Interview

Die Menschen in Guatemala haben die Angst verloren

Wer sich gegen die tief verwurzelte Korruption stark macht, geht ein hohes Risiko ein. Das musste auch der neu gewählte Präsident Bernardo Arévalo erfahren. Nach dem Wahlsieg versuchten einige Institutionen, den Amtsantritt am 14. Januar zu verhindern. Die Indigene Florinda Yax Tiu von Jotay, einer Menschenrechts-Partnerorganisation von Brot für die Welt, blickt optimistisch auf den Machtwechsel.

Von Anne-Katrin Mellmann am
Florinda Yax Tiu

Florinda Yax Tiu von der Menschenrechtsorganisation Jotay

Warum haben die guatemaltekischen Institutionen versucht, den Amtsantritt Bernardo Arévalos zu verhindern?

Es gibt hier dunkle Kräfte, die nicht von ihrer Macht lassen wollen, nur weil ein neuer Präsident antritt. Er unterstützt ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen nicht, sondern wird sie absehbar schwächen.

Guatemala ist ein reiches Land, aber die Korruption verhindert, dass die Bevölkerung davon profitiert. Die staatlichen Institutionen haben sich nicht um die Durchsetzung des Wahlergebnisses gekümmert. Erst wegen privater Klagen musste das Verfassungsgericht aktiv werden.

Hat dazu auch Druck aus dem Ausland beigetragen?

Ja. Es gibt internen Druck, Widerstand durch indigene Gemeinschaften und die Zivilgesellschaft. Aber auch der Druck aus dem Ausland wie zum Beispiel durch die Europäische Union, die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und die USA hat eine große Rolle gespielt.

Der Wahlsieg von Bernardo Arévalo war eindeutig, trotzdem stellten ihn einige Institutionen in Frage. Wie kann so etwas passieren?

In den vergangenen Jahrzehnten waren hier Mächte am Werk, denen das Land nicht am Herzen liegt. Demokratie, Menschenrechte, die Armut überwinden – das gehört nicht zu ihrer Agenda. Zum Teil waren es dieselben, die während des Bürgerkriegs regierten. Nachdem er 1996 endete, ging es den neuen Reichen nicht um Frieden und Aussöhnung, sondern um ihre Profite. Sie bereicherten sich durch Korruption und am Staatshaushalt. Die Internationale Kommission gegen Korruption und Straflosigkeit CICIG hat zwischen 2008 und 2019 viele Fälle aufgedeckt. Auch wenn wir wussten, dass es Korruption gibt, hat uns ihr Ausmaß überrascht.

Das war eine sehr wichtige Aufgabe der CICIG. Guatemala hat in Mittelamerika die größte Wirtschaft, aber trotzdem sehr viel Armut, Gewalt und Korruption. Die CICIG hat gut mit der damaligen Generalstaatsanwältin Thelma Aldana zusammengearbeitet, aber die lebt deshalb jetzt im Exil und die CICIG existiert nicht mehr. Was ist schiefgelaufen?

Die dunklen Mächte, die Elite des Landes, haben die Kontrolle behalten. Justiz und Parlament waren zu sehr unterwandert und am Ende stärker als die CICIG. Dank der CICIG haben wir begriffen, was passiert ist, welche Unternehmer und Politiker korrupt waren. Einige Bürger organisierten sich in neuen Parteien, die dieses korrupte System beenden wollen. Eine davon ist Semilla – die Partei des Wahlsiegers Arévalo. Die andere Seite hat wegen der aufziehenden Bedrohung die Reihen geschlossen. Sie wollen partout keine Veränderungen.

Kann der künftige Präsident Arévalo diese Reihen durchbrechen?

Zumindest kann er die Kräfte stärken, die die Demokratie fördern. Es gibt zwei Ziele, für die sich die Zivilgesellschaft einsetzt: Demokratie sowie der Kampf gegen Korruption und Straflosigkeit. Das fordert auch die internationale Gemeinschaft.

Wie kann Arévalo vorankommen, wenn die wichtigsten Institutionen des Landes korrupt sind?

Er wird die Wirklichkeit nicht drastisch verändern können. Aber er kann das Fundament einer Demokratie bauen, die mit ehrlichen Menschen arbeitet. Wir haben in Guatemala lange zwischen Apathie und Hoffnung gelebt. Bei früheren Präsidentenwahlen waren wir frustriert und haben den gewählt, der weniger Geld klaut. Man stelle sich das einmal vor! Plötzlich merken wir, dass unsere Stimme zu einer Veränderung beitragen kann. Das ist eine Ermächtigung der Zivilgesellschaft, ein Erwachen.

Fühlen Sie als Indigene sich repräsentiert durch Arévalo?

Nein, nicht ganz. Die Probleme des Landes sind so riesig, dass er nicht alles anpacken kann. Aber ich habe die Hoffnung, dass sich eine funktionierende Demokratie auch mit unseren Rechten auseinandersetzen wird. Wir erwarten, dass sich dieser Präsident mit den wichtigen Fragen unserer Zukunft befasst, zum Beispiel wie eine würdige, ausreichende Gesundheitsversorgung für Indigene aussehen muss.

Guatemala durchlebt einen entscheidenden Moment …

Letztes Jahr fiel unsere Analyse der politischen Situation in unserem Land katastrophal aus. Es schien, als würde die Politik der Korruption immer weitergeführt. Doch 2023 haben wir einen neuen Präsidenten gewählt. Er ist kein Linker, sondern kommt politisch eher aus der Mitte bis Rechts. Er hat keinerlei korrupte Vorgeschichte. Er ist der Sohn des ersten, demokratisch gewählten Präsidenten Guatemalas, der später im Exil leben musste. Arévalo wird das hohe Ansehen seines Vaters nicht beschädigen. Ich glaube, wegen dieses Erbes sieht er sich verpflichtet, sein Bestes zu geben. Es ist ein entscheidender Moment in der Geschichte unseres Landes. Die Mobilisierung der Zivilgesellschaft für Arévalo, für die Anerkennung des Wahlergebnisses, ist unvergleichlich. Dieses Mal hat sie das gesamte Land erfasst und nicht nur die Städte. Die Menschen haben ihre Angst verloren. Sie wollen Demokratie.

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