Interview

„Frieden erfordert einen langen Atem“

Weit mehr als 200 Kriege und bewaffnete Konflikte gibt es derzeit auf der Welt. Hunderttausende Tote sowie Millionen Verwundete und Flüchtlinge sind die Folge. Was sind die Ursachen dafür? Und was kann man dagegen tun? Ein Gespräch mit Amelie Overmann, Referentin für Frieden und Sicherheit bei Brot für die Welt.

Von Thorsten Lichtblau am
Amelie Overmann, Referentin für Frieden und Sicherheit bei Brot für die Welt.

Amelie Overmann, Referentin für Frieden und Sicherheit bei Brot für die Welt.

Frau Overmann, immer wieder hört man den Satz: „Die Welt ist aus den Fugen geraten.“ Stimmt es eigentlich, dass wir in einer besonders konfliktreichen Zeit leben?

Ja. Der Global Peace Index und andere Erhebungen zeigen, dass die Gewalt weltweit zugenommen hat. Sowohl die Zahl der bewaffneten Konflikte als auch die Zahl der Getöteten und Verletzten ist in den vergangenen Jahren gestiegen.

Die deutschen Medien berichten hauptsächlich über die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten. Es gibt aber auch noch viele andere …

Das ist richtig, zum Beispiel die Kriege im Sudan oder im Ostkongo, die es zumindest manchmal in die Schlagzeilen schaffen. Es gibt aber auch Konflikte, über die man hier so gut wie nichts erfährt, wie die in Myanmar und Mosambik, im Jemen oder in Haiti. Oder auch den in der äthiopischen Region Tigray. Dort wurden zwischen 2020 und 2022 über 600.000 Menschen getötet, in einem der blutigsten Bürgerkriege der jüngeren Geschichte.

Was ist denn die wichtigste Ursache für Kriege und bewaffnete Konflikte?

Das kann man so allgemein nicht sagen. Meist ist es eine Mischung aus verschiedenen Faktoren: zum Beispiel die unterschiedliche Interpretation von historischen Fakten, die Folgen der willkürlichen Grenzziehungen durch die Kolonialmächte, soziale Ungleichheit, ökonomischer Druck oder der Streit um den Zugang zu Rohstoffen. Auch lokales, regionales oder globales Vor­machtstreben spielt immer eine Rolle. Wenn all das zusammenkommt und die verschiedenen Gruppen auch noch durch Desinformation und Hassreden weiter gespalten werden, dann kann es zu einer Eskalation kommen.

Und wie kann es gelingen, einen Krieg zu beenden?

Oft bringen Gespräche den Durchbruch, entweder nur zwischen den Konfliktparteien oder unter Vermittlung Dritter. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass bei­de Seiten erkennen, dass es auf militärischem Wege keine gute Lösung geben wird. Auch innen-­ oder außenpolitische Veränderungen können ein entscheidender Impuls sein. Das war beispielsweise der Fall, als Tony Blair 1994 Premierminister in Großbritannien wurde und bald darauf das Karfreitagsabkommen auf den Weg brachte, das den Nordirlandkonflikt beendete.

Wenn die Waffen schweigen, heißt das ja noch lange nicht, dass Frieden herrscht. Wie schafft man denn die Voraussetzungen für Versöhnung?

Frieden muss auf gesellschaftlicher Ebene entstehen. Das erfordert einen langen Atem. Von Bedeutung ist dabei unter anderem das Thema der Wahrheitsfindung. In Südafrika hat beispielsweise eine Kommission politisch motivierte Verbrechen während der Apartheid untersucht. Aber auch die strafrechtliche Aufarbeitung der Verbrechen spielt eine zentrale Rolle. Für die Opfer ist es wichtig, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden – so wie das etwa in Sierra Leone der Fall war. Es gibt aber noch ein drittes Beispiel, das mich besonders beein­druckt hat: Vergangenes Jahr war ich auf Bougainville, einer kleinen Insel im Pazifik. Geografisch gehört sie zu den Salomonen. Während der Kolonialzeit wurde sie jedoch Deutsch-­Neuguinea zugeschlagen. Die damalige Grenzziehung hatte zur Folge, dass die Insel bis heute Teil von Papua­-Neuguinea ist, obwohl sich die Menschen diesem Land gar nicht zugehörig fühlen. Von 1989 bis 1998 gab es einen Bürgerkrieg, in dem eine bewaffnete Gruppe gegen die Regierungsarmee und für die Unabhängigkeit kämpfte. Mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft gelang es 1998, einen Friedensprozess zu starten, an dem sich alle Menschen beteiligen konnten und der auf kulturelle Besonderheiten Rücksicht nahm. Er führte 2019 zu einem Unabhängigkeits­referendum. 2027 könnte Bougainville endgültig unabhängig werden.

Noch wichtiger, als Kriege zu beenden, wäre es ja, Kriegen und Konflikten vorzubeugen. Ist das möglich?

Ja, ganz entscheidend ist dafür die Stärkung der lokalen Zivilgesellschaft. Denn ihre Akteure können vor Ort sein, Augen und Ohren offenhalten, zur Entspannung beitragen. Ein anderer wesentlicher Aspekt ist eine bessere Regulierung der Rüstungsexporte. Deutschland ist ja einer der größten Waffenexporteure der Welt und immer wieder landen Waffen in Kriegsgebieten. Ein striktes Rüstungsexportkontrollgesetz wäre hier ein bedeutender Schritt zur Prävention bewaffneter Konflikte.

Was tut Brot für die Welt, um zu Frieden und Verständigung beizutragen?

Wir unterstützen viele Organisationen weltweit, die sich für die Stärkung der Zivilgesellschaft, für Demokratie, Frie­den und Versöhnung einsetzen. Und wir sorgen dafür, dass die Stimmen unserer Partner auch hier gehört werden. Kürzlich war der Leiter des Pole Institutes in Goma bei uns zu Gast, der sich für Frie­den und Verständigung in der Demokra­tischen Republik Kongo engagiert. Wir unterstützen Partner wie ihn dabei, sich in Berlin mit unterschiedlichen politi­schen Akteuren zu treffen, um über die Lage in ihrer Heimatregion zu berichten. Darüber hinaus wollen wir Einfluss nehmen auf politische Debatten im Bereich Frieden und Sicherheit. Dazu bin ich im engen Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern aus Regierung, Ministerien, der Wissenschaft und anderen Nichtregierungsorganisationen.

Eine persönliche Frage zum Schluss: Wie sind Sie dazu gekommen, sich mit dem Thema Frieden zu beschäftigen?

Ich war 2008 als Freiwillige in Nairobi, ein halbes Jahr nach den schweren Unruhen, die es dort nach der Verkündung eines umstrittenen Wahlergebnisses gab. Ich habe damals an einem Peace Caravan teilgenommen, einer Tour durch eine Region in Kenia, die stark betroffen war von den Gewaltausbrüchen. Dort habe ich eine Schwedin kennengelernt, die mir erzählte, dass man Frie­dens-­ und Konfliktforschung studieren kann. Und da war mir sofort klar: Das ist das, was ich machen möchte. Ich möchte besser verstehen, wie es zu bewaffneter Gewalt kommt – und natürlich auch, wie man sie verhindern kann.

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters. Schülerinnen in Äthiopien

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