Ständig in Gefahr aufzufliegen
Wer in Pakistan afghanischen Flüchtlingen hilft, muss massive Unterdrückung fürchten. Der Staat will diese Unterstützung nicht.
Rund 1,5 Millionen Menschen hat das UN-Flüchtlingswerk UNHCR in Pakistan Anfang 2022 erfasst; Schätzungen zufolge leben eine weitere Million Menschen ohne Flüchtlingsstatus im Land. Etwa 90 Prozent der registrierten ‒ und wohl auch der nicht registrierten ‒ Geflüchteten stammen aus Afghanistan. Allein im Sommer 2021 sind eine Viertel Million Afghan:innen nach dem Abzug der NATO-Truppen vor den Taliban ins Nachbarland geflohen.
Völkerrechtliche Abkommen zum Schutz von Geflüchteten wie etwa die Genfer Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen von 1951 und das ergänzende Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1967 hat Pakistan nie unterzeichnet. Im Land gilt das nationale Ausländergesetz von 1946. Aktuell nimmt Pakistan die vom UN-Flüchtlingshilfswerk im Land registrierten Geflüchteten jedoch erst einmal auf: Sie bekommen eine Registrierungskarte, können damit Krankenhäuser aufsuchen und ihre Kinder in die Schule schicken. Auch Universitäten stehen ihnen offen. Allerdings will die pakistanische Regierung keine weiteren Flüchtlinge aus Afghanistan aufnehmen. Ihr Hauptziel ist es mittlerweile, diese dazu zu bewegen, Pakistan „freiwillig“ zu verlassen ‒ auch mit Druck: Allein 2022 wurden rund 65.000 Menschen aus Pakistan vertrieben. Afghanische Geflüchtete in Pakistan berichten von zunehmenden Schikanen der Polizei, von Zwangsräumungen und Erpressungen. In der Provinz Sindh etwa wurden Ende 2022 über 1.500 afghanische Geflüchtete verhaftet und teils abgeschoben, obwohl einige eine gültige Aufenthaltsgenehmigung hatten.
Viele Verbrechen werden nie geahndet
Geflüchtete gelten in Pakistan als Sicherheitsrisiko. Mit ihnen seien Taliban ins Land gekommen und hätten Kriminalität und Terrorismus zugenommen, argumentieren Regierung und Militärapparat und berufen sich auf einige Fälle, auf die dies zutrifft. Laut einer Umfrage des letzten World Values Survey aus dem Jahr 2018 ‒ der weltweit umfangreichsten Untersuchung zu Werturteilen ‒ ist auch jeder zweite Pakistani dieser Auffassung. Daran hat sich nach Aussage von Aktivist:innen bis heute nichts geändert. Viele derer, die keine Flüchtlinge im Land möchten, argumentieren zudem, Pakistans Wirtschaft liege am Boden und auch pakistanische Familien müssten täglich ums Überleben kämpfen. „Die Flüchtlinge und ihre Not haben bei vielen Pakistani keine Priorität“, bedauert ein Gesprächspartner von Brot für die Welt, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben muss.
Dabei tragen andere Faktoren zu der im Land herrschenden großen Unsicherheit bei: Seit Imran Khan im April 2022 nach einem Misstrauensvotum als Regierungschef abgesetzt wurde, nehmen die Spannungen zwischen den politischen Lagern weiter zu. Die Flutkatastrophe im Sommer 2022 hat die Situation noch verschärft: Ein Drittel des Landes stand damals wochenlang unter Wasser, 33 Millionen Menschen waren betroffen ‒ und noch im Winter 2022/23 konnten 598.000 Menschen nicht in ihre Heimatorte zurückkehren. Hinzu kommt, dass Politik und Verwaltung von Intransparenz, Korruption und Diskriminierung insbesondere sexueller, religiöser und ethnischer Minderheiten geprägt sind. Viele Vergehen und Verbrechen werden nicht geahndet, Täter:innen nie zur Verantwortung gezogen.
Kirchen und Moscheen im Visier
Zwar haben Verfassungsreformen in den Jahren 2010 und 2018 formal die demokratischen Strukturen gestärkt ‒ also das Parlament, die Selbstverwaltung der Provinzen, die Justiz, den Premierminister. Doch letztendlich kontrollieren Geheimdienste und das Militär ‒ Pakistan hat die sechsgrößte Armee der Welt ‒ seit der Unabhängigkeit 1947 das Land. Eine eigene demokratische Kultur konnte sich in Pakistan nicht herausbilden. Wer Menschenrechte verteidigt oder über ihre Verletzungen berichtet, gilt schnell als Staatsfeind oder als Agent des Westens oder Indiens. Unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit bringen die Regierung, Militärs und Geheimdienste all jene zum Schweigen, die sie, ihre Politik, ihr Vorgehen oder den Islam vermeintlich kritisieren. Büros von NGOs werden angegriffen oder wie im Fall der Organisation Plan International sogar niedergebrannt. Aktivist:innen werden attackiert, bedroht, unterdrückt, willkürlich inhaftiert, überwacht, entführt, manche auch getötet. Dabei legt der Staat Gesetze ‒ besonders das Cybersicherheits-, Antiterrorismus- und Strafgesetz ‒ willkürlich aus.
Von der Repression gegen zivilgesellschaftliche Akteure sind auch Menschen betroffen, die sich für jene einsetzen, die der pakistanische Staat am liebsten wieder loswerden würde: Geflüchtete. Im September 2021 etwa drohte die Provinzregierung von Belutschistan, jeden zu verfolgen und hart zu bestrafen, der afghanischen Flüchtlingen Zuflucht bietet, sie beherbergt oder ihnen Essen gibt. Vor allem Kirchen und Moscheen hatten sich bis dato für Flüchtlinge engagiert. Vielerorts können sie jetzt nur noch im Verborgenen helfen. „Wir sind ständig in Gefahr, von den Militärs entdeckt, bedroht, erpresst und verschleppt zu werden“, sagt eine Aktivistin, auch sie muss anonym bleiben.
Der Fall Muhammad Idris Khattak
Gängige Praxis, Strafe und Drohgebärde zugleich ist die Verschleppung von Menschenrechtsverteidiger:innen, zu denen auch manche mutige Journalist:innen in Pakistan gehören. Gewaltsames Verschwindenlassen ist der etwas sperrige Begriff. Viele Staaten weltweit wenden diese Praxis immer wieder an, um gegen Kritiker:innen vorzugehen und sie einzuschüchtern. Viele werden noch immer vermisst.
Laut Amnesty International haben 2022 in Pakistan 13 Familien die Aufklärung der Umstände rund um das Verschwinden gefordert. Eines der Opfer ist Muhammad Idris Khattak. Er hat für Human Rights Watch und Amnesty International viele Fälle von Verschwindenlassen dokumentiert ‒ und wurde am 13. November 2019 selbst verschleppt. Sieben Monate später bekannte das pakistanische Verteidigungsministerium auf Druck von Khattaks Tochter, ihn in Gewahrsam genommen und wegen Verstoßes gegen das Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnissen angeklagt zu haben. Was Khattak genau vorgeworfen wurde, sagte das Verteidigungsministerium nicht ‒ ebensowenig, wo er sich aufhält. Nicht einmal sein Anwalt durfte ihn sprechen, Khattak blieb verschwunden. Erst im Dezember 2021 hörte man wieder von ihm: Er sei wegen Spionage von einem Militärgericht zu einer Haftstrafe von 14 Jahren verurteilt worden. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International versuchen, ihn freizubekommen. Bislang vergeblich.
Staat verschleppt Registrierung
Vor allem die Finanzierung von Menschenrechts-NGOs durch Geldgeber aus dem Ausland versucht der Staat zu unterbinden. NGOs müssen ein aufwendiges und undurchsichtiges Registrierungsverfahren bei den Sozialministerien auf Provinzebene durchlaufen, und sie brauchen eine Genehmigung vom Wirtschaftsministerium. Dafür werden auch Mitarbeiter:innen von NGOs durchleuchtet. Dieses Prozedere ist auch im Land umstritten. Registrierungsverfahren werden von den Behörden häufig verschleppt, Genehmigungen nicht erteilt.
Das war einmal anders: Von 1990 bis 2010 konnten NGOs unbehelligt arbeiten. Es gab zwar Regulierungsgesetze, doch der Staat setzte sie nur lax durch. NGOs wurden immer einflussreicher, und dank der Mittel aus dem Ausland waren sie mitunter besser ausgestattet als staatliche Stellen ‒ und auch deswegen religiösen Führern, Politiker:innen, Geheimdiensten und Generälen zunehmend ein Dorn im Auge. Um zu regulieren, welche gemeinnützige Organisation wie und wo tätig ist, und sie, wenn nötig, auch auszubremsen, regeln heute fünf Gesetze auf Provinzebene die Registrierung von NGOs. Der Staat legt damit fest, welche Vorhaben finanziert werden dürfen ‒ die Themen Menschenrechte, Stärkung der Demokratie, Religionsfreiheit und Konfliktbearbeitung sind nicht dabei. Im März 2021 stimmte die EAD nur 359 von 979 Anträgen zu ‒ gerade mal jedem dritten. Abgelehnt wurden auch internationale Hilfsorganisationen wie Plan International, Open Society Foundation und Action Aid, weil sie mit Geflüchteten aus Afghanistan arbeiten.
Zivilgesellschaft wird ausgehebelt
Mit den Registrierungsgesetzen und der Kontrolle darüber, wer Geld nach Pakistan schickt, erfüllt der Staat durchaus internationale Anti-Terror-Leitlinien. Allerdings kann die pakistanische Regierung so auch alle zivilgesellschaftlichen Kräfte aushebeln, die sie kritisieren oder vermeintlich gegen nationale oder religiöse Interessen arbeiten. Die Folge: 2014 zählte die nationale Anti-Terrorismus-Behörde noch 64.719 NGOs. 2019 ‒ dem Jahr der bislang letzten Erhebung ‒ waren nur noch 15.982 aktiv. 75 Prozent hatten binnen fünf Jahren ihre Arbeit eingestellt.
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