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Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen heute

Anlässlich der 10. Werner-Lottje-Lecture haben Brot für die Welt und das Deutsche Institut für Menschenrechte in Berlin mit Menschenrechtsaktivist:innen und internationalen Expert:innen den aktuellen Stand des Schutzes von Menschenrechtsverteidiger:innen diskutiert.

Von Dr. Johannes Icking am
TeilnehmerInnen des Abschlusspodiums der Konferenz "Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen im Kontext zunehmenden Autoritarismus"

Auf der Konferenz wurde der aktuelle Stand des Schutzes von Menschenrechtsverteidiger:innen diskutiert

Seit 10 Jahren veranstalten Brot für die Welt und das Deutsche Institut für Menschenrechte jährlich die Werner-Lottje-Lecture, um ein Schlaglicht auf die Arbeit und die Herausforderungen eine:r herausragende:r Menschenrechtsverteidiger:in zu werfen. Bei der diesjährigen Konferenz wurde diskutiert, welche neuen Bedrohungen und Herausforderungen für Menschenrechtsverteidiger:innen heute ausgesetzt sind, wie wirksam die bestehenden Schutzmechanismen noch sind und ob das Schutzsystem insgesamt noch angemessen ist. 

In ihrer Einführung wies Silke Pfeiffer von Brot für die Welt auf den Zusammenhang der wachsenden Verfolgung von Menschenrechtsverteidiger:innen und des zunehmenden weltweiten Autoritarismus hin. Jedes Jahr würden mehr Morde an Menschenrechtverteidiger:innen, mehr Fälle von Kriminalisierung und Inhaftierung dokumentiert. Und, wie Brot für die Welt jedes Jahr im Atlas der Zivilgesellschaft dokumentiert, nimmt die Zahl der Länder, in denen sich die Zivilgesellschaft frei entfalten kann, stetig ab.

Neue Herausforderungen im Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen

Das erste Panel der Konferenz befasste sich mit neuen Herausforderungen und Gefahren, denen sich Menschenrechtsverteidiger:innen heute ausgesetzt sehen. In immer mehr Ländern weltweit werden Menschenrechtsverteidiger:innen so stark unterdrückt, dass sie kaum noch nennenswerte Handlungsräume besitzen. Viele sehen sich gezwungen ihre Heimat zu verlassen und ihre Arbeit aus dem Exil fortzusetzen. Eines dieser Länder ist Russland, von dem Anna Sevortian vom EU-Russia Civil Society Forum berichtete. Bereits vor dem großangelegten Angriff Russlands auf die Ukraine hatte die russische Regierung eine Reihe drakonischer Gesetze erlassen, die alle grundlegenden Freiheiten beschneiden. Nach dem 24. Februar habe die Repression noch einmal deutlich zugenommen. So gebe es heute in Russland 536 politische Gefangene. Zwar befinde sich, wie Savortian betonte, nach wie vor ein Großteil der Zivilgesellschaft im Land, Hunderte politische russische Aktivist:innen hätten Russland aber verlassen müssen und befänden sich nun im Exil. Von den Maßnahmen westlicher Staaten gegen Russland, vor allem von Einreiseverboten gegen Russ:innen, seien auch die Menschenrechtsverteidiger:innen betroffen. Ihnen müsse die Einreise und der Aufenthalt in der EU gestattet werden.

David Moore vom International Center for Non-Profit Law(ICNL) wies auf die rasante Zunahme von repressiven Gesetzen hin, die in den letzten Jahren weltweit von Regierungen erlassen wurden, um die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger:innen zu behindern und die unabhängige Zivilgesellschaft einzuschränken. Seit 2018 habe ICNL 240 rechtlicher Maßnahmen dokumentiert, die zivilgesellschaftlichen Handlungsraum tangieren. Der überwiegende Teil davon wirke sich repressiv auf die Zivilgesellschaft aus, lediglich 16% würden ihren Handlungsraum erweitern. Regierungen seien dabei bemüht, alle Formen zivilgesellschaftlicher Aktivitäten zu behindern: Sie erschweren die Registrierung von NGOs, behindern den Zugang zu finanziellen Ressourcen sowie die Organisation von Protesten und bestrafen die freie Meinungsäußerung sowohl offline wie online. Vielfach würden autokratische Regierungen dabei voneinander lernen und repressive Gesetze gegenseitig kopieren. Aber auch wichtige Erfolge bei der Verhinderung repressiver Gesetze habe es gegeben. Diese basierten immer auf dem organisierten Widerstand lokaler Organisationen.

Der Sonderberichterstatter für Umweltschutzverteidiger:innen unter der Aarhus Konvention, Michel Forst, führte in sein erst 2020 geschaffenes Mandat ein. Zurecht werde der Situation von Umweltschutzverteidiger:innen heute mehr Aufmerksamkeit geschenkt als noch vor zehn Jahren. Insbesondere ganze Gemeinschaften, deren Lebensgrundlage von Umweltverschmutzungen bedroht ist, würden zwangsläufig zu Verteidiger:innen ihrer Rechte werden. Zunehmend würden auch Klimaschutzaktivist:innen verfolgt, darunter auch Kinder und Jugendliche, die sich für den Erhalt einer lebenswerten Zukunft einsetzen.

Schutzmechanismen für Menschenrechtsverteidiger:innen

Das zweite Panel blickte dann auf die Wirksamkeit der existierenden Schutzmechanismen für Menschenrechtsverteidiger:innen und fragte nach möglichen Reformen, um diese effizienter werden zu lassen. Eindrücklich berichtete die tschadische Menschenrechtsanwältin Delphine Djiraïbé vom Public Interest Law Center von ihren Erfahrungen mit Bedrohungen und der Unterstützung, die sie von verschiedenen Schutzmechanismen erhalten hätte. Als eine der ersten Anwältinnen ihres Landes hatte sie großen Anteil an der Verurteilung des tschadischen Ex-Diktators Hissène Habré wofür sie dieses Jahr mit dem Martin-Ennals Awards, dem weltweit wichtigsten Preis für Menschenrechtsverteidiger:innen ausgezeichnet wurde. Wegen ihres Engagements wird sie seit Jahren bedroht und musste den Tschad zeitweise verlassen. Sie kritisierte die langsame Antwort der EU Delegation und von Botschaften auf akute Bedrohungssituationen. Zum Teil werde erwartet, dass erst Formulare ausgefüllt werden, dann sei es für die bedrohten Menschen aber schon zu spät. Weiterhin sei es oft unmöglich, im Bedrohungsfall schnell ein lebensrettendes Visum für die EU zu erhalten. Termine bei den Botschaften seien monatelang ausgebucht und direkte Ansprechpersonen für Menschenrechtsverteidiger:innen nicht verfügbar.

Diese persönlichen Eindrücke bestätigte Hannah Neumann, Vizevorsitzende des Menschenrechtsunterausschusses im Europäischen Parlament, die vor Kurzem einen Überprüfungsbericht zur Umsetzung der EU Richtlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen vorgelegt hat. Dabei stellte sie fest, dass die EU positiven Einfluss auf die Sicherheitslage von bedrohten Aktivist:innen ausüben könne, ihre Möglichkeiten aber oft nicht genügend nützte. Oft agiere die EU nur reaktiv, wenn die Bedrohung bereits akut sei und bereite sich nicht auf sich abzeichnende Bedrohungslagen vor. Auf die Machtübernahme der Taliban und die darauffolgende massive Bedrohung der afghanischen Zivilgesellschaft sei die EU überhaupt nicht vorbereitet gewesen. Aber es gebe auch positive Beispiele: In Kolumbien sei die Menschenrechtslage als entscheidender Faktor für einen gelingenden Friedensprozess hoch auf der politischen Agenda der EU. Das zeige sich in einem zwischen den EU Botschaften koordinierten Einsatz für Menschenrechtsverteidiger:innen, der beispielhaft für andere Länder sein könnte.

Kerstin McCourt von Front Line Defenders bestätigte, dass es meist wenig Koordinierung zwischen den EU Mitgliedsstaaten gebe. Zudem werden selbst einfachste Vorgaben der EU Richtlinien immer noch nicht umgesetzt: Viele EU Delegationen würden auf ihren Webseiten immer noch keine Kontaktpersonen für Menschenrechtsverteidiger:innen angeben. Entscheidend dafür ob sich die EU in einem Land für Menschenrechte einsetze sei aber insbesondere der politische Kontext. In Ländern mit denen die EU gerade ein Freihandelsabkommen verhandele, nehme die Bereitschaft sich für bedrohte Menschen einzusetzen spürbar ab.

Schutz von Menschenrechtsverteidiger:innen im Kontext von zunehmendem Autoritarismus

Auf dem abschließenden dritten Panel wurde dann der aktuelle Stand des Schutzes von Menschenrechtsverteidiger:innen und die Frage diskutiert, wie Menschenrechte in einem Zeitalter des zunehmenden Autoritarismus wirksam durchgesetzt werden können.

Alejandra Ancheita, von der mexikanischen Menschenrechtsorganisation ProDESC, berichtete von den Erfolgen ihrer Arbeit, aber auch von Erfahrungen mit Repression. Angesprochen auf die Entwicklungen in den letzten zehn Jahren, berichtete sie, dass Gewalt und Repression gegen Menschenrechtsverteidiger:innen zwar zugenommen hätten. Vor allem seien sie heute aber auch raffinierter als in der Vergangenheit. Neue Formen der Unterdrückung wie repressive Gesetze seien oft wirkungsvoller als direkte Gewalt. Neu sei auch die Zunahme von Gewalt, die von nichtstaatlichen Akteuren wie dem organisierten Verbrechen oder von Unternehmen ausginge.

Mary Lawlor, UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechtsverteidiger:innen, widersprach der These, dass wegen des weltweit zunehmenden Autoritarismus, die Lage der Menschenrechte heute so schlecht sei wie lange nicht mehr. Denn zum einen verkenne dies die wichtigen Erfolge, die in den letzten Jahrzehnten errungen wurden, zum Beispiel bei der Überwindung der brutalen Diktaturen in Lateinamerika. Zum anderen würden Menschenrechtsverteidiger:innen heute auch in Demokratien verfolgt, wie insbesondere die Repressionen gegen Aktivist:innen, die sich für die Rechte von Migrant:innen einsetzten, zeige. Schließlich sei die Zunahme der Repression weltweit auch ein Ausweis für die Effektivität zivilgesellschaftlichen Engagements. Menschenrechtsverteidiger:innen würden verfolgt, weil sie für die Mächtigen eine Gefahr darstellen würden.

Günter Sautter, Leiter der Abteilung für Internationale Ordnung im Auswärtigen Amt, gab zu bedenken, dass die Länder, die sich für die Menschenrechte einsetzten, heute nicht mehr denselben Einfluss wie früher hätten. Ihnen stünde eine zunehmend größer werdende, von China angeführte Koalition gegenüber, die bemüht sei, die internationale menschenrechtsbasierte Ordnung umzustoßen. Zudem würden sich beim Einsatz für Menschenrechte immer wieder Dilemmata für die deutsche Außenpolitik ergeben. Gegenüber dem Iran könne man sich beispielsweise nicht gleichermaßen gegen nukleare Proliferation und für die Menschenrechte einsetzen.

Dem widersprach Gerald Staberock, Generalsekretär der Weltorganisation gegen die Folter. Zwar stimme es, dass der Westen heute weniger Einfluss als früher habe, um auf die Einhaltung von Menschenrechten weltweit hinzuwirken. Zu oft würden heute aber, unter dem Vorwand ohnehin nichts bewegen zu können, überhaupt keine Anstrengungen für einzelne Menschenrechtsverteidiger:innen unternommen. Vor zehn Jahren hätten Botschafter:innen aus EU Staaten noch jede Gerichtsverhandlung im Fall eines Aktivisten aus Bangladesch besucht. Heute sei im gleichen Fall kein:e einzige:r Botschafter:in mehr dazu zu bewegen. Eine besondere Gefahr seien doppelte Standards beim Einsatz für Menschenrechte, wenn Verletzungen bei einigen Ländern kritisiert, bei anderen aber totgeschwiegen würden. Eine solche Ungleichbehandlung bringe schlussendlich die Idee universeller Menschenrechte selbst in Gefahr.

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