Fast 120.000 Frauen in Honduras arbeiten in Textilfabriken. Die Schichten dauern oft zwölf Stunden. Die Pausen sind kurz, die zu erfüllenden Quoten hoch.
© Anne Ackermann / Brot für die Welt
Fast 120.000 Frauen schuften in den honduranischen Textilfabriken – vor allem für internationale Modefirmen. Dabei setzen sie ihre Gesundheit aufs Spiel. Ein Projekt klärt die Näherinnen über ihre Rechte auf.
Liliam Castillo hat lange das getan, was die Gesellschaft von ihr als Frau erwartete: Arbeiten bis zum Umfallen und den Männern gehorchen. Jetzt hat die 43-Jährige dazu keine Lust mehr. Sie steht vor der honduranischen Sozialversicherung in der Industriestadt San Pedro Sula und brüllt in ein Megafon. Mit einer Stimme, die man der 1,45 Meter kleinen Frau kaum zutraut: „Arbeit ja, aber mit Würde!“ und „Beschleunigt die Anerkennung von Berufskrankheiten!“, skandiert sie. Drei Dutzend Frauen in lilafarbenen T-Shirts wiederholen die Slogans. Einige Passantinnen und Passanten halten inne, schießen Handyfotos, die lokale Presse filmt. Castillo gibt Interviews. Die Näherin will nicht mehr unsichtbar und folgsam sein. Sie kämpft.
Castillo war eine der besten Näherinnen in der Fabrik von Gildan Activewear, einem kanadischen Bekleidungshersteller mit weltweit 44.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 4,2 Milliarden US-Dollar. Sie ging um fünf Uhr früh aus ihrem Ein-Zimmer-Apartment und kam um 20 Uhr wieder. Ihr Mann kümmerte sich mehr schlecht als recht um die beiden Kinder. Wenn sie nach Hause kam, war er oft betrunken und schlug sie. Sie war die Hauptverdienerin und stolz darauf, dass sie die Anstellung als Näherin 2006 ergattert hatte. Damals war sie 26. In San Pedro Sula gibt es wenig Jobs für ungelernte Arbeiterinnen wie sie. Die Stellen in den Maquilas sind begehrt.
Bei Gildan Activewear nähte sie Ärmel an Shirts. Vier Handgriffe, zwölf Stunden am Tag. In ihrer besten Zeit brauchte sie für einen Ärmel 30 Sekunden. 120 Shirts pro Stunde, für jedes bekam sie umgerechnet zwei Eurocents. Nach sechs Jahren Akkord begannen ihre Arme und Schultern zu schmerzen. Der Betriebsarzt gab ihr erst Schmerztabletten, dann Spritzen, redete von einem Haltungsproblem, verordnete Lockerungsübungen zwischendurch. Zwei Jahre arbeitete sie so weiter, denn inzwischen war sie alleinerziehend. Dann brach sie zusammen. Als sie den Arzt der Sozialversicherung zu Rate zog, diagnostizierte er Schäden an Lenden- und Halswirbelsäule, chronische Muskelentzündung, Leistenbrüche, Arthrose, eine Allergie. „Du bist ein Wrack, bleib zuhause“, sagte er ihr. Die Firma bot ihr eine Abfindung an, wenn sie kündigte. „600 Euro für acht Jahre schuften“, erzählt sie empört. „Ich fühlte mich behandelt wie Dreck.“
Eine Kollegin erzählte ihr von CODEMUH, dem „Kollektiv der honduranischen Frauen“. Die von Brot für die Welt unterstützte Organisation kämpft seit 35 Jahren gegen Ausbeutung und Machismo. Das Büro in San Pedro Sula hat sich auf die Arbeiterinnen der Maquila-Industrie spezialisiert. „Als wir hier anfingen, herrschte Sklavenarbeit“, erzählt die Direktorin Maria Luisa Regalado. „Die Frauen wurden geschlagen und in Gemeinschaftsunterkünften zusammengepfercht.“ Das hat CODEMUH inzwischen abgestellt. Aber der Kampf um mehr Rechte ist zäh. Die Fertigungsindustrie exportiert jährlich Textilien im Wert von 3,3 Milliarden US-Dollar und ist einer der wichtigsten Industriezweige des mittelamerikanischen Landes.
Regalado und die von Brot für die Welt finanzierte Anwältin des Frauenkollektivs nahmen sich Castillos Fall an. Sie klagten vor dem Arbeitsgericht auf Wiedereinstellung auf einem anderen Arbeitsplatz und gewannen – nach vier zermürbenden Jahren. Castillo bekam einen Job in der Qualitätskontrolle. Sie war die erste Arbeiterin überhaupt, die Gildan in Honduras erfolgreich auf eine Wiedereinstellung verklagt hatte. „Alleine hätte ich das nie durchgestanden“, sagt sie. Andere Arbeiterinnen ziehen sie inzwischen zu Rate, wenn sie Probleme haben. „Auch manche, die mich früher kritisiert haben“, lächelt sie. Castillo trägt ihnen nichts nach. „Neid und Konkurrenzdenken werden uns von den Firmen eingepflanzt“, hat sie erkannt. Bei CODEMUH hingegen entdeckte sie die Kraft der Solidarität. „Wenn ich könnte, würde ich jeden Tag das lila T-Shirt von CODEMUH tragen, so stolz bin ich darauf“, sagt Castillo.
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