Helfen verboten
In den Jahren 2015 und 2016 wurden Nichtregierungsorganisationen und Freiwillige gefeiert, die Flüchtenden und Migrant:innen halfen. Heute dürfen sie diesen nicht mal mehr Wasser oder trockene Kleidung reichen.
Als 2015 mehr als 860.000 Menschen auf ihrer Flucht nach Europa in Griechenland ankamen, wurden sie herzlich empfangen. „Damals und im Jahr darauf war die Solidarität der Griechen riesengroß“, erinnert sich Dorothee Vakalis von NAOMI, einer Partnerorganisation von Brot für die Welt. Diese Hilfe war notwendig: Nicht der Staat versorgte die Flüchtenden mit Wohnungen, Medizin, Essen, beriet sie rechtlich oder organisierte Sprachkurse. Sondern Freiwillige aus ganz Europa, spontan gegründete Initiativen und NGOs.
Heute ist die Lage in Griechenland eine vollkommen andere: Unabhängig von ihrem völkerrechtlichen Anspruch auf Schutz werden Geflüchtete von vielen Griech:innen und ihrem Staat als „Illegale“ betrachtet und kriminalisiert. Aber auch zivilgesellschaftliche NGOs, die sich für Geflüchtete einsetzen, werden in Griechenland vor immer höhere bürokratische Hürden gestellt, ihre Mitarbeitenden schikaniert oder als „Schleuser“ verhaftet. „Früher konnten wir zum Strand fahren, die Menschen begrüßen, Schilder mit unseren Telefonnummern aufstellen ‒ das ist heute undenkbar“, sagt Alice Kleinschmidt von Borderline Europe auf Lesbos.
Pushbacks und hohe Haftstrafen
Die Lage für Asylsuchende und ihre Helfer:innen verschlechtert sich in Griechenland seit Jahren. Das begann 2016 mit dem EU-Türkei-Deal, dessen Ziel es ist, Flüchtlinge abzuhalten, nach Europa weiterzureisen. Er hat den geopolitischen Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei noch verschärft. Und er führt bis heute dazu, dass Geflüchtete tagelang auf dem Mittelmeer oder Grenzfluss Evros zwischen beiden Ländern hin- und hergeschoben werden ‒ ohne Essen, ohne Kleidung, ohne Unterstützung. Und es gipfelt in den sogenannten Pushbacks ‒ dem Zurückdrängen von Asylsuchenden zurück auf das Meer oder den Evros, also in türkisches Hoheitsgebiet, oder an die Grenzen zu den Nachbarstaaten. Pushbacks verstoßen gegen internationales Menschen- und Völkerrecht ‒ zumal die Geflüchteten oft auch misshandelt und gefoltert werden.
Nach Angaben des griechischen Justizministeriums sitzen in den Gefängnissen des Landes neben Verurteilten wegen Drogendelikten vor allem Menschen, denen vorgeworfen wird, Flüchtende ins Land zu schmuggeln. Beispiel Transport: Auf Grundlage von Artikel 30 des Gesetzes 4251/2014 zum Thema Immigration begeht jede Person eine Straftat, die ein Gefährt steuert, mit dem Menschen ohne gültige Aufnahmepapiere nach Griechenland einreisen. Das Perfide: Weil pro transportierter Person zehn Jahre Haft angesetzt werden, belaufen sich die Strafen auf oft über hundert Jahre. Das Gesetz trifft vor allem Geflüchtete, die selbst für kurze Zeit das Steuer eines Boots übernehmen, weil Schlepper:innen gar nicht mehr mit an Bord gehen. Nach Angaben der NGO Borderline Europe verhaftet die griechische Küstenwache im Schnitt ein bis zwei Geflüchtete pro Schiff. Der Vorwurf: Beihilfe zur illegalen Einreise.
Kein Zutritt
Die rigorose Flüchtlingspolitik und die isolierten Flüchtlingslager und Mauern um die Camps kommen in der griechischen Bevölkerung gut an: 2022 waren vier von fünf Griech:innen zufrieden mit dem Vorgehen der Regierung. Diese zeigt ihre Politik der Abschottung beispielsweise im Zervou Refugee Camp auf Samos ‒ ein Pilotprojekt, das als Vorbild für vier weitere Closed Controlled Access Camps (CCAC) in Griechenland dient; sie sollen langfristig alle alten Lager ablösen.
Die EU hat den Bau der dystopischen Camps mit 274 Millionen Euro finanziert ‒ schließlich sei Griechenland das „Schutzschild Europas“, so EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen. NGOs und Anwält:innen kommen kaum noch in die CCAC. Auch in allen anderen Camps des Landes will die griechische Regierung sie am liebsten nicht mehr sehen. In die Camps kommt nur, wer einen festen Einzeltermin und die Erlaubnis der Behörden dafür hat. Offene Beratungstreffen können die NGOs gar nicht mehr anbieten. Die Abschottung der Camp-Insassen von potentiellen Helfer:innen nahm zu, nachdem die rechtskonservative Regierungspartei Nea Dimokratia im April 2020 mit einem weiteren Gesetz ‒ dem Gesetz 4662/2020 ‒ die Registrierung von griechischen und ausländischen NGOs neu regelte: Seitdem müssen alle Organisationen, die im Bereich Asyl, Migration und soziale Eingliederung arbeiten, eine mehrstufige Registrierung durchlaufen, um aktiv werden zu dürfen. Sie ist aufwendig, undurchsichtig und ‒ mit bis zu 25.000 Euro ‒ teuer. NGOs müssen beispielsweise von Wirtschaftsprüfern kontrollierte Jahresabschlüsse vorlegen, die mindestens zwei Jahre Erfahrung im humanitären Bereich belegen ‒ damit sind jüngere Organisationen automatisch ausgeschlossen.
Kritik als Fake News abgetan
Brot für die Welt-Partner Equal Rights Beyond Borders klagt aktuell vor dem höchsten Verwaltungsgericht in Griechenland gegen das Verfahren; es sei verfassungswidrig. Auch die Vereinten Nationen kritisierten es scharf.
Unter Druck geraten sind auch Journalist:innen, die über Versäumnisse und Fehler der griechischen Flüchtlingspolitik und über die staatlichen Repressionen gegenüber Geflüchteten, Migrant:innen und Unterstützende berichten. Ende 2022 wurde bekannt, dass neben einer Reihe von Politiker:innen auch Stavros Malichudis, der in internationalen Medien über die Behandlung der Geflüchteten in Griechenland schreibt, mit der Spionagesoftware Predator abgehört worden war. Medienberichte über Pushbacks werden von der griechischen Regierung oft als Fake News abgetan. „Man hat das Gefühl, es müssen sich nicht diejenigen rechtfertigen, die an den Grenzen Menschenrechtsverbrechen begehen, sondern diejenigen, die diese dokumentieren“, kritisiert Franziska Grillmeier, sie schreibt für Zeit.de und andere Medien über das Thema Flucht in Europa.
Seenotretter unter Druck
Immer mehr NGOs ziehen sich aufgrund der zunehmenden Repression zurück ‒ besonders NGOs, die in der Seenotrettung arbeiten. Ihre Schiffe werden in Häfen festgesetzt, Mitarbeitende von NGOs und Freiwillige kommen mitunter auch in U-Haft. „Leider haben die zunehmende Repression und Kriminalisierung durch die griechischen Behörden den weiteren Einsatz unmöglich gemacht“, so die NGO Mare Liberum.
Organisationen wie Borderline Europe Lesbos stellen ihre Angebote um und bieten beispielsweise Sozialberatung außerhalb der Camps an. Andere NGOs wie etwa Josoor haben ganz aufgegeben. Drei Strafverfahren hat die griechische Regierung gegen Josoor eingeleitet; der Vorwurf: illegale Beihilfe zur Einreise. Alle wurden mangels Beweisen eingestellt. Trotzdem unternehme die Regierung noch immer „enorme Anstrengungen, um Beweise für unser angebliches Fehlverhalten zu finden“, schreibt die NGO auf ihrer Homepage. Der Staat schrecke nicht mal davor zurück, Asylsuchende als Informanten anzuwerben oder die Telefone von NGO-Teams zu überwachen.
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