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Asylverfahren auslagern? Mehr Realpolitik, bitte!

Der oberste Gerichtshof hat dem UK-Ruanda-Deal zur Auslagerung von Asylverfahren gerade eine Absage erteilt. Trotzdem verfolgen viele europäische Staaten die Idee weiter. Was als notwendige Realpolitik verkauft wird, ist (menschen-)rechtlich hoch bedenklich. Und es ignoriert, dass Europa kaum Partnerländer für dieses Vorgehen finden wird.

Von Dr. Andreas Grünewald am
Abschieben statt Prüfen - soll so die Zukunft des EU-Asylssystems aussehen?

Die Auslagerung von Asylverfahren nach Ruanda ist mit der europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar. Rechtsstaatliche Verfahren und effektiver Schutz sind dort nicht gewährleistet, urteilt der oberste Gerichtshof Großbritanniens. Das war absehbar, hindert aber immer weniger Staaten daran, inmitten einer aufgeheizten Migrationsdebatte eben diese Idee weiter zu verfolgen. Auch in Deutschland fordert nicht nur die CDU, sondern auch Vertreter*innen aller drei Regierungsparteien: Asylsuchende sollen nach ihrer Ankunft in Europa umgehend in Drittstaaten ausgeschifft oder –geflogen werden, um ihre Schutzgesuche dort zu bearbeiten. Laut Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz von Anfang November wird dieses Vorgehen nun geprüft.

Auslagerung von Asylverfahren – eine valide Abschreckungsmaßnahme?

Wie die Auslagerung der Verfahren konkret aussehen soll, dazu kursieren unterschiedliche Vorschläge: Einmal soll das UN Flüchtlingswerk UNHCR die Verfahren durchführen, ein anderes Mal Behörden aus Europa oder dem Drittstaat; einmal sollen Menschen nach positivem Abschluss des Verfahrens in Europa Schutz erhalten, ein anderes Mal in dem Drittstaat. Das Argument hinter all diesen Spielarten ist dasselbe: Wenn wir Menschen, die irregulär nach Europa kommen, gleich wieder auswiesen, sänke mittelfristig deren Motivation, sich überhaupt auf den Weg nach Europa zu machen. Diejenigen, die sich Aussicht auf Schutz versprächen, stellten ihre Anträge in Drittstaaten – alle anderen blieben zuhause. Das drücke, so die Logik, die Ankunftszahlen – und führe laut Fürsprechern, wie den SPD-Abgeordneten Castellucci, Funke und Schwabe zu einer humaneren Migrationspolitik. Todeszahlen im Mittelmeer würden reduziert und Schleppern die Geschäftsgrundlage entzogen.

Empirische Belege für ihre Thesen bleiben sie leider schuldig. Das immer brutalere Vorgehen von Grenzschutzbeamt*innen, gewalttätige Pushbacks, die Kriminalisierung der Seenotrettung und unmenschliche Zustände in den Internierungslagern an den Außengrenzen – dies alles hat nicht dazu geführt, dass weniger Menschen in Europa Schutz und Sicherheit suchen. Was sollen Abschiebeflüge in vermeintlich sichere Drittstaaten daran ändern? Was gibt uns überhaupt das Recht, Menschen gegen ihren Willen in x-beliebige Drittstaaten zu verfrachten? Menschen, die - und das muss immer wieder betont werden – zum überwiegenden Teil berechtigte Schutzansprüche haben, wie die bereinigte Schutzquote in Deutschland von 72 Prozent in 2022 zeigt?

Offene Fragen und fragwürdige Partner

Es gibt unzählige (menschen-)rechtliche und operative Einwände gegen das beschriebene Konzept. Wie soll die Auslagerung von Asylverfahren mit geltendem EU-Recht in Einklang gebracht werden (oder liegen solche Deals "außerhalb des EU-Rechts", wie EU-Innenkommissarin Johansson kryptisch meinte)? Wer kann die Rechtmäßigkeit der Verfahren in Drittstaaten garantieren, die schon auf den griechischen Inseln nicht gewährleistet ist? Woher kommen die Kapazitäten dafür, und wie soll der Transport von zehn-, nein hunderttausenden Menschen pro Jahr in Drittstaaten logistisch bewerkstelligt werden? Schließlich die Königsfrage: welche Länder sollen die Rolle von ausgelagerten Asylprüfstellen überhaupt übernehmen?

Gut, mit Albanien und Ruanda haben England und Italien zwei potentielle Partnerländer gefunden. In Ruanda möchte sich der seit 20 Jahren regierende ruandische Präsident Kagame wieder einmal als globaler Problemlöser inszenieren und sich zugleich das Schweigen von UK und möglicher anderer Senderländer erkaufen –  zu seinem autoritären Spitzelstaat ebenso wie zu seiner Unterstützung für die Rebellenarmee M23 in der Demokratischen Republik Kongo. Die Zahl der Menschen, die vor der M23 auf der Flucht ist, übersteigt die Zahl der Asylsuchenden, die Ruanda jemals aus Europa wird aufnehmen können, bei weitem.

Die Bereitschaft der zwei Kleinstaaten, Deals zur Auslagerung von Asylverfahren mit einzelnen europäischen Ländern einzugehen, darf zugleich nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Länder außerhalb der EU zu diesem Schritt nicht bereit sind. Im Jahr 2018 wertete die Afrikanische Union die versuchte Auslagerung als Verletzung der Souveränität afrikanischer Staaten, „als eine Ausdehnung der Grenzen dieser [europäischen] Länder und eine Ausweitung ihrer Kontrolle.“  Solche Versuche seien „fremdenfeindlich und völlig inakzeptabel.“

Eine rein europäische Debatte

Die Debatte um die Auslagerung von Asylverfahren ignoriert diese Positionen. Sie ist damit eine rein-europäische Debatte, die als realitätsnahe Lösung daherkommt, dabei aber die Realität in möglichen Kandidatenländern völlig ignoriert, wie der Guardian für den UK-Ruanda-Deal auf beeindruckende Weise nachgezeichnet hat. Es überrascht daher nicht, dass sich sowohl Bundeskanzler Scholz als auch Innenministerin Faeser nach ihren Reisen nach Ghana, Nigeria und Marokko kritisch zu der Durchsetzbarkeit des Ruanda-Modells geäußert haben. Scholz hat seine Meinung mittlerweile zwar revidiert. Zwei aktuelle Publikationen von Misereor und Brot für die Welt bestätigen hingegen dessen ursprüngliche Skepsis anhand der Fallbeispiele Niger und Tunesien. Beide Länder lehnen die Rolle als ausgelagerte Asylzentren weitestgehend ab und torpedieren sie praktisch – und das, obwohl sie mit viel Geld von der EU gelockt werden.

Die Länder des Globalen Südens beherbergen bereits jetzt über 85 Prozent der weltweit vertriebenen Menschen. Warum sollten sie vom wesentlich reicheren Europa noch zusätzliche Menschen aufnehmen? Dazu kommt, dass nicht nur in Europa, sondern auch in vielen derzeit diskutierten Drittstaaten rassistische und xenophobe Ressentiments zunehmen – oft von den Regierungen mitgeschürt. Dass viele EU-Mitgliedsstaaten dennoch versuchen, Drittstaaten durch lukrative Tauschgeschäfte zu solchen Deals zu überreden, zeigt, wie sehr eine restriktive Migrationsagenda entwicklungspolitische und menschenrechtlich orientierte außenpolitische Überlegungen mittlerweile überlagert.

Brot für die Welt fordert: mehr Realpolitik in der Asyl- und Migrationsdebatte

Fakt ist: Die Zahl der Vertriebenen nimmt weltweit zu, und hat mit 110 Millionen Menschen einen neuen Höchststand erreicht. Nur ein geringer Teil der Schutzsuchenden hat Europa als Ziel. Deswegen ist es erstens zentral, die praktische Unterstützung für aufnehmende Länder wie Kolumbien, den Tschad oder Pakistan auszubauen, in Form von finanzieller und logistischer Hilfe, aber auch von deutlich höheren Resettlement-Plätzen.

Zugleich werden Menschen weiterhin nach Europa kommen, egal wie brutal wir das Abwehrregime noch ausbauen. Es ist daher zweitens nicht nur menschlicher, sondern auch ehrlicher, uns auf stetige Zuwanderung von Geflüchteten einzustellen, und unser System darauf auszurichten. Neben der Schaffung der dafür notwendigen Infrastruktur gehört dazu unabdingbar die Möglichkeit zur raschen Integration in den Arbeitsmarkt.

Wir stehen aber noch vor einer dritten, viel größeren Aufgabe: Wie können wir dazu beitragen, dass weniger Menschen zur Flucht gezwungen werden, sondern gute Perspektiven in ihren Heimatländern vorfinden? 2022 sind 238.000 Menschen in Kriegen und Konflikten getötet worden, mehr als doppelt so viele als im Jahr zuvor. Der Klimawandel zwingt immer mehr Menschen in die Flucht, ebenso wie der fehlende Zugang zu grundlegenden Dingen wie sauberem Trinkwasser, Nahrung oder Gesundheitsversorgung. An diese Themen müssen wir ran und unsere Welt friedlicher, gerechter, solidarischer und nachhaltiger gestalten.

Das alles sind keine einfachen Aufgaben, und keine kurzfristigen Lösungen, welche die Verfechter des Ruanda-Modells vermeintlich bieten. Aber es sind ehrliche Ansätze, die keine falschen Versprechungen machen und uns zu einer Realpolitik führen, die diesen Namen auch verdient.

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Lachender Junge

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