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Kos: Laboratorium der EU-Abschottungspolitik

Ein Schnellausleseverfahren für Asylsuchende an den Außengrenzen will die EU zukünftig in der EU-Asylpolitik verankern. Auf der griechischen Insel Kos werden solche Schnellverfahren schon jetzt angewandt – mit katastrophalen Folgen für die Betroffenen. Eindrücke von einem Besuch mit Anwältinnen von unserer Partnerorganisation Equal Rights Beyond Borders.

Von Dr. Andreas Grünewald am
Außenansicht auf das Closed Controlled Access Center auf Kos

Außenansicht auf das Closed Controlled Access Center (CCAC) Kos

Verlässt man die Landebahn des Flughafens Kos, stellt sich sofort das Gefühl ein: Griechenland freut sich auf seine Gäste. Plakate bewerben Luxusressorts auf der Insel, Taxi- und Reisebusschlangen sorgen für eine reibungslose Weiterreise, Corona-Regeln existieren scheinbar nicht. Doch nur einige Kilometer Luftlinie vom Flughafen entfernt, vor den Toren des Closed Controlled Access Center (CCAC) wird klar, dass diese Willkommenskultur nicht für alle gilt. Menschen, die als Asylsuchende nach Kos kommen, erwartet die Inhaftierung in einem Hochsicherheitslager. Meterhohe Mauern, dreifacher Nato-Stacheldraht, eine lebensfeindliche Umgebung aus Beton, Asphalt, Containern, Kameras und Checkpoints – 34 Millionen Euro hat sich die EU diese Realität gewordene Dystopie kosten lassen. Dennoch fehlt es an allem, was es zur Deckung selbst der einfachsten Grundbedürfnisse braucht: ärztliche Versorgung, genießbares Essen, Dolmetscher*innen, Schatten.

Menschenunwürdige Zustände

Letztes Jahr verstarb im CCAC ein Staatsbürger aus Guinea, der tagelang über schwere Bauchschmerzen geklagt hatte, an einem nicht behandelten Blinddarmdurchbruch. Eine Mutter erzählt uns, sie schlafe jetzt im Hochsommer nachts mit ihrem eine Woche altem Säugling auf dem Asphalt im Freien, da die Hitze in den Containern unerträglich sei. In der Abschiebehaft sehen wir Minderjährige, die dort rechtlich gar nicht sein dürften. Für die Anwältinnen des Brot für die Welt-Partners Equal Rights Beyond Borders (ERBB), die sich nach 10-monatigen Auseinandersetzungen einen Zugang zu dem Lager erstritten haben, steht fest: Die Bedingungen im CCAC verstoßen mehrfach gegen geltendes Recht und sind für die meisten Menschen traumatisierender als ihre Flucht selbst. Und dennoch könnte das Beispiel Kos Schule machen. Denn auf Kos wird bereits vieles davon praktiziert, was im Rahmen der Screening- und Asylverfahrensverordnung fester Bestandteil der Politik an den Außengrenzen werden soll: Schnellverfahren, Zulässigkeitsprüfungen, Freiheitsentzug.

Das Versprechen: schnelle Verfahren. Die Realität: fortlaufender Bruch fundamentaler Rechte

Eine Erstentscheidung in nur fünf Tagen – dieses Versprechen der griechischen Behörden auf Kos klingt auf den ersten Blick gar nicht schlecht. Doch das enorme Tempo geht auf Kosten der Qualität der Verfahren, wie unsere Partner von ERBB berichten. Eine ordentliche anwaltliche Vertretung ist in dieser kurzen Zeitspanne kaum zu organisieren – laut einem Frontex-Beamten aber auch nicht wirklich nötig, wie er uns vor Ort erklärt. Aus seiner Sicht störe die Anwesenheit von Anwält*innen bei Interviews das Vertrauensverhältnis zwischen Behörde und Interviewtem ohnehin. Für eine ordentliche Vulnerabilitätsprüfung, also liegt beispielsweise eine besondere Schutzbedürftigkeit eines Menschen aufgrund von Foltererfahrung vor, die die EU vorschreibt, bleibt ebensowenig Zeit wie für eine ernsthafte individuelle Prüfung der Asylanträge. Und so gleichen sich die Erstentscheide der griechischen Asylbehörde fast vollständig. Dazu kommt: Bei einem Großteil der Antragstellenden prüfen die Behörden in einem ersten Schritt ohnehin nur, ob diese aus der Türkei eingereist sind. Die Türkei stufen die griechischen Behörden aktuell als sicheren Drittstaat für Afghan*innen oder Syrer*innen ein. 95 Prozent der Anträge werden damit als unzulässig abgelehnt. Zwar nimmt die Türkei seit zwei Jahren keine Menschen aus Griechenland zurück, doch hindert das die Behörden in Kos nicht daran, abgelehnte Asylsuchende nach der Negativentscheidung sechs Monate in Abschiebehaft zu sperren.

Inhaftierung als Leitprinzip

Der erniedrigende Umgang mit Menschen – er scheint fest in die DNA des Lagers auf Kos eingeschrieben. Die beinahe durchgehende Inhaftierung der Asylsuchenden in den verschiedenen Phasen ihres Verfahrens spielt dabei eine entscheidende Rolle. Inhaftierung wegen illegalen Grenzübertritts, während der Quarantäne (die Asylsuchende im Gegensatz zu Touristen auf Kos durchlaufen müssen), zur Identitätsfeststellung oder zur (fiktiven) Vorbereitung der Abschiebung in die Türkei. Das führt zu der absurden Situation, dass auf Kos zwar Schnellverfahren für Prüfung von Asylsuchenden eingeführt wurden, die meisten Menschen dennoch monatelang in Haft sitzen – womit Griechenland mit dem rechtlichen Grundsatz bricht, Asylsuchende nur in Ausnahmefällen zu internieren. Den Anwältinnen von Equal Rights Beyond Borders ist es zu verdanken, dass sie nicht wesentlich länger weggesperrt werden. Denn ERBB vertritt nicht nur Einzelpersonen vor Ort, sondern versucht über strategische Prozessführung auch strukturelle Verbesserungen zu erreichen – wie die erfolgreiche Reduzierung der maximalen Inhaftierungszeit von 18 auf 6 Monate.

„We are in the pushback-period“

Was die schlechte Behandlung von Menschen im CCAC Kos in ein besonders absurdes Licht stellt: Das Lager ist mit 300 Personen derzeit weit von seiner Kapazitätsgrenze von 2.356 Menschen entfernt. Die niedrigen Zahlen haben zumindest drei Gründe: Erstens werden Asylsuchende nach der sechsmonatigen Inhaftierung ihrem Schicksal überlassen, wenn sie versprechen, das Land innerhalb von 30 Tagen zu verlassen. Zweitens versuchen Bootsflüchtlinge in der Regel die griechischen Inseln zu umschiffen und nehmen stattdessen Kurs auf Italien – die Abschreckung auf Kos zeigt Wirkung. Und drittens zählen Pushbacks mittlerweile zu zentralen Säule der griechischen Abschottungspolitik. „Wir befinden uns im Pushback-Zeitalter“, erklärt eine Anwältin auf Kos, und beschreibt das immer brutalere Vorgehen der griechischen Behörden. Diese beschränkten sich mittlerweile nicht mehr auf Pushbacks auf hoher See, sondern befördern auch Asylsuchende, die es auf die Insel geschafft haben, unter massiver Gewaltanwendung auf hohe See zurück. Das bestätigt auch das UN-Flüchtlingswerk vor Ort. Nur eine Vertreterin der EU-Kommission erklärte mir vor Ort lapidar, es handle sich bisher um Gerüchte, die einer eingehenderen Prüfung bedürften.

Wider den Ausnahmezustand an den EU-Außengrenzen

Die griechischen Inseln sind völlig ungeeignet, um als europäisches Erstaufnahmezentren für Asylsuchende zu fungieren. In abgelegenen Gebieten wie Kos, wo selbst die medizinische Versorgung der einheimischen Bevölkerung nicht gesichert ist, fehlt es an grundlegender Infrastruktur für eine gute Versorgung der Geflüchteten – und auch an einer kritischen Öffentlichkeit, um Missstände fortwährend zu beobachten. Und auch aus anderen Gründen lässt der Besuch auf Kos grundlegende Zweifel bezüglich der Pläne der EU aufkommen, im Rahmen der Screening-und Asylverfahrensverordnung Schnellausleseverfahren an den Außengrenzen zur zentralen Säule der europäischen Asylpolitik zu machen: Wie soll in so kurzer Zeit eine ernsthafte Prüfung des berechtigten Vorliegens von Asylgründen erfolgen, die auch das Recht auf anwaltliche Vertretung und eine Vulnerabilitätsprüfung einschließt? Und was passiert mit den Menschen, die eine Ablehnung erhalten, aber nicht rückgeführt werden können (siehe Türkei)? Inhaftierung für immer?

 

In dem Bericht verarbeite ich persönliche Eindrücke eines Besuchs des CCAC Kos im Juli 2022. Am 26.9. veranstaltet Brot für die Welt mit sieben weiteren Organisationen, darunter Equal Rights Beyond Borders, in Berlin die Konferenz Im permanenten Ausnahmezustand?Menschenrechtliche Herausforderungen an den EU-Außengrenzen – und jenseits des Mittelmeers. Melden Sie sich hier dazu an.

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