Frau Santos, was passiert mit Menschenrechtsverteidiger*innen in El Salvador?
Sie werden stigmatisiert, kriminalisiert, belästigt, bei ihrer Arbeit behindert. Viele Aktivist*innen und NGO-Mitarbeitende empfinden Angst, weil es sogar zu Hausdurchsuchungen und Verhaftungen ohne ordentliches Verfahren kam.
Haben Sie konkrete Beispiele?
Kürzlich wurde der Sprecher einer nicht registrierten Organisation verhaftet. Man warf ihm vor, er arbeite für eine illegale Organisation. Doch das war nur ein Vorwand. Sie hatten ihn früher schon einmal inhaftiert, und nachdem er damals aus dem Gefängnis entlassen wurde, hatte er die Misshandlungen angeprangert, die er im Gefängnis erlebte. Nun sitzt er erneut in Haft und ist denjenigen ausgeliefert, die er angeklagt hatte. Ein anderes Beispiel ist eine Mutter, die gegen die Untätigkeit der Justiz demonstrierte – ihre Tochter war verschwunden. Weil sie öffentlich protestierte, landete die Mutter selbst fünfzehn Tage lang im Gefängnis. Ohne Gerichtsverfahren. So laufen die Dinge heute in El Salvador. Zum Glück kommen diese Dinge ans Licht, auch dank der unabhängigen Medien im Land.
Warum kann Bukele Freiheitsrechte derart aushebeln?
Seine Regierung hat vor mehr als drei Jahren den Ausnahmezustand verhängt. Damit hat er die Gewaltenteilung aufgehoben. Er beherrscht den gesamten Staatsapparat. Es gibt keine unabhängigen Institutionen mehr. Medien, die das kritisieren, beschimpft er und sagt, sie seien gekauft.
US-Präsident Trump lässt Migrant*innen nach El Salvador ausweisen und begründet das damit, sie seien Mitglieder der kriminellen Organisation Tren de Aragua. Die Ausgewiesenen landen im Hochsicherheitsgefängnis CECOT. Wie sind die Zustände dort?
Schlimm. Man sagt, dass sich etwa hundert Gefangene zwei Badezimmer teilen, auf Feldbetten schlafen, es ist eine permanente Entmenschlichung – übrigens in allen Gefängnissen, CECOT ist nur das bekannteste. Erst vor einem Jahr ließ Bukele dieses Hochsicherheitsgefängnis bauen, es ist eines der größten in Lateinamerika. Aber es war nur zu 40 Prozent ausgelastet. Das hat Bukele mit dem Trump-Deal geändert: Jetzt sitzen dort Migrant*innen aus Venezuela fest, die Trump abgeschoben hat. Viele von ihnen haben nichts mit Tren de Aragua zu tun.
Wie helfen Sie Menschenrechtsverteidiger*innen aus El Salvador?
IDHUCA berät sie und ihre Familien rechtlich und psychologisch. Insgesamt haben wir seit dem Beginn des Ausnahmezustands 1.760 Fälle betreut. Derzeit gibt es in El Salvador 85.000 Gefangene. Das ist sehr viel für ein so kleines Land.
El Salvador gilt vielen Reisenden als inzwischen sicheres Reiseland, als Surf-Spot boomt das Land. Was würden Sie diesen Reisenden am liebsten mitgeben?
Stimmt, die Mordrate in El Salvador ist gesunken. Aber es gibt keine Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Der Preis, der dafür gezahlt wurde, ist sehr hoch: Tausende von unschuldigen Menschen wurden inhaftiert. Das Reiseland-Image spiegelt nicht die harte Realität im Land wider.
Das Interview führte Martina Hahn.