Direkt aus Mexiko-Stadt berichtet für uns Sandra Weiss:
Das Weltsozialforum in Mexiko-Stadt wurde vom Krieg in der Ukraine überschattet, der für Kontroversen sorgte. In Lateinamerika bestehen besonders unter linken Basisbewegungen historische Sympathien für Moskau und ein großes Misstrauen gegenüber den USA. Auf einer Podiumsdiskussion reagierten ukrainische Friedensaktivisten heftig, als ein russischer Teilnehmer getreu dem Kreml behauptete, die Invasion wäre Folge einer militärischen Eskalation seitens der Nato und es gäbe neonazistische Tendenzen in der ukrainischen Regierung.
Neonazis kein Problem in Ukraine
In der Ukraine gebe es auch nicht mehr Neonazis als in Russland oder Frankreich, konterte der per Zoom zugeschaltete ukrainische Friedensaktivist Yuri Sheliazhenko. Die mit Unterstützung von Brot für die Welt eingeflogene Ukrainerin Nina Potarska bezeichnete die Schuldfrage hingegen als unproduktiv und forderte „nach Wegen zu suchen, wie wir den Bombenhagel stoppen.“ Einig waren sich alle Podiumsteilnehmer, dass die westlichen Sanktionen kontraproduktiv für die Zivilbevölkerung seien.
Reisefreiheit eingeschränkt für Aktivisten
Das 16. Weltsozialforum empfing vom 1. bis 6. Mai in Mexiko-Stadt mehr als 3000 Teilnehmer, die sich über aktuelle wirtschaftliche, soziale und politische Fragen austauschten. „Leider konnten viele internationale Gäste wegen der Visa-Restriktionen diesmal nicht dabei sein“, bedauerte Ricardo Landa vom künstlerischen Organisationskomitee. Viele Interessenten vor allem aus Afrika bekamen kein Visum. Andere wurden ausgewiesen und in ihre Länder zurückgeschickt, ganz offenbar ohne rechtliche Grundlage. Dazu gehörte etwa die Transsexuelle Aktivistin Keila Simpson aus Brasilien.
Mexiko hat sich in den vergangenen Jahren in einen vorgelagerten Grenzposten der USA verwandelt und ist bei der Einreise sehr restriktiv. Wie man Grenzregionen zu Begegnungsorten umwandeln und Migration menschenwürdiger gestalten kann, wurde deshalb auch bei mehreren Veranstaltungen thematisiert.
Weltsozialforum wichtig für Austausch
Für Francisco Marí von Brot für die Welt bot das Forum den sozialen Bewegungen der Welt die Chance, nach zwei Jahren der Pandemie sich wieder einmal persönlich über Landes- und Kulturgrenzen hinweg über die neuen Entwicklungen auszutauschen. „Themen wie Menschenrechtsarbeit in autoritären Kontexten und der Einsatz sozialer Medien mit ihren Möglichkeiten und Gefahren standen diesmal stärker im Vordergrund als bei vorherigen Treffen.“
Selbstversorgung macht Ernährung krisenfest
Angesichts der Inflation der Lebensmittelpreise im globalen Süden beschlossen Bauern-Organisationen, ihre Forderungen nach einer krisenfesten, weniger exportorientierten Landwirtschaft und nach Ernährungs-Souveränität stärker in die internationale Debatte einzubringen. „Im Zuge des Ukraine-Kriegs sorgen sich alle über den Ausfall des ukrainischen Weizens“, sagt Marí. „Dabei bietet diese Krise zum Beispiel den afrikanischen Kleinbauern die Chance, wieder stärker einheimische und viel nahrhaftere Nahrungsmittel wie Hirse zu vermarkten.“
Positive Bilanz für Weltsozialforum
Insgesamt zogen die Teilnehmenden eine positive Bilanz: „Für mich war es das erste Mal, und ich konnte mich mit vielen Gleichgesinnten vernetzen“, sagte Nadia Michan von Ecoaldeas Mexiko. „Es waren weniger Teilnehmer als sonst, aber es gab diesmal viele künstlerische Veranstaltungen“, lobte Gloria Cruz von der Bewegung für Volksgesundheit, die schon zum zweiten Mal dabei war. Die Künstler traten auch inhaltlich stark auf: Da sie besonders unter der Pandemie gelitten hatten, forderten sie eine Sozialversicherung für Kulturschaffende des globalen Südens.