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Christliche Bildung mit starken Frauenbildern

In Zeiten von Corona nimmt häusliche Gewalt in allen Ländern der Welt dramatisch zu. Umso wichtiger sind Organisationen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit engagieren. Eine dieser Organisationen ist ISAIAS.

Im Interview berichtet ISAIAS-Koordinatorin Etel Caceres über ihre eigenen Erfahrungen und die Arbeit mit Frauen in Peru.

 

Von Gastautoren am
Etel Caceres, Koordinatorin bei ISAIAS

Das Südandine Institut für solidarische Forschung und Aktion in Peru (ISAIAS) fördert theologisches und bürgerrechtliches Empowerment von Frauen für eine starke Rolle in Kirche und Gesellschaft. ISAIAS ist eine Partnerorganisation von Kirchen helfen Kirchen, dem Programm für zwischenkirchliche Solidarität bei Brot für die Welt.

Wie sind Sie dazu gekommen, mit ISAIAS und mit Frauen zu arbeiten? Dazu eine sehr persönliche Frage: Was sind die wichtigsten Momente, die Ihr Leben als Frau geprägt haben?

Das ist eine persönliche Frage, aber ich beantworte sie gerne. Irgendwann in meinem Leben erlitt ich emotionale und psychische Gewalt. In meinem Genesungsprozess versuchte ich, die Ursachen zu verstehen. Hierbei halfen mir viele Schriften – unter ihnen feministische. Sie halfen mir, viele Vorstellungen zu dekonstruieren, die sich seit meiner Kindheit eingeprägt hatten. So zum Beispiel "was werden die Leute sagen, wenn ich mich trenne oder scheiden lasse?". Ich fasste Mut, mein Leben mit anderen Zielen fortzusetzen. Ich erkannte außerdem, dass viele Frauen ähnliche Probleme hatten. Das war der Moment, an dem ich beschloss, einen großen Teil meiner Zeit der Arbeit mit Frauen zu widmen, um gemeinsam zu genesen und einen Weg der Befreiung von denjenigen Vorstellungen zu gehen, die uns auf theologischer und gesellschaftspolitischer Ebene auferlegt wurden und uns unterdrückt hatten.

Zu dieser Zeit hatte ich bereits zwei Jahre bei ISAIAS gearbeitet. ISAIAS, als das Südandine Institut für solidarische Forschung und Aktion in Peru, arbeitete damals sowohl mit Frauen als auch mit Männern in gemeindebasierter Arbeit. Durch die steigende Zahl an Frauen, die von Gewalt und Unterdrückung betroffen waren, wurde meine persönliche Reflexion bald auch auf die institutionelle Ebene übertragen. Für ISAIAS wurde es zu einer Notwendigkeit, Frauen mit theologischen Themen vertraut zu machen und Theologie für Frauen zu etablieren - sowohl in Kirche, Gemeinde als auch in der Gesellschaft.

Würden Sie die Arbeit von ISAIAS, der Schule "vom Schweigen zum Wort und vom Wort zum Tun" als feministische Theologie bezeichnen? Würden Sie sich heute als feministische Theologin bezeichnen?

In dem Prozess, die Ursachen der Frauenunterdrückung zu verstehen, wurde mir klar, dass ein großer Teil der patriarchalischen Strukturen, die heute noch existieren, von zwei Richtungen kommen: 1) von der Religion - den Kirchen und 2) von der Kultur und der sozio-politischen Sphäre.

Um der ersten Richtung entgegenzuwirken, schien es notwendig, biblische Referenzen für Frauen zu sammeln und immer mehr Frauen damit vertraut zu machen, um so einen Prozess der persönlichen Befreiung einzuleiten. Es war klar: Viele Frauen werden durch die Bibel „gebildet“. Also muss diese Bildung starke Frauenbilder kennen und transportieren können. Mir wurde bewusst, dass die Theologie fast zweitausend Jahre lang vermännlicht wurde. Die Frauen, mit denen ich arbeitete, kannten vorerst nur Maria, als einzige Frauenfigur aus der Bibel. Aus diesem Grund haben wir einen Raum eingerichtet, der „Stille, die spricht“ heißt und Frauenbilder in der Bibel sucht. Es ist schön, emanzipierende und motivierende Geschichten von starken und mutigen Frauen zu finden. Lange wurden solche Frauengestalten in den Kirchen zum Schweigen gebracht. Jetzt sind sie in unseren Erzählungen präsent als Stimmen, die helfen, Sexismus abzubauen und vom männerdominierten Bild abzurücken.

Zum zweiten Aspekt untersuchen wir die geschlechtsspezifischen Unterschiede als Folge ungleicher Beziehungen zwischen Männern und Frauen - die geltenden Regelungen auf nationaler und internationaler Ebene. Wir zeigen auf, dass der Staat seine Rolle Gleichstellung zu fördern, nicht erfüllt. Wir haben in diesem Prozess Theologie und Politik strategisch miteinander verbunden. 

Ich denke, dass ISAIAS theologische Reflexionen von und für Frauen anbietet und ich persönlich definiere mich als christliche Feministin.

Welche Rolle/Einfluss hat die Religion auf die Beteiligung von Frauen in der Gesellschaft, in der Nachbarschaft, in der Kirche und in ihren Familien?

Nun, in Bezug auf die Frage muss ich sagen, dass es Unterschiede in den religiösen Traditionen gibt: Einige Religionen und Denominationen in Peru fördern die Beteiligung von Frauen in der Gesellschaft, in der Nachbarschaft und in den Kirchen als ein Recht. Andere wiederum lehren Mädchen und Frauen eher, sich in aufopferungsvollen und aktiven Rollen innerhalb der Familien/der Erziehung zu sehen.

Diejenigen Kirchen, die eine aktive Rolle der Frauen in der Gesellschaft fördern, können dazu beitragen, Frauen zu stärken, so dass sie Frauen-spezifische Themen aktiv angehen. Eines dieser Themen ist die Diskriminierung und die Gewalt gegen Frauen – welche mit dem Evangelium unvereinbar sind. Kirche könnte und müsste uns letztlich dabei helfen, ein befreiendes Projekt, ja eine befreiende Spiritualität zu entdecken: ein Reich der Gerechtigkeit. 

Was muss sich ändern, damit Mädchen und Frauen in Peru eine partizipativere Rolle einnehmen und unter gerechteren bzw. gleichberechtigteren Bedingungen leben können?

Meiner Meinung nach müssen drei Punkte geändert werden. Der erste ist ein Mentalitätswandel, der die traditionellen Muster der ungleichen Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen durchbricht. Sowohl Männer als auch Frauen müssen ungleiche Beziehungen als unnormal verstehen.

Der zweite Punkt, der sich ändern muss, ist die Unterrepräsentation von Frauen in Entscheidungsbereichen. Die politische Beteiligung von Frauen muss gestärkt werden. Genau hier setzt das Projekt an, das ISAIAS gemeinsam mit Kirchen helfen Kirchen und Mission21 umsetzt: Frauen sollen darin bestärkt werden, hegemoniale Denkmuster abzulegen und auf aktive gesellschaftliche Rollen hinzuarbeiten. Gleichzeitig bilden wir die Frauen weiter, um sich strategisch vernetzen zu können und die für sie relevanten Themen in Entscheidungsgremien einbringen zu können. Dies geschieht oft in einer ersten Instanz in Kirchen, in deren Jugend- oder Frauengruppen und zwar mit Bibelstunden zu feministischer Theologie.

Drittens muss darauf hingewirkt werden, dass religiöse Fundamentalismen weniger Gewicht haben und die Rechtfertigung von Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen nicht mehr geduldet wird.

Welche Rolle sollten die Kirchen in dieser Beziehung einnehmen bzw. übernehmen? Und wie sieht die Politik aus?

Die Kirchen können zum Aufbau von Führungskapazitäten und zur theologischen Ausbildung von Frauen aus einer Gender-Perspektive beitragen.

Die Politik hat die Aufgabe, Maßnahmen zu institutionalisieren, um einerseits Gewalt gegen Frauen zu reduzieren und andererseits die Ausübung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rechte von Frauen zu gewährleisten.

In Bezug auf Männer: Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, was würden Sie sich von den Ehemännern der Frauen wünschen, mit denen Sie bei ISAIAS arbeiten?

Geschlechterstereotypen können dekonstruiert werden. In diesem Zusammenhang würde ich sagen 1. dass sie ihre Frauen nicht nur für die Erziehung ihrer Söhne und Töchter schätzen sollten, sondern dafür, dass sie Menschen sind. 2. dass sie ihre Art, Mann zu sein, überprüfen und die im Laufe ihres Lebens erworbenen Geschlechterrollen ablegen, ja verlernen sollten und ihre Rolle als Versorger ablegen. 3.- dass sie Haushaltstätigkeiten als gemeinsame Verantwortung und nicht als Hilfe übernehmen.

Was haben Sie aus der Pandemie Covid-19 gelernt?

Wir leben in einer Zeit von viel Unsicherheit und Ungewissheit. Vielleicht aber bietet uns diese kritische Situation, in der wir uns immer noch befinden, auch einige Chancen zum Lernen, die es wert sind, berücksichtigt zu werden. So lernen wir im Moment wertzuschätzen, dass wir leben und uns guter Gesundheit erfreuen sowie die kleinen Dinge, die wir von zu Hause aus erreichen konnten. Wir lernen unsere Lebensart zu überdenken, wie wir gemeinsam wohnen und die Art und Weise, wie wir produzieren, konsumieren und mit der Natur umgehen. Es entsteht ein Verständnis für die Notwendigkeit, Solidarität und Netzwerken als Ausdruck schwesterlicher Beziehungen zu institutionalisieren.

Und letztendlich ist es auch eine Gelegenheit, sich Zeit für UNS zu nehmen und einen Rückblick auf UNSER Leben zu machen.

Gibt es etwas, das Sie den Gemeindeleitenden/PastorInnen in Peru und weltweit schon immer einmal sagen wollten?

Frauen sind im Leben der Kirchen sehr stark vertreten, aber fehlen in so vielen Kirchen auf den Entscheidungsebenen. Die Herausforderung ist es also, Gleichberechtigung im Zusammenleben und der Partizipation zu schaffen. Nach zwei Jahrtausenden Entwicklung des Christentums darf dieses nicht weiterhin durch eine Männer-geprägte Sichtweise und durch eine patriarchalische Kultur bedingt sein. Geschlechtergerechtigkeit ist letztendlich ein wichtiger Bestandteil des Reiches Gottes.

Aus der Arbeit bei ISAIAS mit Frauengruppen und Kirchen, was sind die Lehren für Sie persönlich und für die Gruppen, mit denen Sie arbeiten?

Auf persönlicher und gemeinschaftlicher Ebene haben wir gelernt, dass die Bibel mit einem geschlechtsspezifischen Blick zu lesen, heißt, einen Gott mit einem weiblichen Gesicht zu entdecken. Es kann keine Demokratie und Entwicklung geben, wenn Frauen – also die Hälfte der Weltbevölkerung – ausgeschlossen sind. Ich habe gelernt, dass die neue Gesellschaft, für die viele von uns arbeiten, nicht ohne Geschlechtergerechtigkeit existieren kann.

Was sind Ihre Wünsche für 2021?

Mögen wir gemeinsam die neue Normalität aufbauen, die auf dem Respekt vor der Natur und der Würde des Menschen beruht.

Ich möchte dieses Interview nicht beenden, ohne Brot für die Welt und dem Kirchen helfen Kirchen-Programm für die Unterstützung zu danken, die es ISAIAS ermöglicht für Geschlechtergerechtigkeit in der Provinz Canchis, Region Cusco-Peru zu arbeiten.

Das Gespräch führte Carolin Sonnabend, Kirchen helfen Kirchen. Übersetzt wurde es durch Glenda Canizales, Ansprechpartnerin ist Charlotte Spiewok. 

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Lachender Junge

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