A woman casts her ballot at a polling station in Stone Town, Zanzibar, on October 28, 2020. (Photo by MARCO LONGARI / AFP) (Photo by MARCO LONGARI/AFP via Getty Images)
Tansania

Als habe jemand den Stecker gezogen

Als im Oktober 2020 in Tansania gewählt wurde, deutete alles auf einen Sieg des amtierenden Präsidenten hin. Trotzdem ließ er das Internet abschalten. Ein Schritt von vielen, um im Land Oppositionelle, Zivilgesellschaft und Menschenrechte zu schwächen.

Der Staat setzt das Volk offline

Es ist der 27. Oktober 2020, ein Tag vor der Wahl des neuen Parlaments und eines neuen Präsidenten in Tansania. Die letzten Stunden vor Öffnung der Wahllokale wollen Initiativen und NGOs nutzen, um nochmal zur Stimmabgabe aufrufen, das Wahlsystem zu erklären und sich für das Recht auf Mitbestimmung stark zu machen. Andererseits ist ziemlich sicher, dass der amtierende Präsident John Magufuli und seine Chama-Cha-Mapinduzi-Partei (CCM) wiedergewählt werden. Er regiert seit fünf Jahren, und seit der Unabhängigkeit 1961 dominiert die Partei das Land. Magufuli hatte sich 2015 für den Kampf gegen Korruption und Ineffizienz stark gemacht, aber stattdessen stark in die Freiheitsrechte eingegriffen: Journalisten verschwanden, politische Gegnerinnen wurden zusammengeschlagen, Oppositionelle durften keine Kundgebungen abhalten, neue Gesetze schränkten die Freiheit ein sich zu versammeln oder die eigene Meinung zu äußern.

Doch plötzlich ist es, als habe jemand den Stecker gezogen. Das Internet ist lahmgelegt, nichts geht mehr. Soziale Medien und Messengerdienste, die dem schnellen Austausch, der Weitergabe von Beobachtungen, der Wählermobilisierung dienen, sind tot. Nachrichtenseiten im Internet liegen brach. Die amtierende Regierung nimmt der Bevölkerung noch die letzte Möglichkeit, sich zu informieren und zu vernetzen. Sie veranlasst über ihre Telekommunikationsbehörde einen Internet-Shutdown über mehr als eine Woche.

Shutdown als Instrument zur Unterdrückung

Immer wieder haben Regierungen weltweit in den vergangenen Jahren Internet-Shutdowns veranlasst, vor allem in afrikanischen und asiatischen Ländern ‒ 2020 wurden allein in Indien 109 Shutdowns gezählt. Ein Beamter der Kommunikationsaufsichtsbehörde in Tansania bestätigte, dass die Abschaltung vor der Wahl von Präsident Magufuli genehmigt wurde. Betrachtet man die Entwicklungen in den Jahren davor, so verwundert das nicht. Seit Beginn seiner Amtszeit ab 2015 wurde die Meinungs- und Pressefreiheit Zug um Zug eingeschränkt. Blogger müssen sich seit 2018 bei der staatlichen Kommunikationsregulierungsbehörde TCRA registrieren und dafür umgerechnet 800 Euro Lizenzgebühr bezahlen. Das allein stellt eine Hürde dar, überhaupt einen Blog zu betreiben.

„Unpatriotischer“ Bericht

Ein ganzes Gesetzespaket greift zudem tief in elementare Freiheitsrechte ein. So erlaubt der Media Service Act beispielsweise die Suspendierung von Medienhäusern, die Verhaftung von Journalisten oder das Verbot von Veröffentlichungen. Anlässe dafür können „falsche oder irreführende Nachrichten“ sein ‒ aber wer definiert das? Jedenfalls: Das Gesetz findet Anwendung ‒ 2019 berichtete die Zeitung Citizen Newspaper über die Abwertung der tansanischen Währung und wurde eine Woche lang suspendiert. Im Mai 2020 wurden zwei Journalisten verhaftet, die Interviews zur schwierigen Covid-Lage geführt hatten. Die Begründung: Solche „unpatriotischen Informationen“ könnten sich negativ auf Sicherheit, Einheit und Wirtschaft des Landes auswirken.

Von den Einschränkungen sind Journalisten betroffen, aber auch Menschen, die sich in NGOs oder anderen Organisationen für ihr Land einsetzen. Menschenrechtsverteidiger werden inhaftiert, Anwältinnen suspendiert, Oppositionelle zu Geldstrafen verurteilt. Es reicht aus, eine andere Ansicht als die der Regierung zu äußern.

59 Millionen Menschen sind betroffen

Der Internet-Shutdown begann am Tag vor der Wahl und erstreckte sich über mehr als eine Woche, er wurde auf verschiedenen Ebenen vollzogen: Die TCRA wies Telekommunikationsanbieter und Internet-Provider an, mit Hilfe von Filtern den Zugang zu Diensten wie Twitter, WhatsApp und Telegram einzuschränken. Zuvor waren Anbieter aufgefordert worden, den Zugang zu SMS- und Sprachnachrichten-Diensten zu unterbinden. Nach Angaben der NGO Access Now ‒ sie setzt sich weltweit für unbeschränkten Zugang zum Internet und digitale Rechte ein ‒ hat die TCRA Geräte installiert, die das Netz drosseln, Websites blockieren und den Datenverkehr so verschlechtern, dass etwa größere Datenpakete mit Videos oder Fotos nicht übertragen werden können. 59 Millionen Menschen in Tansania wurden so ihre gängigen Kommunikationsmittel genommen.

Proteste blieben aus ‒ zu groß war die Angst

Warum veranlasst eine Regierung so etwas und zu welchem Zweck? Oft wird von den Verantwortlichen argumentiert, Shutdowns sollten die Verbreitung „von Fake News, Hassrede oder Gewalt fördernden Inhalten“ eindämmen. In der Regel ist das allerdings nur vorgeschoben ‒ vielmehr werden Shutdowns gezielt genutzt, um Proteste etwa infolge von Militäraktionen einzudämmen, aufbrandende Gewalt wegen lokaler Konflikte zu kanalisieren und drohende politische Instabilität zu verhindern. In Tansania selbst wurde der Shutdown damit begründet, man handele aus „Sorge um die Fairness des Wahlprozesses und die nationale Sicherheit“.

Was bringt die neue Präsidentin?

Die Wahl gewann Magufuli mit 84,4 Prozent. Wie reagierte die tansanische Zivilgesellschaft darauf? Gab es Proteste, Demonstrationen? Nein, sagt Gloria Mafole von der Brot für die Welt-Partnerorganisation CCT, „es gab keine öffentliche Reaktion, die Angst war einfach zu groß“. Die Menschen konnten sich auch nicht vernetzen ohne das Internet und die Messengerdienste. Nur wer die Möglichkeit hatte, einen VPN-Tunnel zu organisieren, also ein geschütztes Netzwerk, mit dem die Blockade umgangen werden konnte, konnte kommunizieren, sagt Mafole. Solche VPN-Tunnel waren zwar verboten, doch während des Shutdowns stieg die Nachfrage nach VPNs um 18.823 Prozent.

Laut offiziellen Angaben starb Magufuli im März 2021 in Daressalam. Seine Nachfolgerin ist Samia Suluhu Hassan, die erste Präsidentin Tansanias. Bisher enttäuscht sie die Hoffnungen auf mehr Presse- und Meinungsfreiheit.

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