Einschätzungen von Partnerorganisationen sowie mit Daten von CIVICUS aus dem Jahr 2023 erstellt. Jährlich veröffentlicht CIVICUS einen Bericht, in den eigene Analysen einfließen sowie die Recherchen und Erfahrungen lokaler, nationaler und regionaler Nichtregierungsorganisationen und auch öffentlich zugängliche Berichte von mehr als 20 Partnerorganisationen.

Video: Was ist Zivilgesellschaft?

Nur 14 Prozent sind weitgehend frei

Nur etwa 14 Prozent aller Menschen auf der Welt haben die Möglichkeit, weitgehend ungehindert ihre Meinung zu sagen, sich zu versammeln und gegen Missstände anzukämpfen. Sie leben in offenen Gesellschaften (zwei Prozent) oder in Gesellschaften mit Beeinträchtigung (zwölf Prozent). Demgegenüber leben mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung in unterdrückten (40 Prozent) und geschlossenen Gesellschaften (31 Prozent). In diesen Gesellschaften herrscht eine Atmosphäre der Angst. Staatliche und mächtige nicht-staatliche Akteur:innen lassen hier inhaftieren, misshandeln oder töten ungestraft Menschen, die ihre Rechte auf Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit wahrnehmen.

Deutschland ist in der Bewertung von CIVICUS erstmals von der besten Kategorie „offen“ nach „beeinträchtigt“ abgestiegen. Medienschaffende wurden etwa nicht ausreichend vor Gewalt auf Demonstrationen geschützt. Ebenso kritisiert der Atlas der Zivilgesellschaft, dass Mitglieder der „Letzten Generation“ teils mit langer, menschenrechtlich umstrittener Präventivhaft belegt wurden und Gerichte Gefängnisstrafen ohne Bewährung verhängt haben.

Die häufigsten Repressionen

Einschüchterung ist heute weltweit die Taktik Nummer eins, um Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger einzuschränken. Menschenrechtsverteidiger:innen, Aktivist:innen und Medienvertretende waren in mindestens 107 Ländern von solchen Einschüchterungen betroffen. Andere Mechanismen der Repression sind Angriffe auf Demonstrant:innen, Menschenrechtsaktivist:innen und Journalist:innen, restriktive Gesetze, Störungen von Protestaktionen, Zensur und die ‒ oft undurchsichtige ‒ strafrechtliche Verfolgung dieser Gruppen.

Um gegen Aktivst:innen und NGOs vorzugehen, nutzen Regierungen, Konzerne und Milizen zunehmend Gesetze, den Terrorismus-Vorwurf, das Internet, Zensur und oft auch Waffen. Damit versuchen sie, nicht nur Menschenrechtsverteidiger:innen, sondern auch Journalist:innen zum Schweigen zu bringen.

Aufsteiger und Absteiger Civicus-Monitor
© Grafik steht unter der Creative Commons-Lizenz „Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International (CC BY-SA 4.0)“

Schwerpunkt Klimaaktivismus

Dürren, Überschwemmungen, Stürme, ausbleibende Ernten, Hunger, Konflikte und Krieg ‒ die Folgen der Klimakrise sind verheerend. Unter ihnen leidet inzwischen knapp jeder dritte Mensch massiv, vor allem im Globalen Süden, so der Bericht des UN-Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Und: Diese Auswirkungen der globalen Erwärmung treten viel schneller und zerstörerischer auf, als Expert:innen noch vor zehn Jahren prognostiziert haben. Die Klima- und Umweltbewegung will diesen Prozess stoppen. Weltweit kämpfen Aktivist:innen gegen die Abholzung von Wäldern, gegen Landgrabbing, Öl-Pipelines, Kohleminen oder Fracking – häufig unter Lebensgefahr. Allein im Jahr 2022 wurden weltweit 177 Land-, Umwelt- und Klimaschützer:innen umgebracht, die meisten davon in Lateinamerika, so die NGO Global Witness. Mehr als ein Drittel der Ermordeten waren Indigene: Sie versuchten, ihre Ländereien zu schützen – und kamen dabei wirtschaftlichen Interessen in die Quere.

Doch obwohl viele Aktivist:innen wegen ihres Engagements für Klima und Umwelt diffamiert und verfolgt werden, war die Klimabewegung nie so stark wie heute: NGOs sind auf Klimagipfeln präsenter denn je. Auch hat die Zahl der weltweiten Klimaklagen in den zurückliegenden Jahren rapide zugenommen: Nicht selten werden Staaten und Unternehmen heute verklagt, endlich Maßnahmen zu ergreifen und ihren Verpflichtungen etwa aus dem Pariser Klimaabkommen oder dem Lieferkettengesetz nachzukommen.

Material zum Mitnehmen

Atlas der Zivilgesellschaft 2024
Atlas der Zivilgesellschaft 2024

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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