Am 14.10.2019 haben in Genf die Verhandlungen über den Entwurf eines UN-Abkommens für Wirtschaft und Menschenrechte begonnen. Nach dem Entwurf müssten Staaten Unternehmen gesetzlich zur Achtung von Menschenrechten im In- und Ausland verpflichten sowie Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen den Zugang zu Rechtsschutz zu gewähren: eine historische Chance, den Schutz von Menschenrechten in der globalisierten Wirtschaft völkerrechtlich festzuschreiben.
An den Verhandlungen nehmen Vertreter*innen von etwa 60 Staaten teil. Mit von der Partie sind außerdem namhafte Völkerrechtsexpert*innen und rund 200 Vertreter*innen von Menschenrechts-, Entwicklungs-, Indigenen-, Umweltorganisationen, Gewerkschaften und Unternehmensverbände mit Beraterstatus bei den Vereinten Nationen, die sich während der Verhandlungen zu Wort melden können und ihre Vorschläge zum aktuellen Abkommensentwurf einbringen können.
Bereits 2014 hatte der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen einer zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe das Mandat erteilt, ein solches „völkerrechtlich verbindliches Instrument“ zur menschenrechtlichen Regulierung wirtschaftlicher Aktivitäten zu erarbeiten. Auf Grundlage vierjähriger Konsultationen legte der ekuadorianische Vorsitzende der Arbeitsgruppe im Juni 2019 einen Entwurf des Abkommens vor, der in dieser Woche Gegenstand der Verhandlungen ist. In einer Stellungnahme hat die deutsche Treaty Alliance den Entwurf des Abkommens positiv bewertet und macht zugleich Verbesserungsvorschläge.
Anwendungsbereich, Rechte von Betroffenen und Prävention
Inhaltlich ging es in den ersten Verhandlungstagen um die wichtigen Themen des Anwendungsbereich des zukünftigen Abkommens, die Frage welche Rechte Betroffene von wirtschaftsbezogenen Menschenrechtsverletzungen haben und welche Maßnahmen Unternehmen ergreifen müssen, um Schäden zu verhindern.
Anders als der „Zero Draft“ ist der aktuell diskutierte „Revised Draft“ des UN-Abkommens für Wirtschaft und Menschenrechte (der Treaty) nicht mehr auf transnationale Unternehmen oder Wirtschaftsaktivitäten beschränkt. Die Beschränkung auf transnationale Unternehmen war ein wesentlicher Kritikpunkt der EU und der Bundesregierung, die darin eine Benachteiligung von transnationalen gegenüber rein national tätigen Unternehmen sahen. Auch von zivilgesellschaftlichen Organisationen war in den letzten Jahren eine Erweiterung des Anwendungsbereichs auf alle Unternehmen gefordert worden, da auch nationale Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sein können und ein weiter Anwendungsbereich im Sinne eines effektiven Menschenrechtsschutzes vorzugswürdig ist. Andere Stimmen, insbesondere von Organisationen aus dem globalen Süden, zeigen dagegen die besonderen negativen Auswirkungen von transnationalen Wirtschaftsaktivitäten auf und fordern, dass diese im Fokus des Treaty stehen müssen.
Prof. David Bilchitz von der Universität Johannesburg, der als Experte für die Diskussion zum Anwendungsbereich geladen war, warf die Frage auf, ob der Treaty überhaupt einen eigenen Artikel zur genauen Bestimmung des Anwendungsbereichs benötige. Dies sei unüblich in internationalen Abkommen. Zumindest solle man sich nicht in den Diskussionen über den Anwendungsbereich verlieren, sondern sich lieber inhaltliche Fragen wie die unternehmerischen Pflichten zum Schutz von Menschenrechten und die Haftung für Menschenrechtsverletzungen konzentrieren und den Anwendungsbereich in diesem Rahmen klären.
Als weitere Expertin für die Diskussion am Vormittag war Ana María Suárez Franco von FIAN International geladen. Sie stellte die Bedeutung der in dem Abkommensentwurf vorgesehen Maßnahmen zur Sicherung der Rechte von Betroffenen heraus. Aufgrund des strukturellen Ungleichgewichts, sei es notwendig, dass Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen unter Beteiligung von Unternehmen gewisse Hilfestellungen gewährt werden, wenn sie dagegen gerichtlich vorgehen wollen. Z.B. fehlt den Betroffenen in der Regel der Zugang zu unternehmensinternen Dokumenten, die sie benötigen, um eine Beteiligung des Unternehmens an der Verletzung ihrer Rechte zu beweisen. Es sei daher entscheidend, dass im Abkommensentwurf die Möglichkeit vorgesehen sei, die Offenlegung solcher Dokumente zu erzwingen.
Im Anschluss an die Präsentation der Expert*innen meldeten sich zahlreiche Staaten zu Wort und beglückwünschten den Vorsitzenden für den guten Entwurf, machten Vorschläge zur Verbesserung oder kritisierten einzelne Punkte als zu weitgehend.
Unter den Staaten, die sich an der Diskussion beteiligten, waren auch Spanien und Frankreich. Spanien begrüßte ausdrücklich, dass die EU-Kritik zur Beschränkung des Anwendungsbereichs auf transnationale Unternehmen im aktuellen Entwurf aufgegriffen wurde. Die Erweiterung auf alle Unternehmen sei notwendig, um Menschenrechtsverletzungen im Wirtschaftsverkehr effektiv zu bekämpfen. Zudem sei der Übergang zwischen nationalen und transnationalen Unternehmen in der globalisierten Wirtschaft oft schwimmend, eine willkürliche Trennung sei daher abzulehnen.
Nationale Fortschritte fördern Beteiligung am Treaty-Prozess
In den Diskussion zeigte sich, dass Staaten, die auf nationaler Ebene ihre Verantwortung wahrnehmen, Unternehmen zur Beachtung menschenrechtlicher Sorgfalt zu verpflichten, auch auf internationaler Ebene voranschreiten. Die Vertreterin der französischen Gelegenheit nutze die Debatte über die Maßnahmen, die von Staaten ergriffen werden müssen, um sicherzustellen, dass Unternehmen durch ihre Geschäfte keine Menschenrechte verletzen, zur Vorstellung der loi de vigilance. Das von Frankreich 2017 verabschiedete Gesetz verpflichtet große französische Konzerne zu menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfalt. In einem Sorgfaltsplan müssen die Unternehmen darüber berichten, welche Maßnahmen sie ergreifen, um Risiken zu verhindern.
Um zu erreichen, dass auch Deutschland Champion für internationale Standards zum Schutz von Menschenrechten im Wirtschaftsverkehr wird, setzt sich Brot für die Welt im Rahmen derInitiativeLieferkettengesetz mit mehr als 70 Organisationen zunächst für ein Gesetz auf nationaler Ebene ein, dass mit großer Wahrscheinlichkeit die Bereitschaft der Bundesregierung beflügeln wird, die Standards auf internationaler Ebene verbindlich zu verankern und damit Wettbewerbsgleichheit für deutsche Unternehmen herzustellen.