Sophia Wirsching, Sie sind Referentin für Migration und Entwicklung bei Brot für die Welt und waren in Bangladesch auf dem „Global Forum on Migration and Development“ dabei. Sie haben bei den zivilgesellschaftlichen Diskussionen teilgenommen und waren aktiv beim Konsultationtreffen der Kirchen "Churches Witnessing with Migrants". Jetzt sind Sie zurück mit aktuellen Informationen über die offizielle Konferenz. Wer verhandelt dort und was wird diskutiert, damit sich die Situation von Migrantinnen und Migranten weltweit verbessert?
Sophia Wirsching: Das „Global Forum on Migration and Development“ ist eine Staatenkonferenz, die jährlich in einem anderen Land stattfindet - nächstes Jahr im Juni in Berlin. Es kommen Regierungsvertreter von 150 Staaten zusammen. Es wird intensiv darüber gesprochen, was Staaten besser machen können als bisher in der Regulierung von Migration und welche Entwicklungspotentiale durch Migration gestärkt werden, aber es werden keine bindenden Beschlüsse gefasst. Dieses Forum ist auch ein Spiegel der verschiedenen Interessen von Herkunfts- und Aufnahmeländern.
Was wurde aktuell in Bangladesch besprochen?
Sophia Wirsching: Die Konferenz war von den politischen Debatten geprägt, die wir in Europa aufgrund der großen Zahl von Schutzsuchenden führen. Es wurde diskutiert, ob der EU-Türkei-Deal oder der EU-Afghanistan-Deal eine Blaupause für weitere Vereinbarungen andernorts sein können. Bei dieser Art „Deal“ wird die Rückführung von Geflüchteten und MigrantInnen mit entsprechenden Zahlungen von Seiten der EU verknüpft. Gerade bei solchen Themen ist es sehr wichtig, dass wir uns als Zivilgesellschaft kritisch einbringen, denn wir lehnen dies Kopplung von restriktiver Migrationspolitik mit Entwicklungsgeldern ab. Das mittelfristige Ziel des „Global Forum on Migration and Development“ ist es auch, bis 2018 an der Entstehung der „Global Compacts“, also globalen Abkommen im Umgang mit großen Flucht- und Migrationsbewegungen mitzuwirken.
Warum soll es die „Global Compacts“ geben?
Sophia Wirsching: Die Vereinten Nationen haben die Entwicklung von zwei Global Compacts, einen für Flüchtlinge und einen für Migrantinnen und Migranten beschlossen. Sie sind nötig, weil wir bzw. die internationale Staatengemeinschaft nicht angemessen auf Flucht und Migration reagieren. Im Zuge der europäischen Krise konnten wir sehen, dass die EU nicht bereit war, so viele Schutzsuchende aufzunehmen und sich die Verantwortung für ihre Aufnahme und Versorgung fair zu teilen. Flüchtlinge müssen aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. durch das Völkerrecht verbindlich geschützt werden. Aber die Praxis zeigt, dass dies oft nicht der Fall ist. Im Hinblick auf Migration existiert zwar die „UN-Wanderarbeitnehmerkonvention“, sie ist aber nur von wenigen Staaten ratifiziert worden. Die zahllosen Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zugunsten von Arbeitsmigrantinnen werden in der Praxis häufig kaum respektiert, ebenso wenig, wie die menschenrechtlichen Verpflichtungen für angemessenen Schutz. Außerdem gibt es immer mehr Gründe, die Menschen dazu zwingen, ihre Heimat zu verlassen, ohne dass sie unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen. Die Global Compacts sollen dieser Realität Rechnung tragen. Weitere Themen sind der Kampf gegen irreguläre Migration sowie gegen das Schleuserwesen und Menschenhandel. Auch migrationspolitische Ansätze, die sich bewährt haben, sollen eine Rolle spielen. Wir müssen diesen Prozess als Zivilgesellschaft begleiten und warnen, damit nicht Instrumente wie der EU Trust Fund in diesem Vertrag als „Best practice“ festgeschrieben und aufgewertet werden, den wir sehr kritisch sehen, sondern menschenrechtliche Verantwortung für Migrantinnen und Schutzsuchende oberste Maßgabe für die Global Compacts sind.
Wie präsent ist die Zivilgesellschaft auf dem „Global Forum on Migration and Development“?
Sophia Wirsching: Es sind Vertreter aus den unterschiedlichsten Ländern da, sofern sie die finanziellen Mittel und die Einreisevisa bekommen haben. In den ersten drei Tagen entwickeln sie Standpunkte, die sie den offiziellen Staatenvertretern für deren zum Teil sehr kontroverse Diskussionen mitgeben.
Welche Kontroversen gibt es?
Sophia Wirsching: Beispielsweise legen einige europäische Staaten sehr restriktive und verschlossene Haltungen an den Tag. Ihre Vertreter sagen, dass sie einen „Global Compact“ nicht brauchen und betonen, dass nicht jeder ein Flüchtling ist, der in Europa Asyl sucht. Dagegen machen andere Staaten an den europäischen Außengrenzen klar, dass sie sich alleine gelassen fühlen. Sie erhoffen sich durch den „Global Compact“ mehr Unterstützung von der internationalen Staatengemeinschaft. Wieder andere Staaten setzten auf Arbeitsmigration als wichtiges Element für Entwicklung durch Rücküberweisungen. Das „Global Forum on Migration and Development“ ist also ein Raum, in dem sich Staaten überhaupt zum Thema Migration verständigen, auch wenn es ein zäher Prozess ist. Denn so wie die Welt gerade ist, so zeigt sie sich auch dort: sehr uneinig und geprägt durch Interessenkonflikte.
Stand Europa die ganze Zeit im Fokus?
Sophia Wirsching: Nein, denn global betrachtet spielt sich in Europa nur ein kleiner Teil des Migrationsgeschehens ab. Beispielsweise sind über zwei Millionen Arbeitsmigranten aus Bangladesch außerhalb des Landes. Viele von ihnen leben unter extrem prekären Bedingungen in den Golfstaaten, in Indien, aber auch in anderen Weltregionen. Die Arbeitgeber in den Aufnahmestaaten haben oft ausschließlich das Interesse, Migrantinnen und Migranten als billige Arbeitskräfte zu nutzen. Sie werden ausgebeutet, häufig auch missbraucht und danach müssen sie gehen. Vor diesem Hintergrund wollten die asiatischen Vertreter den Schwerpunkt auf die „temporäre Arbeitsmigration und deren Gestaltung“ legen. Denn bisher überweisen die Menschen zwar Geld an ihre Familien zurück, doch ansonsten ist diese Form der Migration kaum mit weiteren Entwicklungsimpulsen für sie oder für Bangladesch verknüpft. Dagegen wollten die Europäer auch darüber diskutieren, wie Migrantinnen und Migranten in Krisensituationen besser geschützt und unterstützt werden können und welche Entwicklungspotentiale sich bei Geflüchteten durch die Aufnahme von Arbeit ergeben.
Hat der Austausch schon zu einem positiven Effekt für irgendeinen Migranten geführt?
Sophia Wirsching: So konkret und individuell lässt sich das schwer sagen. Aber die Zivilgesellschaft hat sich seit dem ersten Forum im Jahr 2007 sehr viel Raum verschafft, um das Thema Menschenrechte in das offizielle Forum zu bringen. Unser Engagement ist also nicht umsonst. Auch im Rahmen der UN finden immer wieder Dialoge über Migration statt. Und dann ist es hilfreich, dass sich die Staatenvertreter vom Global Forum schon kennen, sich bereits über Migration ausgetauscht haben und auch die Nichtregierungsorganisationen mit ihrer Advocacy-Arbeit eingebunden sind.
Einige der siebzehn UN-Sustainable Development Goals befassen sich mit Migration. Darum gibt es auch Anregungen, dass das „Global Forum on Migration and Devolpment“ zu einer Konferenz gemacht wird, auf der jährlich überprüft und gemessen wird, was Staaten im Bereich von Migration und Entwicklung leisten. Ich bin überzeugt davon, dass dieses Forum immer mehr an die UN herangeführt wird und viele andere Prozesse dann unter dem Gesichtspunkt Migration besprochen werden. Und dann ist das im Sinne der Migrantinnen und Migranten weltweit ein echter Erfolg.