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„Unser tägliches Brot gib uns heute“

Impuls von Tim Kuschnerus zur Wertschätzung von Lebensmitteln bei der Konferenz des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu Strategien gegen die Lebensmittelverschwendung

 

Von Gastautoren am

 

„Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt“, an diese Ansage meiner Mutter kann ich mich noch allzu gut erinnern. 1946/47 hatten meine Eltern mit meiner großen Schwester und meinem damals nur wenige Monate alten Bruder den schlimmen Hungerwinter in Deutschland erlebt und erlitten. Historiker schätzen, dass in diesem extrem kalten Winter allein in Deutschland mehrere hunderttausend Menschen an den Folgen von Kälte und Hunger gestorben sind. Als zehn Jahre später geborener Nachkömmling musste ich nie Hunger leiden. Aber für meine Mutter blieb der einst erlittene Hunger für immer sehr präsent. Die Verschwendung oder gar das Wegwerfen von Lebensmitteln war für sie undenkbar.


„Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.“ Genau genommen steckten in diesem Imperativ meiner Mutter zwei Botschaften. Erstens: „Alles wird gegessen, auch wenn du es nicht magst.“ Ich hasste zum Beispiel gekochten Kohl. Er löste bei mir regelrecht Brechreiz aus. Aber es half nichts. Auch nicht, nur ein bisschen davon zu essen, denn die zweite Botschaft war: „Es wird auch alles aufgegessen.“ Widerspruch war zwecklos. Was auf den Tisch kam, wurde gegessen. Alles. Bis der Teller leer war.


Gott sei es gedankt – heute muss in Deutschland niemand wirklich schlimmen Hunger leiden. In vielen anderen Teilen unserer Erde sieht das anders aus. Aber nicht nur, weil in anderen Ländern Mangel herrscht, müssen wir mit Lebensmitteln achtsam umgehen. Aus christlicher Perspektive ist es eine Pflicht, dies zu tun. Das möchte ich mit der vierten Bitte des Vaterunsers begründen: „Unser tägliches Brot gib uns heute“.


Das Vaterunser ist das Gebet, das Jesus seinen Jüngern gelehrt hat. Was genau hat Jesus gemeint mit „unser tägliches Brot gib uns heute“? Martin Luther beantwortet diese Frage im Kleinen Katechismus, den er 1529 verfasst hat. Er schreibt: Brot ist „alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherrn, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.“ Luther hat aber auch nichts ausgelassen und die vierte Bitte des Vaterunsers in einem sehr umfassenden Sinn verstanden. Aber er hat recht: Brot steht letztlich für alles, was für menschliches Leben notwendig ist.


Die Bitte um das tägliche Brot ist nicht nur ein christliches, sondern auch ein archetypisches Symbol der Menschheit für die überlebenswichtigen Dinge. Brot ist ein Synonym für menschliche Kultur. Die Fähigkeit Brot zu backen, markiert den Übergang des Menschen vom Jäger und Sammler zum sesshaften Ackerbauern. Aus Gräsern wurden Kulturpflanzen. Mit der Einlagerung von Getreide und dem Backen von Brot konnten Nahrungsvorräte gesammelt werden. Die Voraussetzungen für den Bau von Siedlungen und Städten waren geschaffen. Das lateinische cultura bedeutet Bearbeitung, Pflege und Ackerbau. Kultur steht im weitesten Sinne für alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt.


Die Bitte um das tägliche Brot ist Ausdruck der Tatsache, dass es eben nicht selbstverständlich ist, dass Menschen sich jeden Tag satt essen können. Die meisten der Armen im Globalen Süden leben auf dem Land und sind Kleinbauern. Sie müssen sehr hart arbeiten, um Lebensmittel zu produzieren. Sie brauchen „Haus, Hof, Acker, Vieh, gute Regierung, gut Wetter, Friede und Gesundheit“, um ihr kleines Feld zu bestellen und die Ernte einzufahren. Oft aber ist die Ernte nur mager oder wird gar vernichtet, weil es zu viel oder zu wenig geregnet hat, weil die Feldfrucht von einer Schädlingen befallen wurde oder anderes Ungemach geschah.


In der Schöpfungsgeschichte im 1. Buch Moses in Kap. 2, 15 heißt es: „Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Der christliche Glaube an Gott den Schöpfer stellt uns in die Verantwortung, Gottes Schöpfung zu bewahren. Wir müssen sie hegen und pflegen und achtsam mit der Schöpfung umgehen. Das gilt selbstverständlich auch für unsere Nahrungsmittel. Lebensmittel sind wertvoll. Das haben wir heute angesichts der weitgehend industriellen Produktion von Lebensmitteln vergessen.


Wir brauchen also ein anderes Konsum- und Ernährungsverhalten. Jeder von uns kann damit anfangen. Ich muss nicht gleich Vegetarier oder Veganer werden. Bewusster einkaufen, sich Zeit nehmen für die Zubereitung von Mahlzeiten, bewusster essen, das ist ein erster Schritt. Und eins ist sicher: die Lebensqualität steigt mit der Achtsamkeit bei der Nahrungsaufnahme. Die Passions- und Fastenzeit ist eine gute Gelegenheit, das einfach mal ernsthaft zu versuchen.


Wir sollten aber auch über die Ursachen dieses Systems der Lebensmittelver-schwendung nachdenken. Wir brauchen ein anderes Leitbild für unsere Landwirtschaft. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat in ihrer Stellungnahme zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union Leitlinien für eine nachhaltige Landwirtschaft formuliert. Die Landwirtschaftspolitik soll demnach multifunktional und ökologisch nachhaltig ausgerichtet werden. Und sie soll ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen in den Entwicklungsländern nachkommen. Die High-Tech-Landwirtschaft muss deshalb nicht völlig abgeschafft werden. Das zu fordern wäre weltfremd. Aber sie braucht ethische und ökologische Leitplanken. Und diese Leitplanken können wir einziehen.

Noch einmal zurück zum „Vaterunser“. Dort in der vierten Bitte heißt es ausdrücklich nicht: „Mein täglich Brot gib mir heute.“ Jesus lehrt uns zu teilen. Unser tägliches Brot gib uns heute. Der Plural macht deutlich: Nahrungsmittel haben auch eine soziale Dimension. Wir müssen sie teilen. Wir müssen sie anderen zugänglich machen.


„Brot für die Welt“ heißt unser Spendenwerk. „Brot für die Welt“ ist nicht nur Name, sondern Programm. Von der umfassenden Bedeutung von Brot als Synonym für alles, was zum Leben gebraucht wird, habe ich gesprochen. „Brot für die Welt“ heißt nicht nur, Projekte in Afrika zu unterstützen. „Brot für die Welt“ heißt auch, die Ursachen für Un-recht und Hunger in der Welt zu benennen und zu überwinden. Wenn ich als Christ bete: „Unser tägliches Brot gibt uns heute“ bin ich aufgerufen, mich für die Wertschätzung von Lebensmitteln einzusetzen. Ich bin aufgerufen, mein Konsumverhalten entsprechend zu ändern. Und ich bin aufgerufen, mich für ein nachhaltiges Leitbild für unsere Produktion und für unseren Umgang mit Nahrungsmitteln einzusetzen.


Das Vaterunser endet mit den Worten: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.“ Dies ist die Anerkennung, dass die Erde des Herrn ist. Sie ist nicht unsere, sondern sie ist Gottes Schöpfung. Diese Schöpfung gilt es zu bewahren. Und die Güter darin gilt es nachhaltig und gerecht zu teilen.


Tim Kuschnerus, Evangelischer Geschäftsführer der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE)

 

 

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