Vandana Shiva
Bewahrerin der Natur
Vandana Shiva weiß, dass aus einem kleinen Samenkorn etwas Großes wachsen kann. Sie muss sich nur auf ihrer Farm im nordindischen Dehradun umblicken. 120 Sorten Weizen und neun Sorten Mangobäume wachsen dort im Sommer. Die Kraft des Samens wirkt aber noch weiter. Sie beginnt als eine Idee und verändert das Wissen und Verhalten von vielen Menschen.
Indische Umweltaktivistin
Vandana Shiva wird 1952 in den Vorbergen des Himalayas geboren. Ihre Eltern lehren sie die Liebe zur Natur. Doch als junge Frau hat sie zunächst andere Interessen. Ihr Vorbild ist Albert Einstein. Sie studiert Physik und promoviert in Kanada über Quantentheorie. Ihr Herz aber bleibt in der Heimat. In den Ferien kehrt sie zurück und engagiert sich in der Chipko-Bewegung. Es ist die erste indische Umweltbewegung. Bäuerinnen kämpfen in den 1970er Jahren gegen die Abholzung von Wäldern – indem sie sich an Bäume ketten. „Chipko zeigte mir, wie ich mit Liebe Widerstand leisten kann“, sagt Shiva.
Heldenportrait Vandana Shiva
Die Organisation Navdanya
1987 ist Vandana Shiva auf einer Konferenz in Genf. Vertreter großer Agrarkonzerne erklären dort, sie wollten Patente auf gentechnisch veränderte Saaten anmelden. Auf den Märkten solle nur noch zertifiziertes Saatgut verkauft werden. Shiva beschließt: „Ich werde das traditionelle Saatgut bewahren.“ Sie gründet die Organisation Navdanya, das ist Hindi und heißt „Neun Samen“.
Aufbau der Saatgutbank
Vandana Shiva fährt durch die Dörfer ihrer Heimat und fragt die Bauern nach Saatgut. So beginnt sie den Aufbau ihrer Saatgutbank in Dehradun. Schnell merkt sie, dass ihr Vorhaben für sie allein zu groß ist. Sie verfasst einen Brief an Brot für die Welt – und erhält postwendend Unterstützung. Seitdem sind die beiden Organisationen Partner. Heute lagern in Shivas Bank Samen von etwa 1000 Kulturpflanzen, allein 750 Sorten Reis, dazu verschiedene Sorten Weizen, Bohnen, Hirse, Linsen, Sesam und Senf.
Im Kreislauf des Teilens
Navdanya verteilt das Saatgut kostenlos an seine Mitglieder. Diese müssen nach der Ernte die eineinhalbfache Menge an die Saatgutbank zurück- oder an zwei andere Familien weitergeben. So geht der Kreislauf des Teilens immer weiter. Auf der Farm in Dehradun werden außerdem Bauern geschult. Sie lernen, wie sie Saatgut aufbewahren, wie man Kompost herstellt und wie man Schädlinge auf biologische Weise bekämpft. So stellen immer mehr Familien auf nachhaltige Landwirtschaft um. In einigen Dörfern entstehen neue Saatgutbanken.
Trägerin des Alternativen Nobelpreises
1993 bekam Vandana Shiva den Alternativen Nobelpreis. 2004 stoppte Navdanya ein Gesetzesvorhaben, das das Recht der Bauern einschränken sollte, eigenes Saatgut zu benutzen. Jedes dritte Kind in Indien gilt als chronisch unterernährt. Und das nur, „weil wir Baumwolle anbauen und Hybrid-Mais, der an Tiere verfüttert wird“, sagt Shiva. „Nahrungsmittel verschwinden von unseren Feldern und damit von den Tellern der Armen.“ In den alten Saaten sieht sie die Lösung gegen Mangelernährung.
Ein Kampf gegen das Vergessen
Dank Navdanya werden vergessene Sorten wiederentdeckt, zum Beispiel die Fingerhirse, genannt Ragi, reich an Kalzium und Eisen. Sie ist jetzt wieder indienweit populär. Vandana Shiva hat eine Vision. 2047, zum 100. Jahrestag der Unabhängigkeit des Landes, soll Indiens Landwirtschaft giftfrei sein. Dafür reist sie um die Welt, streitet vor Gerichten, überzeugt Regierungsvertreter und Bauern. Vandana Shiva sagt: „Der Kampf gegen den Hunger ist auch ein Kampf gegen das Vergessen.“