Interview

„Die Debatten werden entlarvend sein“

Trotz steigender Durchschnittstemperaturen und häufigerer Wetterextreme gibt es nach wie vor kein entschlossenes Handeln gegen die Klimakrise. Sabine Minninger von Brot für die Welt appelliert an die Verantwortung der Industriestaaten gegenüber den ärmsten Bevölkerungsgruppen im Globalen Süden. Bei der Klimakonferenz in Dubai erwartet sie von Deutschland, mit gutem Beispiel voranzugehen.

Von Kai Schächtele am
Verhandlung bei der Klimakonferenz in Ägypten 2022

In Räumen wie diesem verhandelt die Welt, welches Land wie viel Verantwortung zu übernehmen bereit ist – Szene vom Klimagipfel 2022 in Ägypten.

Frau Minninger, die 28. Weltklimakonferenz findet im Dezember in Dubai statt, einem Land, dessen Reichtum auf fossilen Brennstoffen aufgebaut ist und das sich im aktuellen Atlas der Zivilgesellschaft in der schlechtesten Kategorie bei den Handlungsräumen für diese wiederfindet. Was bedeutet das für die Verhandlungen?

Die Klimakonferenzen finden in Kooperation mit den Vereinten Nationen statt. Deshalb schwingt bei uns als Zivilgesellschaft bei der Wahl eines Gastgeberlandes auch immer die Hoffnung mit, dass ein Land, das bisher auf Menschenrechte nicht viel Wert gelegt hat, eine progressivere Rolle einnehmen wird. Ich habe vor einigen Wochen in Berlin den Präsidenten der COP getroffen, Sultan Al Jaber. Und er hat zugesagt, dass es die COP mit dem höchsten Maß an Teilhabe werden wird, das es jemals gab. Er hat garantiert, dass sich die Zivilgesellschaft frei äußern kann und niemand Angst zu haben braucht.

Vertrauen Sie diesen Zusagen?

Auch bei der COP 27 in Ägypten im vergangenen Jahr gab es diese Versprechen und trotzdem hing uns der Geheimdienst an den Fersen. Das geschah nicht mal diskret. Wir haben uns ständig beobachtet gefühlt. Viele befürchten, dass es während der COP 28 für uns als Vertreter*innen der internationalen Zivilgesellschaft zu Einschränkungen kommen könnte.

Welche Folgen hat es, wenn Sie wie in Ägypten ständig das Gefühl haben, überwacht zu werden?

Das führt dazu, dass man ständig Angst vor Repressalien hat. In Ägypten wurde niemand festgenommen. Aber niemand weiß, was in Dubai passieren wird. Dazu muss man sagen: Auch in westlichen Demokratien gab es in der Vergangenheit Festnahmen, zum Beispiel bei der legendären COP 15 in Kopenhagen im Jahr 2009. Von dieser Konferenz ist vor allem die prügelnde Polizei in Erinnerung geblieben. Auch in Katowice bei der COP24 in Polen im Jahr 2018 wurden einige Aktivist:innen verhaftet.  

„Größte Gefahr dieser COP ist, dass die falschen Technologien salonfähig werden“

Viele befürchten, dass mit der Wahl von Dubai als Gastgeberland die Fossil-Lobby an der Spitze der Konferenz sitzen und jeden Wandel zu einer fossilfreien Welt verhindern wird. Wie kommt es zu so einer Wahl?

Es gibt ein rotierendes System und bei der COP-Präsidentschaft wird kein Land ausgeschlossen. Wer ausgewählt wird, soll eine Vorreiterrolle einnehmen für mehr Klimaschutz. Und so sehen sich die Vereinigten Arabischen Emirate ja auch: Sie sind der Ansicht, sie würden den Klimaschutz stärken. Allerdings nicht durch die Reduzierung von fossilen Brennstoffen, sondern durch Zukunftstechnologien wie die Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff aus der Atmosphäre. Doch dieses Verfahren ist im größeren Maßstab nicht einsatzfähig, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu limitieren. Zudem ist es zu teuer. Die größte Gefahr dieser COP ist, dass sie solche Technologien salonfähig macht, statt aus den Fossilen auszusteigen und den schnellen Ausbau der Erneuerbaren Energien voranzutreiben.

2500 Kilometer nordwestlich von Dubai herrscht seit dem 7. Oktober Krieg. Viele befürchten außerdem, dass sich der Israel-Gaza-Konflikt auf die gesamte Region ausweiten könnte. Könnte er auch die Klima-Verhandlungen beeinflussen?

Dazu gibt es wilde Spekulationen. Meine Einschätzung: Der Konflikt wird sich auf die Ergebnisse der COP kaum bis gar nicht auswirken. Ich sehe weder bei Israel noch bei Palästina, die beide einen Sitz im UNFCCC (UN Framework Convention on Climate Change) haben, ein Interesse, Verhandlungen zum Klimaschutz zu gefährden. Allerdings dürfte der Krieg wenig geeignet sein, die ohnehin bestehenden Auseinandersetzungen zwischen Globalem Norden und Süden zu entschärfen.

„Ein gnadenloses Geschacher“

Was wäre das beste und was das schlimmste Ergebnis dieser Konferenz?

Das beste wäre, wenn wir ein globales Ausstiegsdatum aus den Fossilen erreichen könnten. Daran ist die COP im vergangenen Jahr gescheitert. Das schlimmste Ergebnis wäre, wenn das nicht gelänge. Die Vereinigten Arabischen Emirate lassen mit ihrer eigenen Positionierung leider nichts Gutes erwarten. Außerdem ist es wichtig, dass die von der Erderwärmung besonders betroffenen Bevölkerungsgruppen im Globalen Süden die finanzielle Unterstützung erhalten, die ihnen zusteht. Dazu braucht es einen Fonds für die Bewältigung von klimabedingten Schäden und Verlusten.

 Dieser Fonds heißt in der Sprache der Klimakonferenzen Loss and Damage-Fonds. Er wurde im vergangenen Jahr beschlossen und soll nun eingerichtet werden. Woran hapert es noch?

Wir erleben, dass die Unterstützung der ärmsten und verletzlichsten Bevölkerungsgruppen im Globalen Süden in der Klimakrise immer wieder gegen Klimaschutzmaßnahmen wie den Ausstieg aus den Fossilen verhandelt wird. Das ist ein gnadenloses Geschacher am Verhandlungstisch. Die Entwicklungs- und Schwellenländer, die fossile Brennstoffe exportieren, auf der einen Seite verhandeln gegen die Industriestaaten auf der anderen Seite. Gerade die ärmsten und verletzlichsten Bevölkerungsgruppen in den am wenigsten entwickelten Ländern wie Bangladesch oder arme Inselstaaten wie Tuvalu trifft die Klimakrise am stärksten. Unsere Sorge ist, dass deren Interessen zwischen den Blöcken zerrieben werden. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass das nicht passiert, und das wird sehr schwierig werden.

Was heißt das konkret?

Gerade die Industriestaaten enttäuschen seit langem die Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder und der Inselstaaten, weil sie ihre alten finanziellen Versprechen aus dem Pariser Klimaabkommen nicht einhalten. Deshalb haben sich diese Staaten unter den Schutz von Staaten geflüchtet, die überhaupt nicht im Interesse der schwächsten Länder verhandeln: Schwellenländer wie China oder Öl exportierende Entwicklungsländer wie Saudi-Arabien. Am Verhandlungstisch haben diese Länder den schwächsten Staaten die Kraft gegeben, den Loss and Damage-Fonds entgegen der Haltung der Industriestaaten durchzusetzen. Aber dafür haben die verletzlichsten Staaten die Schwellenländer unterstützt, sich gegen den Ausstieg aus den Fossilen zu stellen. Das ist völlig paradox. Schuld daran sind die Industriestaaten, die es 30 Jahre lang nicht geschafft haben, das Vertrauen der schwächsten Staaten zu gewinnen. Es krankt in diesem Prozess an Vertrauen. Das ist das Grundproblem.

„Die Industriestaaten müssen vorangehen“

Was fordern Sie?

Es braucht jetzt Angebote, um Vertrauen aufzubauen. Deutschland muss sich mit anderen Industriestaaten dafür einsetzen, dass der Fonds robust eingerichtet wird. Und dann müssen die Industriestaaten vorangehen beim Einzahlen. Bislang weigern sie sich mit der Begründung, dass die Öl exportierenden Entwicklungs- und hochemittierenden Schwellenländer auch einen Beitrag leisten müssten. Aber nach den Prinzipien der Klimarahmenkonvention stehen die Industriestaaten in erster Verantwortung. Die Entwicklungs- und Schwellenländer sagen: Solange die Industriestaaten ihre Rechnung aus Paris noch nicht beglichen haben, nämlich 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr ab 2020 für Klimaschutz und Anpassung bereitzustellen, weigern wir uns, eine Selbstverpflichtung für den Loss and Damage-Fonds einzugehen. So kann dieser Streit nicht weitergehen.

Sie haben in den vergangenen Monaten viele Gespräche geführt mit den Verhandlungsführer*innen aus Deutschland – haben Sie das Gefühl, dass Deutschland diese Forderung verstanden hat?

Ich habe das Gefühl, dass Deutschland verstanden hat, dass man auf die ärmsten und verletzlichsten Staaten zugehen muss. Ich habe allerdings nicht das Gefühl, dass die Industriestaaten gewillt sind, gegenüber den Schwellen- und Entwicklungsländern einzuknicken, indem sie sie aus der finanziellen Verantwortung nehmen. Das wäre eine übliche Verhandlungstaktik. Aber das ist nicht gesund für diesen Prozess.

„Irgendwann unmöglich, sich gegen Klimarisiken zu versichern“

Der Juli 2023 war der heißeste Monat seit Aufzeichnung der Copernicus-Messdaten 1940. Nichtsdestotrotz ist die Welt weiter stabil auf Fossilkurs. Sie fahren als Referentin für Klimapolitik seit 16 Jahren zu Klimakonferenzen. Was ist Ihre Strategie, um weiter hoffnungsvoll zu bleiben?

Viele wissenschaftliche Studien zeigen, dass wir ein großes Problem haben, das nicht an Ländergrenzen Stopp macht. Auch wir in Deutschland bekommen die Klimakrise hart zu spüren. Außerdem ist bereits abzusehen, dass es irgendwann nicht mehr möglich sein wird, sich gegen die Klimakrise zu versichern. Die Policen für die Absicherung gegen Wetterextreme orientieren sich am Klimarisiko und die werden wir irgendwann nicht mehr bezahlen können. Kraft geben mir die jungen Menschen, die sich für Klimagerechtigkeit engagieren und Politiker*innen in die Verantwortung rufen. Wir sehen auch immer mehr Akteure aus der breiten Gesellschaft wie Gewerkschaften und Kirchen, die sich das Thema auf die Fahne geschrieben haben. Und auch alle ernstzunehmenden Parteien haben die Klimakrise angenommen, auch wenn sie noch nicht den richtigen Kurs gefunden haben, auf die globale Krise und vor allem die Schutzbedürfnisse der verletzlichsten Länder zu antworten.

Das alte Problem: Viele reden vom Klimaschutz, aber schrecken davor zurück, daraus konkrete Politik zu machen. Glauben Sie, dass wir nun wirklich vor einem Paradigmenwechsel stehen?

Ich habe das Gefühl, dass viele versuchen, die Krise anzugehen. Aber es ist noch nicht gelungen, die Schlagkraft für konkrete Politik zu entwickeln und große Teile der Bevölkerung hinter sich zu bringen. Wir verlagern das Problem immer nur auf den nächsten Tag. Ich höre aus der Politik oft: Wir können uns echten Klimaschutz nicht leisten. Ich beschäftige mich seit Jahren intensiv damit, welche Schäden die Klimakrise anrichtet und wie viel Geld es kostet, sich daran anzupassen, und ich kann sagen: Wir können uns Nichtstun nicht leisten.

Freuen Sie sich trotz allem auf die Reise nach Dubai?

Ja. Zum einen ist der Loss and Damage-Fonds zum Greifen nah. Und zum anderen: Egal, wie der Klimaschutz diskutiert wird, die Debatten werden auch entlarvend sein. Die Medien und die Zivilgesellschaft sind vor Ort und wir lassen uns nicht veräppeln. Ich bin zuversichtlich, dass es gelingen wird, die faulen Eier als das zu entlarven, was sie sind. Und es ist besser, das passiert auf der Weltbühne als zuhause im stillen Kämmerlein. Ein Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate bekommt wahrscheinlich bei sich zuhause nur Beifall. Umso wichtiger ist es, dass er mitbekommt, was der Rest der Welt davon hält, wenn er vom Problem ablenkt und wertvolle Zeit verschwendet, indem er auf viel zu teure und problematische Technologien setzt statt auf nachhaltigen und sofortigen Klimaschutz. Genauso werden wir die Industriestaaten, allen voran die USA, auf der Weltbühne an das Verursacherprinzip erinnern und daran, dass sie ihre alten Finanzversprechen endlich einlösen müssen.

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