Anfang Juli präsentierte die Europäische Kommission den EU-Mitgliedstaaten die endgültige Fassung des EU-Mercosur-Abkommens. Der 25 Jahre andauernde Verhandlungsmarathon mit dem südamerikanischen Staatenbund, dem Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay angehören, kommt damit zu seinem vorläufigen Ende. Anfang 2026 soll der Ratifizierungsprozess im Europäischen Parlament beginnen.
Die Merz-Regierung und die EU-Kommission betrachten das Abkommen als einen Meilenstein, um sich im geopolitischen Konkurrenzkampf zu behaupten. Die wachsende Bedeutung Chinas in Lateinamerika betrachten Berlin und Brüssel als eine Bedrohung der eigenen ökonomischen Interessen. Chinas Bedeutungszuwachs in der Region ist in der Tat beachtlich. Stammte der größte Teil der Mercosur-Importe bis 2017 noch aus der EU, importieren die vier südamerikanischen Staaten inzwischen Güter im Wert von 25 Milliarden US-Dollar mehr aus China als aus der Europäischen Union. Die Exporte nach China übertreffen die in die EU sogar um fast das Doppelte. Interessantes Detail: China gelang der Ausbau der wirtschaftlichen Verflechtungen ohne ein Handelsabkommen mit dem Mercosur.
Ungleichheit statt Handel auf Augenhöhe
Die aktuelle Studie von Brot für die Welt, Misereor und PowerShift ‚EU-Mercosur-Abkommen ante portas?‘ zeigt: Der Vertrag ist für die Entwicklungsperspektiven der Mercosur-Staaten ähnlich einseitig wie die gegenwärtigen Handelsbeziehungen zu China. Gegenüber beiden Handelspartnern befindet sich der Mercosur bereits gegenwärtig in der Doppelrolle des Lieferanten von günstigen Rohstoffen und Abnehmern von teuren Industriewaren. Das Handelsabkommen mit der EU droht diese ungleichen Beziehungen und die damit einhergehenden sozial-ökologischen Risiken sogar noch zu verstärken.
Die vereinbarten Liberalisierungen des Agrarhandels erhöhen den Druck auf die sensiblen Ökosysteme im Mercosur, indem sie den Expansionsbestrebungen des Agrobusiness in die Karten spielen. Allein in Brasilien hat sich die Anbauflächen für Soja seit dem Jahr 2000 mehr als verdreifacht. Gegenwärtig belegen die Sojafelder in Brasilien eine Fläche, die annähernd der Größe von Deutschland und Griechenland zusammen entspricht. Der Abbau der noch bestehenden Handelsschranken für Soja wird zur weiteren Abholzung der Tropenwälder und zur Zerstörung wichtiger Feuchtgebiete beitragen. Zugleich befeuern sie gewaltsame Landkonflikte, deren Opfer zumeist lokale Gemeinschaften und indigene Gruppen sind. Dabei würde gerade der Schutz indigener Territorien zur Vermeidung großflächiger Abholzungen des Amazonas beitragen.
Export von Erbgut schädigenden Pestiziden
Durch den Zollabbau auf Chemikalien fördert das Abkommen den Export mit hochgiftigen Pestiziden von der EU in den Mercosur, von denen ein Teil in Europa nicht einmal zugelassen ist – wie etwa das Fungizid Carbendazim, welches das Erbgut schädigen kann. Die christliche Landpastorale aus Brasilien dokumentiert in einer aktuellen Analyse ein besonders erschreckendes Phänomen: den gezielten Einsatz von Pestiziden gegenMenschen. Demnach setzen die Handlanger des Agrobusiness immer häufiger Pestizide gegen Indigene, Kleinbauern und Kleinbäuerinnen oder lokale Gemeinschaften ein, die sich gegen Landraub und Vertreibung zur Wehr setzen. Mindestens 17.000 Familien sind davon betroffen. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen.
EU-Kommission spielt Milei in die Karten
Die Sicherung Europas mit kritischen Rohstoffen die für die Energiewende, die Digitalisierung sowie die Rüstungsindustrie essenziell sind, gehört zu den zentralen Zielen des Abkommens. Mittels der vereinbarten Zollsenkungen auf bergbauliche Rohstoffe erhöht die EU zwar ihre eigene Versorgungssicherheit, die Mercosur-Staaten hingegen verlieren durch das grundsätzliche Verbot von Exportsteuern ein wichtiges industriepolitisches Instrument, um Rohstoffen im Land weiterverarbeiten zu können.
Zu den Begünstigten dieser Regelung gehört Argentiniens ultra-liberaler Präsident Milei, der 2024 per Dekret ein neues Anreizsystem für Investitionen erlassen hat, um im nördlichen Hochland umfassend Lithium abzubauen. Indigene und lokale Gemeinschaften sehen mit großer Sorge auf den bevorstehenden Run auf das für Autobatterien und Smartphone-Akkus so wichtige „weiße Gold“. Während das Dekret den Investoren steuerliche und regulatorische Erleichterungen einräumt, bindet es die begünstigten Unternehmen nicht an ökologische oder menschenrechtliche Sorgfaltspflichten. Mit anderen Worten: Argentiniens Präsident und die EU-Kommission spielen sich gegenseitig die Karten zu: Deregulierung statt Umwelt- und Menschenrechtsschutz.
Vertrag schwächt Umwelt und Menschenrechte
Besonders schockierend: Die in den vergangenen Jahren geführten Nachverhandlungen haben die im Vertrag vorgesehenen Regeln zum Schutz von Umwelt und Menschenrechten weiter geschwächt. Ein neu eingeführter Ausgleichsmechanismus erlaubt den Mercosur-Staaten nunmehr Kompensationen einzuklagen, wenn ihre Exporteure durch EU-Gesetze wie die Entwaldungsverordnung oder die Lieferkettenrichtlinie Exporteinbußen fürchten. Im Klartext: Statt Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden zu sanktionieren, die durch die Handelsliberalisierungen hervorgerufen wurden, können nun umgekehrt Sanktionen gegen Nachhaltigkeitsregeln erlassen werden. Das Rollback der EU-Kommission gegen den eigenen Green New Deal ist im vollen Gange – auch in ihrer Außenwirtschaftspolitik. Die Behauptung, Europas Handelspolitik unterscheide sich von der chinesischen durch die Einhaltung hoher Standards, ist damit ad absurdum geführt. Zukünftige Generationen werden kopfschüttelnd auf dieses Handelsabkommen zurückblicken, das die Klimakrise und das Artensterben weiter befeuert und eine selbstbestimmte Entwicklung der Menschen in Südamerika behindert.
Brot für die Welt, Misereor und PowerShift fordern deswegen, das EU-Mercosur nicht zu unterzeichnen und zu ratifizieren – verbunden mit der Forderung, in Nachverhandlungen eine Einigung zu erzielen, die dazu dient, die ungleichen Handelsbeziehungen zu überwinden und ihre sozial-ökologischen Risiken zu minimieren.