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Ein globales Desaster, dem abzuhelfen wäre

Die Zahl der SarsCov2-Infizierten steigt auch in Afrika, doch sie steigt in den meisten Ländern dieses armen Kontinents bisher langsam. Vom Weltmarkt weitgehend abgehängt zu sein, mag sich in dieser globalen Krise mal positiv auswirken.

Von Prof. Dr. h. c. Cornelia Füllkrug-Weitzel am
Händewaschen auf Haiti

Händewaschen auf Haiti

Afrikanische Regierungen erhalten also längere Vorlaufzeit zur Vorbereitung. Und sie reagieren schnell, scheinbar überschnell: Uganda hat seine Schulen geschlossen, bevor es eine einzige bestätigte Infektion gab. Südafrika hat noch vor Großbritannien eine Ausgangssperre verhängt, obwohl London da schon von 15 Mal so vielen Erkrankten wusste. Sierra Leone hat den Ausnahmezustand erklärt, bevor ein einziger Fall bekannt wurde. Die afrikanischen Regierungen handeln nach dem Prinzip: „Wir haben keine Chance, aber die wollen wir nutzen!“

Corona im globalen Süden

In armen Ländern lassen die Lebensbedingungen großer Bevölkerungsteile Maßnahmen gar nicht erst zu, mit denen Industrienationen derzeit auf die Corona-Krise reagieren: Stetes Händewaschen? Laut den Vereinten Nationen hat etwa ein Viertel der Weltbevölkerung kaum Zugang zu sauberem Wasser. Und jene, die wenigstens eine Pumpe im Dorf haben oder Regenwasser sammeln, benötigen das rare Gut, um den Durst von Mensch und Tier und Pflanzen zu stillen. Abstand halten? In den ungezählten Slums am Rande der Megastädte – undenkbar; und in Flüchtlingslagern oder informellen Unterkünften der Abermillionen Flüchtlinge – etwa in Idlib, auf Lesbos, in Bangladesch – eine Farce: Sie sind gnadenlos überfüllt. Statt sie - als rasche Gegenmaßnahme - aufzulösen oder mindestens die Überfüllung zu beenden, schaut Europa der aufziehenden humanitären Katastrophe in den Lagern tatenlos zu. Testmöglichkeiten und Schutzkleidung? Für Regierungen armer Staaten angesichts des massiven Wettbewerbs auf dem Weltmarkt unerreichbar. Medizinische Behandlung? Für die Armen schon vor Corona ein Ausfall: In vielen Gegenden der Welt gibt es keine Hospitäler, keine Krankenstationen, kein medizinisches Personal. Kaum jemand besitzt eine Krankenversicherung, die Preise für Behandlungen sind horrend. Und wenn sich dem medizinischem Personal nun unabweisbar die Frage stellt, ob die wenigen Ressourcen in die Bekämpfung der Covid-19-Krankheit oder in die Erste Hilfe oder in die Entbindung gesteckt werden sollen – was dann?

Schwache Gesundheitssysteme

In den vergangenen Jahren haben reiche Länder wie die USA ihre Beiträge für UN-Organisationen, und somit auch für deren Gesundheitsorganisation WHO, drastisch gekürzt. Private Stiftungen – wie die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung – haben diese Leerstelle gefüllt. Auch das hat zur Überzeugung beigetragen, dass Impfkampagnen und massenhafte Einzelinterventionen privater Geldgeber effektiver seien als die staatliche Sicherung der medizinischen Grundversorgung. Doch welcher private Geldgeber investiert in ländliche Regionen wie dem Tschad oder Ost-Kongo?

Die Folgen des Privatisierungsdrucks auf Gesundheitssysteme sehen wir sowohl im eigenen Land als auch bei europäischen Nachbarn: Während der Schuldenkrise in den Achtzigern und nach der Finanzkrise 2007/2008 waren Regierungen, etwa von Italien und Spanien und gezwungen, als Voraussetzung für neue Kredite die Etats der Daseinsvorsorge zusammen zu kürzen. Gesundheitssysteme wurden so kaputt gemacht. Es ist also nicht Zufall, sondern furchtbare Konsequenz falscher Politik, dass die Opferzahlen gerade in diesen Ländern so hoch sind.

Covid19 oder Hungertod

Viele Maßnahmen, die reiche Staaten nun gegen die Ausbreitung von Corona ergreifen, stellen die Regierungen und die Menschen in den armen Regionen vor die Wahl zwischen Pest und Cholera - zwischen Covid-19 und allerschlimmster Armut und Hungertod.

In Indien hört man von Dörfern, in denen die Menschen schon jetzt nur noch Gras zu essen haben. Wer sein Geld im informellen Sektor verdienen muss, kann nicht zu Hause bleiben. Haushaltshilfen, Tagelöhner, Verkäuferinnen am Straßenrand oder Rikschafahrer würden Hunger sterben. Nach Berechnungen der UN-Arbeitsorganisation ILO werden infolge von Covid-19 international weit über 25 Millionen Menschen ihre Arbeit verlieren. Auch Schulschließungen treffen die Ärmsten am härtesten – nicht wegen des Betreuungsproblems, sondern wegen der Ernährung! Viele Familien sind auf die kostenlose Schulspeisung der Kinder angewiesen – häufig ist das deren einzige Mahlzeit am Tag. Und: die Chance, dass Kinder, besonders Mädchen, nach Aufhebung der Schulschließung zurück zur Schule kommen, wird von Experten als gering eingeschätzt. Sie müssen dann erst einmal helfen, wieder Geld zu verdienen. Auch die Schließung von Straßenmärkten hat dramatische Konsequenzen: Für Millionen Menschen sind die Märkte und Straßenstände oft die einzige Möglichkeit, sich billig und mit frischen, regionalen Produkten zu versorgen. Sie werden – sofern vorhanden – in Supermärkten oder kleinen Läden einkaufen müssen, die teure Importware anbieten. Ausgangssperren führen dazu, dass Millionen Kleinbauern weder die Saat ausbringen noch die Felder bestellen, die Früchte ernten und verkaufen können. Dabei werden 70 Prozent der Nahrung weltweit von Kleinbauernfamilien erzeugt. Schon jetzt heizen die zurückgehende landwirtschaftliche Produktion und Exportrestriktionen die Spekulation auf Agrarprodukte an.

Ernährungskrise wird erwartet

Die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN, erwartet eine gewaltige Ernährungskrise, die besonders im Globalen Süden verheerend wirken wird. Es gibt in armen Ländern kaum staatliche Sozialleistungen. Mehr als die Hälfte der Menschen weltweit leben ohne jede Form der sozialen Absicherung. Wo sie einst existierte, haben Weltbank und IWF häufig verlangt, sie – als Bedingung für frisches Geld - zurückzuschneiden. Und jetzt, in dieser schweren Krise, sind die häufig ohnehin schon überschuldeten Länder nicht in der Lage, Rettungsschirme für die Ärmsten ihrer Gesellschaften zu spannen.

Die Corona-Krise wird also noch mehr Menschen weltweit in die Abhängigkeit von humanitärer Hilfe treiben. Die Zahl jener, die nur durch humanitäre Unterstützung - Nahrungsmittel-, aber auch medizinische Hilfe - überleben können, ist in den vergangenen Jahren unablässig gestiegen. Flucht, Vertreibung und vor allem die Folgen des Klimawandels tragen wesentlich dazu bei. International wird seit langem diskutiert, ob es nicht Formen der sozialen Grundabsicherung geben könnte und müsste, etwa ein soziales Grundeinkommen zumindest in armen Ländern. Diese Modelle, so genannte ‚Social Protection Floors‘, hat die ILO bereits entwickelt und erprobt. Aber auch ihrer Einführung steht die weltweit verbreitete, neoliberale Haltung entgegen, staatliche Leistungen der Daseinsvorsorge nicht zu befördern, sondern auf die Initiative der Einzelnen und der Privatwirtschaft zu setzen. Doch wie soll das gehen? Für Menschen, die nicht genug zu essen haben? In Gegenden, wo für Privatinvestoren ‚nichts zu holen‘ ist?

Indirekte Folgen von Corona immens

Schon heute steht fest: Es werden sehr viel mehr Menschen an den indirekten Folgen von Corona sterben als an den direkten Folgen der Krankheit. Der weltweite Lockdown, die globale Rezession werden zur massiven Verbreitung von Armut und Hunger führen – und in vielen Ländern werden die sozialen und politischen Verwerfungen gewaltig sein. Während der Schuldenkrise in den Achtzigern und nach der internationalen Finanzkrise 2007/2008 kam es vielerorts zu Hungerrevolten und sozialen Aufständen. Heute nutzen einige Regierungen die Corona-Pandemie schon jetzt, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weiter abzubauen, die Opposition zu ersticken und sich mit nahezu diktatorischen Vollmachten auszustatten. Doch je maßloser die Reaktion der Regierungen ausfällt, desto wahrscheinlicher werden neue Gewaltausbrüche, Chaos und Destabilisierung weiterer Länder.

In den kommenden Monaten wird es bei der Bewältigung der Corona-Pandemie vor allem darum gehen, Entwicklungs- und Schwellenländern bei der Eindämmung der Infektionen und der Behandlung der Kranken zu helfen. Die Gesundheitssysteme müssen massiv gestärkt werden, nicht nur wegen Corona, sondern auch, damit andere lebensbedrohliche Krankheiten weiter behandelt werden können.

Gleichzeitig mit den akuten Aufgaben beginnt der Kampf gegen die langfristigen Folgen. Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise müssen abgemildert werden. Langfristig angelegte Wirtschaftshilfe und Konjunkturprogramme müssen auf eine global nachhaltige Entwicklung ausgerichtet werden. Sie müssen einer gerechten, klimafreundlichen und nachhaltigen Ökonomie dienen und sicherstellen, dass die gesellschaftlichen Strukturen, insbesondere die sozialen Sicherungssysteme, krisenfest aufgestellt sind. Der Bedarf an Unterstützung ist größer denn je.

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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