Interview

Escazú - neuer Vertrag, alte Probleme?

Das Escazú - Abkommen ist nun ein weiteres Instrument, um zivilgesellschaftliche Organisationen, Menschenrechtsverteidiger*innen und indigene Völker zu unterstützen. Aber, was heisst das nun für die Umsetzung? Mit welchen Herausforderungen ist das Abkommen konfrontiert? Und was bedeutet das für die Arbeit in Honduras, ein Land, das dem Abkommen nicht beigetreten ist?

Von Wolfgang Seiß am
Indigene und Umwelt

Indigene Völker, Schutzgebiete und Ökosysteme

Ein Interview mit Adalberto Padilla, Programmkoordinator und German Casco, Projektbearbeiter in dem von Brot für die Welt geförderten Programm der UICN zur Stärkung der Rechte Indigener und Afro-Mesoamerikaner*innen in Zentralamerika.

Die Weltnaturschutzunion (spanisch: Unión Internacional de la Conservación de la Naturaleza– UICN) ist das älteste und weltweitgrößte internationale Umweltnetzwerk. Es setzt sich zusammen aus staatlichen Institutionen, Einzelstaaten und Nichtregierungsorganisationen und umfasst 1.400 Mitglieder aus 170 Ländern. In Lateinamerika sind die Staaten Peru, Mexiko, El Salvador Mitglied. Das Regionalbüro für Mexiko, Zentralamerika und die Karibik befindet sich in Costa Rica, für Südamerika in Ecuador.

Wolfgang Seiss (W.S.): Adalberto, Du leitest das regionale Programm in Zentralamerika mit Sitz in Honduras. Du selber hast Dich mit dem Thema natürliche Ressourcen und Indigene seit über 20 Jahren befasst. Unter anderem warst Du an der Erstellung der ersten Dokumentationen beteiligt, die den Zusammenhang zwischen intakten Waldgebieten und indigenen Völkern darstellten. Nun tritt das Abkommen von Escazú in Kraft, wie bewertest Du es aus Deiner Sicht, aus Sicht der UICN?

Adalberto Padilla (A.P.): Das Escazú-Abkommen ergänzt, verstärkt und vervollständigt die bereits bestehenden Rechtsinstrumente, die sich speziell auf die Rechte der indigenen Völker beziehen. Zusammen mit der ILO-Konvention 169, der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker, aber vor allem zusammen mit mehreren Urteilen des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte bezüglich der Rechte indigener Völker auf Zugang zu Informationen, auf Partizipation, auf Vorteilsausgleich. Mit Escazú gibt es ein weiteres Instrument, um zivilgesellschaftliche Organisationen, Menschenrechtsverteidiger*innen und indigene Völker zu unterstützen. Ich betone immer indigene Volker, weil wir akzeptieren müssen, dass ein guter Teil der Konflikte, zumindest in Amerika, in indigenen Gebieten und lokalen Gemeinschaften stattfindet, die in hohem Maße vom Wald, vom Land und vom Wasser ihrer Flüsse abhängen. Einerseits wissen wir, dass indigene Völker eine Reihe von Rechten haben, die einen gewissen Schutz für ihr Land und ihre natürlichen Ressourcen garantieren. Andererseits wissen wir auch, dass diese Rechte nicht immer respektiert werden. Ich glaube, es ist ein wichtiges „window of oportunity“/Opportunitätsfenster und strategisch richtig, weiter für den Beitritt der Länder in der Region zu kämpfen, die das Escazú-Abkommen nicht ratifiziert haben.

(W. S.): Ist es in diesem Kontext nicht ein bisschen überraschend, dass Costa Rica, das sich immer als das grünste Land Mittelamerikas rühmt, das seine Wälder und die Natur bewahrt, das auch eines der treibenden und sehr aktiven Länder in Bezug auf Escazú gewesen ist, das Abkommen nicht ratifiziert hat?

(A.P.): In unseren Ländern gibt es politische und wirtschaftliche Dynamiken sowie entsprechende Konjunkturen, die Einfluss auf solche Prozesse wie die Ratifizierung haben. Die beiden Länder, die für das Escazú-Abkommen warben, waren Chile und Costa Rica, und keines von beiden hat es ratifiziert! Chile zog sich aus dem Prozess zurück. In Costa Rica legte die Regierung das Abkommen dem Obersten Gerichtshof zur Prüfung vor. Die für Verfassungsfragen zuständige Kammer gab eine Stellungnahme ab, wonach ein Verfahrensfehler begangen wurde und das Gesetz erneut dem Parlament vorgelegt werden müsse. Wir hoffen, dass sowohl Regierung als auch Parlament den Ratifizierungsprozess in Kürze wiederaufnehmen.

(W.S.): Was bedeutet das Abkommen für eure Arbeit und wie stellt sich die Lage in Honduras dar?

(A.P.): Ein neues Thema für alle Länder ist der Zusammenhang zwischen der Verteidigung von Menschenrechtsverteidigern*innen und Umweltrechten. Das UN- und das Interamerikanische System haben in der Frage des Zugangs zu Informationen bereits einige Erklärungen oder Bestimmungen formuliert, auf die sich die beteiligten Länder geeinigt hatten: Transparenz, Rechenschaftspflicht zum Beispiel. Aber dieses Thema Menschenrechtsverteidiger*innen in Umweltfragen ist völlig neu. Die UICN hat bereits vor einigen Jahren eine Resolution zur Unterstützung von Umweltschützer*innen verabschiedet, also von Menschen, die durch die Verteidigung ihres Landes und ihrer natürlichen Ressourcen in ihrer psychischen und physischen Integrität bedroht sind. Eine solche Resolution, wie sie die UICN verabschiedet hat, verpflichtet auch die Mitgliedstaaten zu deren Einhaltung. Das ist aber nicht immer der Fall. Daher stärkt das Abkommen von Escazú einige der politischen und institutionellen Prozesse, die bereits in diese Richtung gehen. Wir wissen aber auch, dass es erhebliche Herausforderungen gibt. In vielen Ländern sind die Umweltgenehmigungsverfahren noch nicht öffentlich, und es gibt auch ein Problem beim Informationszugang für Frauen. Diese sind stärker benachteiligt.

German Casco (G.C.): In Honduras arbeiten wir mit dem Institut für Umweltrecht von Honduras (IDAMHO) zusammen. Wir wurden von IDAMHO eingeladen, Teil des zivilgesellschaftlichen Netzwerks für Escazú zu sein. Dort arbeiten verschiedene Akteure zusammen, darunter die ACT Alliance oder das Netzwerk honduranischer Nichtregierungsorganisationen (ASONOG). Das Institut ist eine der Schlüsselinstanzen im Land, um eine Netzwerkarbeit zwischen verschiedenen Akteuren zu fördern. Dieses Netzwerk hatte erreicht, dass die Regierung von Honduras das Abkommen unterschrieb und setzt sich jetzt für die Ratifizierung ein. Aber das Netzwerk umfasst nur eine eher begrenzte Liste von Organisationen. Natürlich ist sie sehr repräsentativ, aber die Zivilgesellschaft besteht nicht nur aus ihnen. Ich denke, die Herausforderung besteht darin, mehr Akteure einzubeziehen. Die Artikulation von mehreren zivilgesellschaftlichen Akteuren ist der Schlüssel zu einer echten gemeinsamen Lobbyarbeit. Akteure, die sich stark für das Thema Umweltrecht, aber auch für die Menschenrechte, einsetzen. Ein zentraler Akteur sind die Organisationen der indigenen Völker, die wirklich Inhaber*innen von Rechten (an Land und Ressourcen) sind. Daher ist eine Erfüllung des Abkommens für sie besonders wichtig. Im letzten Jahr haben wir begonnen, das Abkommen in die Sprache des Miskito-Volkes zu übersetzen. Wir diskutieren mit den Gemeinden, damit dieses Instrument in ihrer Sprache bekannt ist und die Übersetzung vor einer Veröffentlichung validiert werden kann.

Was den Nicht-Beitritt von Honduras zum Abkommen betrifft, so hat sich die Regierung bislang nicht dazu geäußert, wann sie dem Abkommen beitreten will. Die Regierung sandte das Abkommen an insgesamt 14 Ministerien, damit sie eine Einschätzung über dieses Instrument abgeben. Sieben sagten „warten Sie ab“. Wie wir über das Netzwerk erfuhren, das sich für den Beitritt zum Abkommen von Escazú einsetzt, hat das Ministerium für Öffentliche Sicherheit die Ratifizierung mit dem Argument abgelehnt, dies würde für den honduranischen Staat unnötige Kosten verursachen. Wir wissen nicht, ob es eine vorgesehene Zeitschiene für die Antworten der anderen Ministerien, noch für einen möglichen Beitritt gibt.

(A.P.): In manchen Fällen – nicht nur in Honduras - wird der Beitritt zum Escazú Abkommen dadurch verhindert, dass wirtschaftliche Sektoren oder Investoren befürchten, dass dieses Abkommen Investitionen in Energie- und Rohstoffbereichen verzögert. Auf der anderen Seite müssten öffentliche Einrichtungen, die mit dem Thema Konzessionen im Bereich natürliche Ressourcen befasst sind oder mit Umweltverträglichkeitsprüfungen, ihre Normen und Vorgaben aktualisieren, wenn das Abkommen in Kraft tritt. Einige Länder Zentralamerikas weisen z.B. Gesetzgebungen auf, die den Zugang zu Informationen als vertraulich klassifizieren und die öffentliche Mitbestimmung über Projekte im extraktivistischen oder energetischen Bereich einschränken.

(W.S.): In Chile gab es einen politischen Wechsel, von Bachelet hin zu Pineda. Ist die Ratifizierung von Escazú und die Umsetzung des Abkommens nicht auch vom (nicht-) vorhandenen politischen Willen in den Ländern abhängig?

(A.P.): Ich stimme Dir vollkommen zu. Ein Beispiel: Fast alle Länder Zentralamerikas, mit Ausnahme von Panama und El Salvador, haben die Konvention 169 über die Rechte der indigenen Völker ratifiziert. Alle wären verpflichtet, das Recht der indigenen Völker zu garantieren, konsultiert zu werden und Zugang zu Informationen über jede Initiative zu erhalten, die die Integrität ihres Landes, ihrer Wälder, ihrer Flüsse gefährden könnte. Darüber hinaus müssten sie die Anwendung der freien, vorherigen und informierten Zustimmung garantieren, das Recht auf das Territorium, Selbstbestimmung, eine saubere Umwelt.

Aber wir sehen in vielen Fällen ein Auseinanderklaffen zwischen der Konvention und der Realität, aus vielfachen Gründen: Darunter sicherlich fehlende oder unzureichende Mechanismen und fehlender politischer Wille.Es gibt einige Länder, die sagen: „Ja, das habe ich ratifiziert, aber, wenn ich Umweltverträglichkeitsprüfungen für Projekte durchführe, sagt mir mein nationales Gesetz, dass ich dafür öffentliche Anhörungen machen muss. Daher kann ich keine Konsultation mit indigenen Völkern durchführen.“

(W.S.): Was steht nun an, was ist das Besondere an Escazú?

(A.P.): Nachdem das Abkommen nun in Kraft tritt, müssen die Länder, die es ratifiziert haben und damit beigetreten sind und diejenigen die noch beitreten wollen die Voraussetzungen für die Umsetzung schaffen. Das bezieht sich auf den politischen Willen, aber auch auf die Schaffung geeigneter institutioneller Mechanismen und die Bereitstellung von Finanzmitteln. Es bedeutet eine neue Art öffentlicher Politik, weil üblicherweise Beschlüsse auf der zentralen Ebene entworfen und umgesetzt werden. Escazú entwirft ein anderes Schema: Es betont die Notwendigkeit, inklusivere und partizipativere Räume zu schaffen, bevor endgültige Entscheidungen getroffen werden. Es sind strukturelle Veränderungen erforderlich, nicht nur in den öffentlichen Institutionen, sondern auch in der Privatwirtschaft. Auch sie muss erkennen, wie wichtig die Einhaltung der Bestimmungen von Escazú und eines staatlichen Rechtsrahmens ist. Und wir müssen auch über andere Akteure, wie beispielsweise internationale Banken sprechen: In vielen Fällen finanzieren sie Projekte, die Auswirkungen auf die Umwelt, auf die Menschen haben. Als Teil ihrer Sozial- und Umweltsicherungsmaßnahmen sollte die Garantie enthalten sein, dass ordnungsgemäße Prozesse und Verfahren durchgeführt werden und dass Escazú und andere Menschenrechtsinstrumente eingehalten werden.

Im Abkommen steht, dass die Umsetzung schrittweise erfolgen soll. Das macht Sinn, denn für viele unserer Länder bedeutet es Neuland. Es wird viele der öffentlichen Institutionen berühren, die prüfen müssen, wie das Abkommen in das nationale Rechtssystem eingebaut werden kann. Das wird Zeit brauchen. Aber, denken wir daran, wie viele Jahre wir an einer Stärkung des institutionellen Rahmens gearbeitet haben, um die Achtung der Menschenrechte und die Achtung der Umwelt zu garantieren. Und wie dennoch die Menschenrechte verletzt werden, die Entwaldung voranschreitet.

Eine weitere Herausforderung ist es, wie konkrete Maßnahmen und Aktionen aussehen können, um den Fahrplan der Umsetzung voranzutreiben, wie die Beteiligung am Abkommen im Rahmen der Vertragsstaatenkonferenz aussehen kann. Nicht nur in den Ländern, die bereits ratifiziert haben. Dies wird eine intensive Arbeit der Zivilgesellschaft erfordern. Und viel Klarheit darüber, welches die notwendigen Schritte sind, um eine vollständige Umsetzung dieses Abkommen zu erreichen.

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Lachender Junge

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