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Rückführungsoffensive, fertig, los?

Von der neuen Regierung hatten sich viele eine partnerschaftliche, entwickungsfreundliche Migrationspolitik erhofft. Wie weit trägt diese Hoffnung? Die Ernennung eines/r Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen und die Positionierung gegenüber dem Vorschlag der EU, Handelspräferenzen für Entwicklungsländer zu streichen, falls diese nicht bei Rückführung kooperieren, sind dafür ein Gradmesser.

Von Dr. Andreas Grünewald am
Flugzeug

In Deutschland gibt es gerade einmal 18.000 Menschen, die aufgrund eines abgelehntem Asylantrag ohne Duldung, ausreisen müssen. Braucht es dafür wirklich eine Sonderbeauftragte oder geht es um politische Stimmungsmache?

Zugegeben, es findet sich im Koalitionsvertrag, das Wort „Rückführungsoffensive“. Doch es wirkte dort bisher fehl am Platz, passte nicht so recht zu den sonstigen Aussagen. Passagen, in denen die Regierungsfraktionen einen Neuanfang in der Migrationspolitik nicht nur versprechen, sondern anhand konkreter Vorhaben beschreiben: Wir erleichtern den Familiennachzug, wir fördern die rasche Integration in den Arbeitsmarkt, wir schaffen mehr legale Migrationswege. Auch in den Beziehungen zu Herkunftsländern, so der Koalitionsvertrag, werde ein partnerschaftlicher Ansatz verfolgt. Kooperation bei der Rückführung werde nicht durch die Auszahlung von Entwicklungsgeldern erkauft. Daran sollten wir die Bundesregierung anlässlich zweier anstehender politischer Entscheidungen dringend erinnern: der Ernennung eines/r Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen sowie den Verhandlungen auf EU-Ebene rund um die Gewährung von Handelspräferenzen.

„Wir nehmen eure Waren, ihr nehmt eure Staatsbürger“

Die EU ermöglicht derzeit rund 60 Ländern des Globalen Südens die zollreduzierte Einfuhr von Produkten in die EU. Das soll die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder unterstützen (Generalized System of Preferences – GSP). Gerade befinden sich die Verhandlungen um die neue GSP-Verordnung in der entscheidenden Phase. Geht es nach den Plänen von EU-Kommission und französischer Ratspräsidentschaft, sollen Handelspräferenzen zukünftig für Länder ausgesetzt werden, die ihre ausreisepflichtigen Staatsbürger nicht rückübernehmen wollen. Das EU-Parlament ist strikt dagegen. Welche Position sich letztendlich durchsetzen wird, ist offen. Nicht unerheblich dürfte dabei die Positionierung der Bundesregierung sein. Sie steht noch aus, das BMI drängt dem Vernehmen nach auf Zustimmung.

Entwicklungspolitisch wäre dies fatal. Der Verlust eines begünstigten Marktzugangs würde viele Länder wirtschaftlich hart treffen – und die ökonomische Krise, in der sie sich nach zwei Jahren Corona-Pandemie befinden, vertiefen. Doch auch der Preis, den Regierungen für den Abschluss von Rückübernahmeabkommen zahlen, kann hoch sein. Viele eigene Staatsbürger haben Verwandte im europäischen Ausland – und profitieren von deren Rücküberweisungen. Eine enge Kooperation der Regierung beim Thema Rückkehr ist politisch sehr unpopulär – die malische Regierung musste vor einigen Jahren Zusagen in diese Richtung nach starken zivilgesellschaftlichen Protesten zurückziehen. Mali zukünftig diese Kooperation aufzuzwingen, birgt das Risiko politischer und wirtschaftlicher Destabilisierung – und hat mit einem partnerschaftlichen Ansatz nichts zu tun.

Rechtliche Grundlage fehlt

Das EU-Parlament lehnt die Pläne der EU-Kommission und Teilen des Rates deshalb aus guten Grund ab – und bekommt Rückendeckung von einer Studie, die es dazu von Expert*innen angefordert hat. Darin wird auf das Fehlen einer rechtlichen Grundlage für die Konditionalisierung hingewiesen – eine Rückübernahmepflicht lasse sich aus den im Kommissionsvorschlag angeführten internationalen Vereinbarungen nicht ableiten. Zudem muss nach WTO-Regularien, denen GSP unterliegt, der Entzug von Handelspräferenzen entwicklungspolitisch gerechtfertigt werden. Die EU-Kommission verweist hier u.a. darauf, dass bei fehlender Rückführung ein Exodus insbesondere der jungen Bevölkerung der betreffenden Länder drohe. Dieser Zusammenhang ist nicht nur an den Haaren herbeigezogen, sondern auch zynisch, bedenkt man, dass Deutschland und andere EU-Staaten gleichzeitig die Fachkräfteanwerbung aus Drittländern massiv ausweiten wollen. Die Bundesregierung sollte sich daher klar und deutlich gegen den Kommissionsvorschlag positionieren – und damit das Versprechen des Koalitionsvertrags einhalten, entwicklungspolitische Instrumente nicht als Druckmittel in der Migrationspolitik zu verwenden.

Sonderbevollmächtigte*r: Migrationspolitik ist mehr als Rückführung

Ebenfalls im Koalitionsvertrag vereinbart haben die Regierungsfraktionen, eine*n Sonderbevollmächtige*n für Migrationsabkommen einzusetzen. Die Ernennung steht unmittelbar bevor – und es mehren sich Hinweise darauf, dass die Person sich insbesondere um Rückführungen kümmern und im Innenministerium angesiedelt werden soll. In ungewöhnlicher Einmütigkeit forderten einen solchen Zuschnitt etwa Abgeordnete der Regierungsfraktion der FDP und der oppositionellen CDU in einer Plenardebatte zum Thema Abschiebung am 28. April.

Eine Engführung der Rolle der/s Sonderbevollmächtigten wäre entwicklungspolitisch fatal – ihr liegt aber auch eine falsche Vorstellung zugrunde, was die Zahl der rückzuführenden Personen in Deutschland betrifft. Wie die grüne Abgeordnete Filiz Polat bei besagter Plenardebatte klarstellte, betrug Ende 2021 die Zahl der ausreisepflichtigen Personen mit abgelehntem Asylantrag ohne Duldung gerade mal 18.000 Personen. Brauchen wir wirklich eine*n Sonderbevollmächtigten für 18.000 Personen – oder wird hier ein Thema bewusst groß geredet, um damit politische Stimmung zu machen?

Den Auftrag des Globalen Migrationspakts ernst nehmen

Statt dieser Engführung sollte die Person des Sonderbevollmächtigten aus Sicht von Brot für die Welt mit einem möglichst umfassenden Arbeitsauftrag ausgestattet werden. Würde die/der Sonderbevollmächtigte im Auswärtigen Amt oder Entwicklungsministerium angesiedelt, stiege die Chance, dass sie/er Migration nicht nur aus deutscher Perspektive betrachtet, also wen wollen wir rückführen oder als Fachkraft holen, sondern auch die Rolle von Migration in den Partnerländern in den Blick zu nimmt. Im Bereich Fachkräfteanwerbung bedeutet das etwa, sensibel für mögliche negative Folgen gezielter Abwerbung von medizinischen und Pflegepersonal für die Herkunftsländer zu sein. Generell bedeutet es zu verstehen, dass ein Großteil der Migrationsbewegungen des Globalen Südens eben nicht nach Europa, sondern innerhalb der jeweiligen Region stattfindet (in Westafrika beträgt dieser Anteil 85 Prozent). Eine partnerschaftliche Politik darf diese für die wirtschaftliche Integration und Entwicklung wichtige Migration nicht behindern, wie es derzeit der Fall ist.

Kommende Woche findet in New York eine Konferenz statt, in der die Fortschritte bei der Umsetzung des Global Compact on Migration (GCM) diskutiert werden. Der 2018 in Marrakesch verabschiedete GCM ist der Versuch, in Migrationsfragen global stärker zusammenzuarbeiten und sich auf gemeinsame Grundlagen zu verständigen. Deutschland unterstützt diesen Prozess stark. Gleichzeitig bestehen auch in Deutschland erhebliche Umsetzungslücken, wie ein zivilgesellschaftlicher Bericht offen legt. Die Bundesregierung sollte die Ernennung der/des Sonderbevollmächtigten als Chance begreifen, diese Lücken zu schließen. Das heißt vor allem auch, Rückführung als eine entwicklungspolitische Herausforderung zu begreifen – neben vielen anderen, deren Bearbeitung mindestens ebenso sehr drängt wie klimainduzierte Vertreibung, die Stärkung der Rechte von Arbeitsmigrant*innen oder die nachhaltige Bekämpfung von Fluchtursachen.

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