Das diesjährige Thema der IDAHOBIT ist „Die Macht der Communities bzw. Gemeinschaften“. Sie haben anlässlich der ILGA World Konferenz in Kapstadt einen Workshop für afrikanische Partner*innen durchgeführt, die sich für die Menschenrechte von queeren Personen einsetzen und religiös sind. Was war der Zweck dieses Treffens?
Tina Kleiber: Ich finde es immer gut, wenn Menschen, die an den gleichen Themen und Herausforderungen arbeiten, die Möglichkeit haben, sich persönlich zu treffen, ihre Erfahrungen auszutauschen und sich zu stärken. In diesem Fall kamen etwa 20 Kolleg*innen zusammen, die sich mit der Veränderung von Geschlechterrollen, der Förderung von Geschlechtergerechtigkeit und der Demokratie in ihren Ländern beschäftigen. Es ist sehr wichtig und nützlich, sich persönlich zu begegnen, da sie täglich ähnliche Stigmatisierung, Ablehnung und Verachtung erfahren. Noch schlimmer ist es, wenn sie selbst zu dieser Minderheit gehören und täglich um ihr Leben fürchten müssen. So zum Beispiel in Uganda, wo schon die bloße Erwähnung von Homosexualität unter Strafe steht – von der Bildungsarbeit bis zur Vermietung einer Wohnung an eine queere Person. Hier werden Gemeinschaften direkt von staatlichen Kräften angegriffen, die sogar die Nachbarschaft dazu drängt, Menschen zu denunzieren und anzuzeigen, die für homosexuell gehalten werden.
Wer hat teilgenommen, waren auch religiöse Führungspersonen beim Workshop dabei?
Ja, die Hälfte der Teilnehmenden gehört zu religiösen Organisationen. Sie sind wichtige Stimmen innerhalb der Kirchen und zeigen, dass Glaube und Geschlechtervielfalt sich nicht gegenseitig ausschließen, im Gegenteil. Sie machen deutlich, dass queere Menschen häufig gläubig sind und sogar führende Positionen in ihren jeweiligen Institutionen und Gemeinschaften einnehmen. Es ist nicht der Glaube, der queere Menschen ausschließt, sondern die Religion, die dazu missbraucht wird, sie auszugrenzen. Als christliche Organisation kommt Brot für die Welt die wichtige Rolle zu, aufzuzeigen, dass der Glaube inklusiv ist und dass Ausgrenzung und Gewalt hier keinen Platz haben.
Einige Teilnehmer*innen brachten ihre Erleichterung darüber zum Ausdruck, dass es sich um einen echten Austausch unter Kolleg*innen handelte und nicht die Absicht bestand, jemanden zu belehren oder zu überzeugen. Die Menschen sind der Bigotterie überdrüssig. Mein Lieblingsfeedback war daher der Kommentar einer Teilnehmerin, die ihre positive Überraschung darüber zum Ausdruck brachte, dass sie aufgeschlossene gläubige Menschen traf, die sich mit dem LGBTQI-Thema auseinandersetzen, indem sie sagte: „Ich war (überrascht), mit Pastorinnen und Pastoren tanzen zu können!“
Was wurde bei dem Treffen als die größten Herausforderungen für LGBTQIA+ in Afrika diskutiert? Sie haben sich ja getroffen, gerade als der Sieg von Donald Trump bekannt wurde.
Unsere Partner*innen weisen auf die vielen Ähnlichkeiten zwischen afrikanischen Ländern hin. Sie stellten fest, dass Anti-Gender-Gruppen systematisch Parlamentarier*innen und Kirchenführer dazu auffordern, sich ein homophobes Narrativ zu eigen zu machen und Gesetzesentwürfe zur Stigmatisierung und Kriminalisierung queerer Menschen einzubringen. Das sind eigentlich Anti-Menschenrechts-Bewegungen. Wir sehen das gleiche Muster der Beeinflussung durch Anti-Gender-Gruppen, die große Konferenzen über so genannte „Familienwerte“ organisieren, bei denen jegliche Vielfalt in der Familienzusammensetzung verteufelt wird. Diese Konferenzen sowie Schulungen zur Indoktrinierung von Politiker*innen und Kirchenleuten finden seit Jahren in Uganda, Ghana und Kenia statt. Ihre Haltung führt koloniale Denkweisen und Werte aus der viktorianischen Zeit fort, die Sexualität kriminalisiert, das Leben in Patchworkfamilien, Scheidung und Alleinerziehende stigmatisierten und homosexuelle Beziehungen und nicht-binäre Geschlechterrollen a priori verunglimpften. Traditionell afrikanische Familienauffassungen haben dort keinen Platz.
Mich persönlich schockierte zu sehen, wie weit verbreitet die Armut unter queeren und geschlechtsuntypischen Menschen ist. Es ist zwar bekannt, dass queere Menschen diskriminiert werden und physische und psychische Gewalt erleben, aber über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Stigmatisierung wird weit seltener gesprochen. Viele queere Menschen sind arm – sie haben oft keine Arbeit oder nicht einmal einen Schulabschluss, weil sie gezwungen waren, ihr Zuhause und die Schule als Jugendliche früh zu verlassen. Manche werden sogar schon als Jugendliche obdachlos. Daher ist es wichtig, seelsorgerische, psychologische und rechtliche Beratung für LGBTQIA+ Menschen anzubieten, aber es ist ebenso wichtig, in wirtschaftliche Möglichkeiten und Fortbildungen zur Selbstständigkeit und andere Möglichkeiten der Einkommenserzielung zu investieren. Kürzungen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit beispielsweise bei HIV-Medikamenten verschlechtern nicht nur die Gesundheit der Menschen, sondern auch ihre wirtschaftliche Lage. Es nimmt ihnen die Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen.
Welche Best-Practice-Ansätze und -Methoden wurden bei dem Workshop in Kapstadt ausgetauscht?
Wir haben uns über bewährte Ansätze sowie über Herausforderungen ausgetauscht, mit denen alle LGBTQIA+ Menschen konfrontiert sind, unabhängig von der Gesetzgebung des Landes, in dem sie leben. Eine der besten Praktiken ist die Zusammenarbeit mit den Eltern innerhalb der Gemeinschaften. Sowohl mit denen, die queere Menschen unterstützen, als auch mit denen, die Vorurteile haben. Eltern von LGBT+-Kindern oder -Jugendlichen, die sich für die Rechte ihrer Kinder einsetzen, sind wichtige Verbündete und können eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum geht, in ihrer Gemeinschaft dafür zu argumentieren, dass ihre Kinder nicht „vom Teufel“ besessen sind, dass sie immer noch Würde und Respekt verdienen. Sie können die Auslegung christlicher Werte und das Glaubensverständnis ihrer Altersgenossen in Frage stellen, wenn sie sagen: „Seht her, wir sind zusammen aufgewachsen, ihr kennt meine Kinder von klein auf, das könnte überall passieren, dass eine Angehörige sich mit einem anderen Geschlecht identifiziert als dem gesellschaftlich zugeschriebenen.“ Ein gutes Beispiel ist die Gemeinschaftsarbeit von PFLAG (Parents and Friends of Lesbians and Gays). Diese Eltern, Verwandte und Freunde junger LGBTQIA+ Menschen haben einen offenen Brief an Präsident Museveni geschrieben, in dem sie auf die Unmenschlichkeit der Anti-Homosexualitäts-Gesetze hinweisen und darauf, dass der auf diese Weise gesäte Hass nicht mit der Achtung von Familienwerten vereinbar ist.
Und diejenigen Verwandten, die diese Diskriminierung nicht hinterfragen, die homophobe Hetze beim Wort nehmen und junge Queers aus ihren Familien ausschließen, sind eine wichtige Gruppe, mit der Präventionsarbeit geleistet werden muss. Aufklärungsarbeit und Bewusstseinsbildung können dazu beitragen, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen und die Sicherheit zu gewährleisten und Gewalt gegen junge Menschen in Schulen, Nachbarschaften und Gemeinden zu minimieren.
Was waren für Sie die Höhepunkte des Treffens?
Ich war tief beeindruckt von einer kenianischen Kirche, die von queeren Gläubigen selbst organisiert wird und einen sicheren Ort des Glaubens bietet. Und natürlich ist das politische Umfeld in Kenia alles andere als einfach. In Städten wie Nairobi gibt es eindeutig beides: einen homophoben Diskurs in Regierung und Parlament und eine lebendige queere Szene, die Unterdrückung nicht länger hinnehmen will.
Was wird als nächstes geschehen? Gibt es weitere Schritte?
Es gibt natürlich viele Ideen und Forderungen, wie es weitergehen soll: Wir haben jetzt ein Treffen von englischsprachigen Teilnehmenden mit Übersetzung ins Portugiesische gehabt. Es wäre sehr wichtig, ähnliche Workshops in Westafrika zu veranstalten, insbesondere für frankophone Länder wie Burkina Faso oder Senegal, die ebenfalls von einem Hassdiskurs betroffen sind und in denen durch die Anti-Gender-Bewegung kriminalisierende Gesetze vorgeschlagen werden. Diese Bewegung predigt das gewaltvolle Narrativ einer vermeintlich "natürlichen Ordnung der Dinge", die darauf abzielt, Unterdrückung von Frauen* und Queers und letztlich die weiße Vorherrschaft wiederherzustellen und zu festigen. Wir sehen, wie der menschenrechtsbasierte Ansatz der Geschlechtergerechtigkeit, Inklusion und Anti-Rassismus in Frage gestellt wird. Dies sind harte Zeiten für queere Menschen, und es ist wichtig, die Hoffnung am Leben zu erhalten.
Das Interview führte Sarah Kohrt von der Hirschfeld-Eddy-Stiftung, Projektleiterin der LGBTIQ*-Plattform Menschenrechte.
Die Arbeit zur ILGA-Weltkonferenz und das Partnertreffen fanden in Zusammenarbeit mit Farina Hoffmann, Gender Referent*in von Brot für die Welt statt.