Frau Monshausen, ist die Corona-Pandemie die Zäsur im Tourismus der letzten Jahrzehnte schlechthin?
Ob politische Unruhen, Tsunami-Katastrophen oder Waldbrände ‒ der Tourismus ist insgesamt ein sehr krisenanfälliges Geschäft und Länder des Globalen Südens sind solchen Ereignissen in besonderem Maße ausgesetzt. In einzelnen Ländern gab es immer wieder Krisen, die den Tourismus vor Ort zumindest zeitweise zum Erliegen gebracht haben. Global betrachtet ist jedoch die Corona-Pandemie sicherlich der gravierendste Einschnitt für die Reisebranche, den sie bisher erlebt hat.
Traf die Corona-Pandemie den Tourismussektor denn vollkommen unerwartet? Wissenschaftlerinnen haben schon vor ungefähr zehn Jahren vorausgesagt, dass die Wahl unserer Reiseziele zukünftig maßgeblich von Krisen beeinflusst werden wird. Durch die Covid-19 Pandemie ist diese Prognose mit einem Schlag Realität geworden. Auch wenn Zeitpunkt und genaue Umstände natürlich nicht vorhersehbar waren ‒ weite Teile der Tourismuswirtschaft haben es definitiv versäumt, in den guten Jahren an krisenfesten und wirklich nachhaltigen Geschäftsmodellen zu arbeiten. Stattdessen setzten sie insbesondere seit der Wirtschaftskrise 2008 nur auf Wachstum.
Braucht es überhaupt noch neue Geschäftsmodelle, wenn wir doch jetzt die Impfung und damit hoffentlich bald ein Ende der Pandemie haben?
Die Impfung gegen Covid-19 hat im Jahr 2021 in Europa ein Aufatmen gebracht ‒ doch dann kamen neue Virusvarianten und damit auch die Unsicherheit zurück. Gleichzeitig ist die Verteilung des Impfstoffs immer noch extrem ungerecht. Reiche Staaten in Europa haben mehr Impfstoff als Einwohner, andere ‒ vor allem die ärmsten Länder Afrikas ‒ nicht einmal genug für ihr medizinisches Personal. Das erschwert auch das Wiederbeleben des Tourismus in Entwicklungsländern. Denn Reiseveranstalter und Touristinnen bevorzugen gerade jetzt Länder mit hohen Impfquoten und guter Gesundheitsinfrastruktur. Langfristig wird sich jedoch die Krisenanfälligkeit des Tourismus nicht wegimpfen lassen. Vielmehr braucht es weitere Maßnahmen, um den Sektor gegen unerwartete Krisen und Katastrophen zu rüsten.
Auf welche Krisen muss sich die Welt einstellen?
Das Weltwirtschaftsforum befragt jedes Jahr über 1.000 Expertinnen und Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft dazu, welche Risiken sie für wahrscheinlich halten und welche die gravierendsten Folgen hätten. Ganz vorne mit dabei sind die Folgen des Versagens beim Klimaschutz, Extremwetterereignisse und der Verlust der Artenvielfalt. Direkt danach folgt aber auch die Erosion des sozialen Zusammenhalts und geopolitische Konflikte. All diese Krisen schlagen direkt auf den Tourismus durch.
Mit welchen Maßnahmen können sich Tourismusunternehmen davor schützen?
Resilienz, also die Fähigkeit, mit Krisen umzugehen, bedeutet, sich auch wirtschaftlich nachhaltig aufzustellen. Nicht allein die Wachstumszahlen sind wichtig, sondern vor allem das, was am Ende übrig bleibt. Trotz eines starken Wettbewerbs müssen Reiseveranstalter und Hotels deshalb so kalkulieren, dass sie mehr Rücklagen bilden können. Auch die Gebühren, die mittlerweile einige Reisebüros in Deutschland für die Beratung eingeführt haben, sind ein Schritt in die richtige Richtung, damit Unternehmen nicht alles verlieren, wenn eine Reise nicht stattfinden kann.
Und die Reiseländer selbst ‒ was bedeutet Resilienz für sie?
Viele Reiseregionen und Unternehmen haben ihre Herkunftsmärkte breiter aufgestellt und sprechen nun beispielsweise mit ihren Angeboten auch Touristen aus dem Inland an. Besonders gefragt sind aber die politischen Entscheiderinnen in den Reiseländern. Der Tourismus wird zu oft als Wundermittel für wirtschaftliches Wachstum angepriesen. Die Politik hat versäumt, weitere wirtschaftliche Standbeine aufzubauen, die Verluste ausgleichen können. Jahrzehntelang lockte sie Investoren mit Steuergeschenken und niedrigen Löhnen in ihre Länder, jetzt fehlen den Regierungen die finanziellen Mittel, um touristische Anbieter bei der notwendigen Transformation zu krisenfesten Unternehmen zu unterstützen.
Welche Aufgabe hat die Entwicklungszusammenarbeit dabei, dass sich der Tourismussektor krisenfester aufstellt?
Die Entwicklungszusammenarbeit kann Partnerländer dabei unterstützen, widerstandsfähiger gegenüber Krisen zu werden. Das kann auch bedeuten, in einigen Ländern, die bereits sehr aktiv im Tourismus sind, verstärkt andere Sektoren in den Blick zu nehmen. Für Tourismusprogramme selbst bedeutet das, nur noch touristische Konzepte zu fördern, die vor Ort nachhaltig Wertschöpfung und langfristigen Wohlstand schaffen. Sie sollten resilient gegenüber externen Katastrophen und möglichst ressourcenschonend sein, um die Kosten für Umweltschäden gering zu halten. Das „alte“ Rezept, Tourismus uneingeschränkt als Motor für Entwicklung zu unterstützen, ist nicht mehr zukunftsfähig, weil die Klimakatastrophe und die soziale Ungleichheit den Tourismus auch in Zukunft vor immense Herausforderungen stellen wird.
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