Interview

Wird die EU ihrer Rolle als Klima-Vorbild gerecht?

Bis 2050 will Europa der erste klimaneutrale Kontinent der Welt sein. Adrián Martínez aus Costa Rica ist Direktor der Menschenrechts- und Klima-NGO La Ruta Del Clima. Er beobachtet schon lange, wie die EU viel verspricht und hohe Standards bei Menschenrechten oder Rechtsstaatlichkeit einfordert – und sich andererseits an nichts davon selbst hält. Martínez sagt: Die EU muss sich nun entscheiden.

Von Kai Schächtele am
Costa Rica Klimaschäden

Im Mai 2008 verursachte ein Tropensturm in Costa Rica schwere Überschwemmungen, so wie hier in der Stadt Parrita.

Europa möchte der erste klimaneutrale Kontinent werden. Ist dieser Anspruch Ihrer Meinung nach glaubwürdig?

Wir haben daran starke Zweifel. Wir beobachten die Klimapolitik einzelner Länder genauso mit Sorge wie den zunehmenden Rechtsruck in Europa und Aussagen von Abgeordneten im EU-Parlament und einzelner Repräsentanten. Wir sehen, dass Schlüsselländer wie Deutschland ihre Investitionen in den Klimaschutz nicht steigern und gleichzeitig die Militärausgaben erhöhen.

Wie bewerten Sie die Klimapolitik?

Die EU versucht, den CO2-Ausstoß über den Markt zu senken, also mit dem Handel von CO2-Zertifikaten, die den Ausstoß verteuern sollen. Doch die Emissionen steigen seit Jahrzehnten immer weiter. Alle Versuche, diesen Handel so zu gestalten, dass er funktioniert, sind bislang gescheitert.

„Wir erleben den Widerspruch zwischen den Ansprüchen der EU und der Realität hautnah“

Viele Menschen in Europa sagen, dass die EU das Klima nicht allein retten kann. Auf der anderen Seite sprechen viele davon, dass sie ein Vorbild für den Rest der Welt ist. Welchen Einfluss hat die Klimaschutzpolitik in Europa auf den globalen Süden und insbesondere auf Costa Rica?

In Costa Rica betreiben viele europäische Staaten Agenturen, um Kooperationen zu schließen; Deutschland, Luxemburg oder Frankreich. Außerdem sind viele Unternehmen hier. Europa sieht sich als Partner. Dieser Anspruch und die Anforderungen, die sich daraus ergeben, sind sehr präsent. Europa formuliert Standards bei Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit oder Regeln für den Handel. Doch wir erleben den Widerspruch zwischen den Ansprüchen der EU hier und der Realität in Europa hautnah. Den werden sich andere Partner zunutze machen: etwa die USA, die ein ganz anderes Verständnis von Partnerschaft haben, oder China. Und in Costa Rica versuchen im Moment Unternehmen aus Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten Fuß zu fassen. Daraus würden andere Geschäftsbeziehungen und politische Verflechtungen entstehen. Das hat natürlich Auswirkungen auf unser Land.

Welche?

Die Frage ist: Wird sich Costa Rica nach europäischen Standards ausrichten oder nach denen der Vereinigten Arabischen Emirate? Die Antwort hängt sehr davon ab, wie glaubwürdig sich die EU jetzt verhält. Außerdem brauchen wir eine große Diskussion über das Wirtschaftsmodell, dem wir folgen. Wir müssen unsere gesamten Muster überdenken, wie wir Güter produzieren und konsumieren. Ob das gelingt, hängt sehr von den Entscheidungen ab, die Europa trifft. Natürlich kann Europa nicht allein die Welt retten. Aber es kann sich auch nicht als Vorbild inszenieren und seine eigenen Maßstäbe verraten. Die Welt lässt sich nicht durch Zwang verändern, sondern durch Vertrauen, Handel, gemeinsame Regeln und kulturellen Austausch. Dazu muss man mit gutem Beispiel vorangehen.

Welche Unterstützung wünschen Sie sich von Europa für den Klimaschutz in Ihrem Land?

Wir haben einen sehr geringen CO2-Fußabdruck. Natürlich können wir Unterstützung gebrauchen, um ihn weiter zu reduzieren. Aber nach dem Prinzip der gemeinsamen, aber geteilten Verantwortung zwischen uns und Europa fordern wir Entschädigung für die enormen Schäden, die hier bereits entstanden sind, und für die Veränderungen unserer Ökosysteme. Sie sind die Folge davon, dass auch Europa Jahrzehnt auf Jahrzehnt die Emissionen nicht stabilisiert, geschweige denn reduziert hat. Der globale Norden ist verantwortlich für über 90 Prozent der historischen CO2-Emissionen und muss dieser Verantwortung gerecht werden.

„Wir brauchen Planungssicherheit“

Auf dem Klimagipfel in Paris 2015 haben sich die Industriestaaten verpflichtet, Entwicklungs- und Schwellenländer ab 2020 mit 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr für den Klimaschutz zu unterstützen. Was halten Sie vier Jahre später von dieser Zusage?

Die Zusagen waren damals freiwillig. Es gab keine Kriterien dafür, welche Investitionen dazu zählen oder ob es Zuschüsse oder Kredite sind. Doch erst im vergangenen Jahr wurde der Wert überhaupt zum ersten Mal nahezu erreicht. Dadurch entsteht Misstrauen. Europa hätte die finanziellen Mittel, um selbst die Transformation schnell zu schaffen und andere dabei zu unterstützen. Stattdessen hält es Zusagen nicht ein und schöpft selbst das CO2-Budget aus, das ihm nach dem Klimavertrag von Paris zusteht. Das ist ein Muster, das wir im globalen Norden seit langem beobachten.

Welche Forderungen haben Sie an das nächste EU-Parlament?

Meine erste Forderung: Beim Klimagipfel in Aserbaidschan wird ein globales Finanzziel vereinbart zur Unterstützung der Entwicklungsländer in der Klimakrise. Das EU-Parlament muss sicherstellen, dass die EU dieses Ziel mitträgt. Wir brauchen Planungssicherheit. Wir können nicht unsere Industrie oder den Verkehr umbauen, wenn wir uns nicht darauf verlassen können, dass wir das dafür nötige Geld erhalten werden. Das gilt für viele weitere Bereiche.

Und die zweite?

Obwohl Europa nicht allein verantwortlich ist für den Klimawandel, müssen Abgeordnete und Repräsentanten der EU anerkennen, dass er einen Preis hat. Und der resultiert aus den Schäden und Verlusten in Ländern wie unserem. Dieser Preis ist nicht allein gedeckt mit Krediten und Innovationsförderung, auf die sich die Staatengemeinschaft beim Klimagipfel in Paris geeinigt hat. Bislang verweigert sich Europa seiner Verantwortung. Sie zumindest anzuerkennen, würde den Raum öffnen für eine grundsätzliche Diskussion. Bislang bleibt der verschlossen.

 

Adrián Martinez ist Direktor der Menschenrechts- und Klima-NGO La Ruta del Clima, einer Partnerorganisation von Brot für die Welt. Bei der Diskussion zur EU-Wahl am 7. Mai wird er seine Forderungen direkt an die Politikerinnen und Politiker richten.

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