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Hilfe für Traumatisierte in der Ostukraine

Die aktuelle Entwicklung an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland ruft vor allem bei älteren Menschen schlimme Erinnerungen wach an den Krieg, der 2014 begann. Mit der Unterstützung von Brot für die Welt bildet eine Organisation mit Sitz in Kiew Psychologinnen und Psychologen aus, die vor Ort helfen.

Von Redaktion am
Eine ältere Frau vor ihrem Haus im Dorf Znamenka, das im von pro-russischen Separatisten beherrschten Gebiet liegt

Eine ältere Frau vor ihrem Haus im Dorf Znamenka, das im von pro-russischen Separatisten beherrschten Gebiet liegt

„Man sollte wach sein für die Verwundbarkeit Europas, erst recht aber Deutschlands“, schrieb der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel bereits 2019 in seinem Essay „Denken ohne Geländer“. Dreißig Jahre nach der Wende mit Blick auf die Ukraine und in Anspielung auf Hannah Arendts politische Theorie. Wir waren gewarnt, nicht erst seit 2019. Der Krieg in der Ostukraine begann 2014.

In den vergangenen acht Jahren haben wir als Brot für die Welt unsere Partnerorganisationen in der Ukraine darin unterstützt, Menschen zu stärken, die besonders unter dem militärischen Konflikt leiden mussten. Gelitten aber hat das ganze Land. Die Enttäuschung nach der Nichtunterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens war groß. Die Menschen strömten in Massen auf den Maidan Nesaleschnosti, den Unabhängigkeitsplatz in Kiew, und protestierten dort und in anderen Städten wochenlang. Gleichwohl muss berücksichtigt werden, dass die Ukraine in dieser Frage gespalten ist und ein nicht unbeträchtlicher Anteil der Bevölkerung in Richtung Russland tendiert. Die Proteste in Kiew wurden schließlich brutal beendet durch Scharfschützen, die auf Protestierende wie Polizei gleichermaßen schossen und deren Identität bis heute nicht geklärt ist. Hundert Menschen kamen dabei ums Leben.

Weder Kraft noch Geld für die Flucht

Gelitten haben zudem Menschen, die nach der Annexion von der Krim flohen, weil sie sich bedroht fühlten durch die neuen Machthaber. Und besonders gelitten haben Menschen aus dem Donbas, die unmittelbar aus der Kampfzone flohen. Sie gingen zunächst davon aus, dass sie nach wenigen Wochen oder Monaten in ihre Heimat zurückkehren könnten. Manche mussten Angehörige zurücklassen, ihre ärmlichen Häuser in den Dörfern, ihre Datschen, die vor allem der Subsistenzwirtschaft dienten. Viele von ihnen blieben nahe der Frontlinie, nutzten die Checkpoints, um regelmäßig zu pendeln, wenn es ruhig war. Ältere Menschen, die in den von pro-russischen Separatisten besetzten Gebieten zurückblieben, weil sie die Kraft oder das Geld für eine Flucht nicht aufbringen konnten, mussten ebenfalls regelmäßig die Checkpoints passieren, um ihre Renten auf ukrainisch verwaltetem Gebiet abzuholen.

Die Dörfer in den umkämpften Gebieten auf beiden Seiten der Front sind entvölkert, fast nur noch alte Menschen leben dort. Die Infrastruktur ist zusammengebrochen, auch die medizinische Versorgung, was im Zuge der Corona-Pandemie zusätzlich verheerend war. Die alten Menschen berichten resigniert, ihr Leben habe im Krieg begonnen und ende nun wieder in einem Krieg. Auch die Checkpoints wurden zusammen mit den Grenzen zu Beginn der Corona-Pandemie geschlossen – dramatisch für alle, die auf den regelmäßigen Übergang angewiesen waren. Im Verlauf des Krieges kam das Leid in die Familien von Soldaten oder freiwilligen Kämpfern, die gefallen waren, verwundet oder traumatisiert von der Front zurückkehrten. Die Ukraine hat eine neue Generation von Kriegsveteranen. Wirtschaftlich leidet das ganze Land.

In Mariupol und Severodonetsk, jeweils nur etwa zehn Kilometer von der Frontlinie entfernt in der Pufferzone, betreibt unsere Partnerorganisation Mental Health Service zwei Traumatherapiezentren. Sie stärken Menschen, die durch die Ereignisse der vergangenen Jahre – durch Krieg, Folter, Flucht, Spaltung und anhaltende Krise – traumatisiert sind. Psycholog:innen und Psychotherapeut:innen wurden durch Traumatherapeut:innen aus Österreich und Deutschland fortgebildet, weil es in Osteuropa kein Wissen und keine Erfahrung in der Traumatherapie gab. Sie erlernten die EMDR-Methode, Eye Movement Desensitization and Reprocessing, eine besonders effektive Methode zur Behandlung von Traumafolgestörungen. Und sie stellten fest: Unter den Traumata, die durch die aktuellen Ereignisse hervorgerufen wurden, liegen ältere, unbearbeitete, kollektive und familiäre Traumata, die aus dem Zweiten Weltkrieg herrühren, aus Zwangsarbeit – die in der Sowjetzeit als Verrat stigmatisiert wurde –, aus stalinistischer Repression oder dem Holodomor – der großen Hungersnot in der Ukraine infolge der Zwangskollektivierung Anfang der 1930er Jahre.

Albträume, Schlaflosigkeit und Unruhe

Die aktuelle Bedrohung triggert die Ereignisse, auch wenn sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und regional Verantwortlichen darum bemühen, keine Panik aufkommen zu lassen. In den sozialen Netzwerken kocht es. Erfahrungen und Erinnerungen kommen wieder hoch, das Gefühl der Gefahr, hilflos ausgesetzt zu sein. Albträume, Schlaflosigkeit und Unruhe sind deutliche Anzeichen. Die Menschen können sich kaum vorbereiten, weil sie nicht wissen, was kommt. Und die meisten haben nicht einmal ausreichend Mittel, um sich zu bevorraten. Sie sind mit dem täglichen Überleben beschäftigt.

Die Arbeit durch Mental Health Service und andere Partnerorganisationen geht weiter. Der Schutz der Mitarbeitenden ist ein wichtiges Thema, vor allem im Osten des Landes. Mariupol war bereits 2014 stark umkämpft und stand kurze Zeit unter Verwaltung der Separatisten. Wie nah der Krieg ist, spürt man hier jeden Tag. Schon vor einigen Jahren wurde der Name der Organisation geändert, um bei einer Verschiebung der Frontlinie und einer möglichen Besetzung der beiden Standorte durch pro-russische Separatisten oder direkt durch Russland einen neutralen Namen zu haben, der nicht in Verbindung mit den Europa-Protesten steht. Zuvor nannten sie sich Ukrainian Society for Overcoming the Consequences of Traumatic Events, weil ihre Arbeit auf dem Maidan begann, als sie in einem der Zelte Notfallseelsorge für Menschen leisteten, die angesichts der Gewalt unter Schock standen.

Hilfe auch für Menschen in Belarus

Psychosoziale Arbeit ist eine wichtige Komponente zur Unterstützung der Ukraine und zur Stabilisierung der Menschen. Mental Health Service arbeitet in einem NGO-Netzwerk, zu dem auch eine weitere Brot-für-die-Welt-Partnerorganisation gehört, das Rehabilitationszentrum St. Paul in Odessa. Die Gesellschaft für InternationaleZusammenarbeit (GIZ) fördert ebenfalls den Ausbau psychosozialer Dienstleistungen in den Regionen Donezk und Luhansk in Zusammenarbeit mit regionalen Verwaltungen, Nichtregierungsorganisationen und Universitäten, um psychosoziale Angebote in lokale Strukturen zu integrieren. Mental Health Service hat sich vorgenommen, Erfahrungen und Wissen an Psycholog:innen und Therapeut:innen in Belarus weiterzugeben, die nach den Massenprotesten, Festnahmen und der massiven Gewalt nach den Wahlfälschungen 2020 mit Folteropfern und NGOs, die Fälle von Folter dokumentieren, arbeiten. Brot für die Welt hält engen Kontakt mit den Partnern, versichert ihnen unsere Solidarität und unterstützt verlässlich die Arbeit.

Sabine Erdmann-Kutnevic

Unsere Schwesterorganisation Diakonie Katastrophenhilfe sammelt Spenden, um den Menschen in der Ukraine in der größten Not zu helfen. Hier können Sie spenden.

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Lachender Junge

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