Die Nutzung von Instrumenten der sozialen Sicherheit bei der Bewältigung von klimabedingten Schocks und Belastungen wird gemeinhin als anpassungsfähiger Sozialschutz (adaptive social protection) bezeichnet. Dieses Konzept wird von Weltbank und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beworben und hat in Zeiten multipler Krisen zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Debatten und Maßnahmen konzentrieren sich dabei jedoch stark auf kurzfristige Schutzmaßnahmen, die auf punktuelle Schocks reagieren und die Bemühungen der humanitären Hilfe ergänzen.
Ein solcher reduktionistischer Ansatz verkürzt die Idee des anpassungsfähigen Sozialschutzes auf ein Instrument des Risikomanagements und ein kurzfristiges Sicherheitsnetz für arme Bevölkerungsgruppen, mit der entsprechenden Wahl der Instrumente und Methoden für die Zielgruppenauswahl. Das hat zur Folge, dass zugrunde liegende Probleme wie Armut, Ungleichheit, Machtlosigkeit und Diskriminierung eher reproduziert als angegangen werden.
Den Blick wieder weiten
Diese eingeschränkte Vorstellung von anpassungsfähigem Sozialschutz verstellt den Blick auf das volle Potenzial der sozialen Sicherheit, einen Beitrag zur Bewältigung des Klimawandels zu leisten, das auf vier Hauptfunktionen beruht:
(1) Es geht um den Schutz aller Menschen vor dem (tieferen) Abgleiten in die Armut. Es soll verhindert werden, dass Menschen beim Eintreten eines Schocks Überlebensstrategien wählen müssen, die ihre langfristigen Chancen beeinträchtigen.
(2) Es geht um Prävention, also Maßnahmen, die Menschen und Haushalte dabei unterstützen, Risiken zu antizipieren und zu reduzieren, oder die zu erwartenden Wirkungen durch vorbeugendes Handeln abmildern.
(3) Es geht um Förderung der Menschen und ihrer Chancen(gleichheit), um die Verbesserung ihrer Wohlfahrt, die Steigerung oder Diversifizierung des Einkommens von Einzelpersonen, Haushalten und Gemeinschaften.
(4) Nicht zuletzt geht es auch um Transformation – konkret um die Ermöglichung wünschenswerter Veränderungsprozesse. Oder es geht, wie im Fall des Klimawandels, um eine aktive Gestaltung notwendiger Anpassungen. In der Regel handelt es sich um Maßnahmen, die soziale, wirtschaftliche und politische Teilhabe (wieder) ermöglichen oder Anpassungsprozesse abfedern.
Ein umfassenderes Verständnis von anpassungsfähigem Sozialschutz umfasst sowohl kurzfristige als auch langfristige Maßnahmen, die schützende und präventive, aber auch fördernde und transformative Dimensionen berücksichtigen, um die Menschen bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Es geht weg von der Konzentration auf einzelne Programme, hin zu sozialen Sicherungssystemen. Widerstandsfähigkeit der Menschen entsteht hier durch die Gewährleistung von Rechten, durch Ermächtigung und Teilhabe.
Die soziale Dimension berücksichtigen
Der Klimawandel verändert und verschärft die individuellen und kollektiven Risiken und deren Auswirkungen. Die Risiken betreffen alle Menschen weltweit. Die Auswirkungen sind aber besonders für verwundbare Bevölkerungsgruppen in Ländern mit niedrigem Einkommen spürbar. Sie leben oft in vom Klimawandel stark betroffenen Gebieten, arbeiten unter prekären Bedingungen oder können sich teurer werdende Lebensmittel nicht mehr leisten. Sie sind damit den Auswirkungen des Klimawandels unverhältnismäßig stark ausgesetzt. Gleichzeitig zählen diese verwundbarsten Bevölkerungsgruppen nicht zu den Verursachern des Klimawandels. Ohne jeden Zweifel hat der Klimawandel eine soziale Dimension, die mehr Aufmerksamkeit braucht. Maßnahmen der sozialen Sicherheit im Klimakontext müssen deshalb strukturelle Fragen von Armut und Ungleichheit mit in den Blick nehmen. Soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit gehören zusammen.
Multisektoral denken
Das ursprüngliche Konzept des anpassungsfähigen Sozialschutzes ist ein multisektoraler Ansatz. Die dem Konzept zugrundeliegenden Schnittstellen sind Katastrophenvorsorge und Klimaanpassung. Durch multisektorale Initiativen, beispielsweise Maßnahmen der sozialen Absicherung in Verbindung mit landwirtschaftlicher Beratung und Bewässerungsprojekten, könnten Menschen erheblich besser in die Lage versetzt werden, Neues zu wagen, ohne das Überleben ihrer Familie zu gefährden. Im Ergebnis könnten Menschen sich besser an die neuen klimatischen Bedingungen anpassen und Extremwetterereignissen, beispielsweise zunehmenden Dürreperioden, trotzen. Multisektoral kann aber ebenso bedeuten, Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt zu regulieren, um Menschen aus prekären Arbeitsbedingungen zu holen, oder Landwirtschaftspolitik umzugestalten, um in Bedrängnis geratene kleinbäuerliche Landwirtschaft zu stärken und so die Verwundbarkeit zu verringern.
Die Konzentration auf eine kurzfristige Absicherung nach Katastrophen überschattet den kontinuierlichen Bedarf an einem auf Rechten basierenden Sozialschutz für alle, der in einer sich insgesamt verändernden Risikolandschaft noch dringender geworden ist. Das größte Potenzial liegt im Auf- und Ausbau rechtebasierter sozialer Sicherungssysteme, die auf einer gründlichen Analyse der kontextbezogenen Risiken und Bedürfnisse beruhen. Es bedarf einer gesamtgesellschaftlichen und multisektoralen Anstrengung, dem Klimawandel zu begegnen. Soziale Sicherungssysteme sind notwendig – wegen des Klimawandels und unabhängig davon.
Zum Weiterlesen:
Die von Brot für die Welt in Auftrag gegebene Studie „Beyond adaptive social protection: What role for social protection in a climate context?“ analysiert die konzeptionelle Entwicklung und politische Verkürzung des Konzepts des anpassungsfähigen Sozialschutzes und formuliert Empfehlungen für die Rückbesinnung auf eine anspruchsvolle Vision.