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„Jetzt nach Alternativen für Weizen suchen“

Russland und die Ukraine zählen zu den wichtigsten Weizen-Exporteuren der Welt. Wie sich der Krieg in der Ukraine auf die Staaten auswirkt, die von den Weizen-Importen besonders abhängig sind, und wie das die Welternährung gefährdet, erklärt unser Agrar-Experte Francisco Marí im Interview.

Von Renate Vacker am
Francisco Marí

Francisco Marí ist Referent für Welternährung, Agrarhandel und Meerespolitik bei Brot für die Welt

Die Ukraine und Russland gehören weltweit zu den größten Weizen-Exporteuren. Wird der Krieg zu Hungersnöten im Nahen Osten und einigen Ländern Afrikas führen?

Das kommt darauf an, wie sich die Kriegssituation entwickelt, wie hoch die Ernte-Ausfälle in der Ukraine sind und vor allem ob Russland ab Sommer seine hohen Überschüsse nicht exportieren kann oder will. Dazu kommt die Frage, ob es nun Ländern wie Ägypten, Kenia oder Nigeria gelingt, alternative Handelspartner zu finden. Noch ist Zeit, sich nach alternativen Nahrungsangeboten umzuschauen. Momentan nicht ganz so teuer ist zum Beispiel Reis.

Der Preis für eine Tonne Weizen hat sich innerhalb kurzer Zeit fast verdoppelt – liegt das nur am Ukraine-Krieg?

Nein, es gab auch vor dem Krieg schon einen dramatischen Anstieg. Der Krieg hat den Weizenpreis noch einmal um 30 Prozent klettern lassen. Doch bei jedem Hoffnungsschimmer auf Frieden fällt der Weizenpreis kurzfristig – genau wie die Öl- und Gaspreise. Hier zeigt sich die enge Koppelung der Weizenpreise an die Energiepreise. Denn industrielle Landwirtschaft und besonders Weizenanbau ist sehr energieintensiv. Es fängt beim Dünger an, geht über die maschinelle Bodenbearbeitung und Ernte und hört bei den Mühlen und dem Transport nicht auf. Weizen und der Weizenpreis sind zudem ein beliebtes Spekulationsobjekt bei Nahrungsmitteln, Weizen wird an Börsen als Rohstoff gehandelt. Beteiligte Aktiengesellschaften sind in vielen Rohstofffonds oder ETFs (börsengehandelte Indexfonds) zu finden. Anleger werden momentan in Fachzeitschriften zu solchen Anlagen gelockt, in der „Hoffnung“ auf eine Verschärfung der Hungerkrise. Sollten wirklich auch die russischen Ernten nicht auf dem Weltmarkt platziert werden, dann wird das einen weiteren nie gesehenen Preisschub mit sich bringen und ebenso ein Spekulationsrennen um sogenannte Futures (Terminkontrakte) auf Weizenernten.

Warum ist die Abhängigkeit von Weizenimporten so groß?

Weizen ist aus unterschiedlichen Gründen ein Grundnahrungsmittel in einigen Regionen der Welt. Angebaut wird er eher in gemäßigten Zonen oder auf höheren Lagen, wie Nordamerika, Europa, aber auch in Indien, Australien oder Südamerika. In tropischen Regionen ist Weizenanbau nicht möglich. Nordafrika und der Nahe Osten sind ein Sonderfall, weil dort traditionell seit Jahrhunderten Weizen Grundlage für Brot ist. Der Anbau hält jedoch mit der Bevölkerungsentwicklung und dem schlechten Zustand der Böden oder wegen Konflikten wie in Syrien, Libyen, Jemen oder dem Irak nicht Schritt. Ägypten baut 40 Prozent seines Eigenbedarfs an und will aufgrund der Krise mehr Fläche zur Verfügung stellen. Schon jetzt wird auf der Hälfte der Agrarfläche Weizen angebaut.

Und in anderen Regionen der Welt?

In West- und Zentralafrika, aber auch in Ostafrika ist die Abhängigkeit Relikt einst sehr günstiger Weizenexporte aus der Europäischen Union. Hoch subventionierte Weizenimporte haben das Ernährungsverhalten der Menschen, besonders in den Städten, weg von einheimischem Getreide und Nahrungsvielfalt hin zum Brotkonsum innerhalb weniger Jahrzehnte stark verändert. Vor allem in frankophonen westafrikanischen Staaten ist die tägliche Baguette-Stange auch ein wenig Symbol, dass man Teil einer globalisierten Ernährungswelt ist. Ist Brot in einem Land dann erst einmal Grundnahrungsmittel, ist der Brotpreis ähnlich wie bei uns das Maß für alle Nahrungsmittel. Viele Regierungen sind gezwungen, den Brotpreis zu stützen, damit dieser das günstigste Grundnahrungsmittel bleit. Die Staaten sind hoch abhängig von Importen, auch zur Freude der europäischen Agrarexporteure. Diese durch EU-Billigimporte erzwungene Nahrungsveränderung in Westafrika entwickelt sich zur Ernährungs- und oft auch zur politischen Krise, wenn die Weizenpreise auf dem Weltmarkt steigen.

Könnten die Bauern jetzt nicht einfach Getreide anbauen, das in ihrem Land wächst wie Hirse, Mais oder Reis?

Ja, die Fixierung auf Weizen wäre in Afrika gar nicht notwendig. Die Staaten müssten allerdings größere Anstrengungen unternehmen, um wieder ihre eigenen klimatisch angepassten Getreidearten anzubauen. Früher war beispielsweise Sorghum, eine Hirseart, in Ägypten ein vorherrschendes Getreide, Fonio südlich des Sahel. Doch die aktuelle Situation könnte zum Umdenken führen: So empfiehlt etwa das Institut für Weltwirtschaft in Kiel afrikanischen Entscheidungsträgern, die Abhängigkeit von einzelnen Export-Ländern zu verringern. Fehlende Getreideimporte sollten durch andere Nahrungsmittel ersetzt oder die Produktion im eigenen Land erhöht werden. Allerdings könnte der Versuch von Senegal und Kenia, von EU-Weizen durch Importe aus der Schwarzmeerregion unabhängiger zu werden, nun zum Problem werden.

In Deutschland sollen jetzt Brachflächen, die eigentlich bedrohten Arten Schutz bieten, kurzfristig als Anbauflächen etwa für Getreide ausgewiesen werden. Ist das eine gute Idee, um Engpässe in Entwicklungsländern zu überbrücken?

Selbst wenn, käme das für dieses Jahr zu spät: Der Sommerweizen ist ausgesät und nicht so ertragreich wie Winterweizen. Ziel dieses Plans ist außerdem nicht die Hungerbekämpfung, sondern mehr Flächen für den Futtermittelanbau zur Fleisch- und Milchproduktion zu schaffen. Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt auf, dass diese Flächen, die vier Prozent der landwirtschaftlichen Anbaufläche in der EU ausmachen, höchstens 0,4 Prozent mehr Weizen auf dem Weltmarkt für die menschliche Ernährung ergeben. Hinter der Idee steht vielmehr der Versuch von Agrarindustrie und einigen Bauernverbänden, die wenigen Fortschritte in der EU-Agrarpolitik durch Missbrauch der aktuellen Hungerkrise wieder aufzuheben. Außerdem: Selbst wenn die Sorge um die Entwicklungsländer die Triebfeder wäre, dürften noch mehr Weizenüberschüsse mittelfristig die Länder länger in Importabhängigkeit halten. Genau die sollte aber überwunden werden. Eine Reduzierung der Anbaufläche in Europa wäre dazu sehr hilfreich. Denn langfristig höhere Weizenpreise – nicht extrem hohe Preise – helfen den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Afrika, endlich auch ihre eigenen Märkte zu erreichen und Kosten zu reduzieren, um günstige Getreideprodukte für die ärmere Bevölkerung zu ermöglichen. Auch wenn es vielleicht nicht mehr die tägliche Baguette-Stange wäre.

Weizen wird auch als Tierfutter oder für Biosprit genutzt. Ist das angesichts der drohenden Hungerkrise noch vertretbar?

Nein, dass der allergrößte Teil der deutschen Getreideernte verfüttert wird oder im Tank landet, ist der eigentliche Skandal. Jetzt noch mehr Flächen dafür zu fordern, ist unverantwortlich. Eine Reduzierung der Viehbestände für die Fleisch- und Milchproduktion und die Verringerung der Getreidenutzung für Agrotreibstoffe wären ein deutliches Signal an die Getreidebörsen und würde zu sinkenden Preisen führen. Dann könnten Industrieländer tatsächlich Reserven mit diesem eingesparten Weizen bilden, die sie im Falle einer Mengenkrise im Herbst Entwicklungsländern sofort zur Verfügung stellen könnten.

Was sollte die Bundesregierung tun, um den besonders betroffenen Ländern zu helfen?

Für die schon jetzt auf Nothilfe angewiesenen Staaten wie Jemen, Libanon, Südsudan und Kenia müssen die finanziellen Mittel des Welternährungsprogramms deutlich aufgestockt werden, damit nicht die Nahrungsrationen aufgrund der hohen Weizenpreise gekürzt werden. Wichtig ist auch, dass die Bundesregierung dazu beiträgt, in der Nothilfe von der Weizenfixierung wegzukommen und dem Welternährungsprogramm hilft, etwa bei den guten Reisernten zur Nahrungsdiversifizierung beizutragen, zumal es bei Reis noch moderate Weltmarktpreise gibt. Die Bundesregierung sollte darüber hinaus unbedingt eine Sondersitzung des Welternährungsrates einberufen. Hier kämen Bäuerinnen und Bauern, Staaten und auch der Privatsektor zusammen, um zu beraten, was zum Beispiel auch die Erzeugerinnen und Erzeuger von Nahrungsmitteln an Soforthilfe brauchen, um ihre Angebote auf die lokalen Märkte zu bringen. Sie könnten kurzfristig ihre Produktion steigern und damit Engpässe überwinden. Dies wäre auch ein Schritt aus der Abhängigkeit von wenigen Getreidesorten hin zu mehr Ernährungssicherheit. Da gerade die industriellen Anbaumethoden mit ihrer Abhängigkeit von energieintensiven Inputs die hohen Weltpreise bestimmen, erwarten wir von einer Sondersitzung auch entscheidende Impulse und mehr Unterstützung für die agrarökologische Landwirtschaft.

Wie hilft Brot für die Welt?

Wir warnen seit langem davor, weiter die Welternährung bei Grundnahrungsmitteln in Abhängigkeit von Weltmärkten zu halten. In vielen Ländern fördern wir Programme, die dieser Importabhängigkeit und einseitigen Ernährung entgegenwirken. Damit verringern wir zugleich die Abhängigkeit der Bäuerinnen und Bauern von industriellem Saatgut, Pestiziden oder mineralischem Dünger. Denn dafür müssen sie sich verschulden und verarmen, wenn die Preise bei der Ernte fallen. Agrarökologie ist also das Primat unserer Unterstützung und Nahrungsvielfalt das Angebot an Konsumentinnen und Konsumenten, die vom eiweißarmen Einerlei von Weißbrot, Maisbrei oder Reis wegwollen. In der jetzigen Preiskrise helfen Projekte, die mit den Bäckern vereinbart haben, dass sie dem Teig für Baguette dreißig bis fünfzig Prozent lokales Hirsemehl zusetzen. Projekte zum lokalen Reis- und Gemüseanbau, zur besseren Lagerhaltung und zum besseren Transport verringern hohe Ernteverluste. Auch die Unterstützung der Kleinfischerei oder Tierhaltung kann zu weniger einseitigem Brotkonsum beitragen. Unsere Partner beraten und schulen, wie Schädlinge ökologisch bekämpft werden, Erträge gesteigert, die Bodenfruchtbarkeit erhöht und ein besseres Wassermanagement aufgebaut werden kann. Auf dieser Grundlage werden wir in den nächsten Wochen bei entsprechenden Anfragen prüfen, wie wir Partnern in Ländern, die noch von teuren Weizenimporten abhängig sind, dabei helfen können, der eigenen Bevölkerung nahrhafte Alternativen zum verteuerten Brot anzubieten. Denn auch nach der hoffentlich bald endenden Aggression Russlands, wird uns die Klimakrise leider erhalten bleiben, neben allen Konflikten, besonders auch in Afrika.

Und auf politischer Ebene?

Wir werden weiterhin mit den Partnerorganisationen an die EU, die Bundesregierung, die G7, die Welternährungsorganisation FAO und den Welternährungsrat CFS appellieren, endlich wirksame internationale Verantwortung zu übernehmen, um auch in Krisenzeiten das weltweit geltende Menschenrecht auf eine ausreichend gesunde Ernährung zu gewährleisten.

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Lachender Junge

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