Brasilien erlebt erstmals nationale Demonstration indigener Frauen
Der Amazonas-Regenwald brennt. Das steht in allen Zeitungen und läuft in allen Medien, weltweit. Doch eine Überraschung sind die unzähligen Brandherde nicht. Im Gegenteil. Sie sind Teil der von Präsident Jair Bolsonaro seit langem angekündigten desaströsen Politik. Dahinter steht seine unverhohlene Haltung, den Regenwald als Rohstoffwarenhaus zu betrachten, welches es profitmaximierend zu nutzen gilt. Mit dem Ende Juni verabschiedeten Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur werden dafür neue Weichen gestellt. Auch wenn diese Brände nicht neu sind, ist die Unverfrorenheit mit der sämtliche nationalen und internationalen (z.B. PPG7) Schutzbemühungen der letzten 30 Jahre mit Füßen getreten werden, infam. Die Brände zerstören auch die Lebensgrundlage indigener Frauen, die sich dagegen unter dem Motto „Unsere Territorien sind unser Körper und unser Geist“ erstmals zu Tausenden gemeinsam zur Wehr setzen.
Der seit Jahresbeginn in Brasilien amtierende rechtsextreme und klimawandelleugnende Regierungschef hat schon im Wahlkampf unmissverständlich deutlich gemacht, dass er indigene Territorien für überflüssig hält. Die dortigen Bodenschätze sollen für Unternehmen frei zugänglich sein. Seitdem hat sein Kabinett die dafür nötigen Maßnahmen getroffen, um auch den letzten Schutzmaßnahmen für indigene Territorien und Waldgebiete die Gelder zu entziehen. Bolsonaro hetzt bis die Jeeps der Umweltbehörde IBAMA in Flammen aufgehen. Er hetzt gegen Indigene bis Holzfäller ihre Territorien in Beschlag nehmen. Und schwer bewaffnete Goldsucher die schmutzige Arbeit der Vertreibung gegen Widerstand leistende Waiãpii übernehmen. Er hetzt bis agrarindustrielle Landbesitzer ganz offen auf Whatsapp den 10.August zum Tag des Feuer(legens) ausrufen. Er hetzt gegen Umweltschützer*innen ebenso wie gegen afro-religiöse Pastor*innen und Feministinnen. Die Hände braucht sich die Regierung Bolsonaro dabei nicht selbst schmutzig zu machen. Es reicht, die Kräfte zu entfesseln, damit die Betroffenen angefeindet werden. Das zeigen steigende Zahlen der Hasskriminalität.
„Die nationale Kraft sind wir! Wir sind die Kraft, die Brasilien wirklich braucht!“ ruft Sonja Guajajára
Zum ersten Mal in der brasilianischen Geschichte protestieren bis zu 3.000 Vertreterinnen von über 150 indigenen Völkern in der Hauptstadt Brasilia. Ein solcher Aufmarsch ist beispiellos in der brasilianischen Geschichte. Sie fordern den Schutz des Landes, auf dem sie leben, und von dem sie leben. In einer mehrtägigen Protestveranstaltung haben sie ihren Unmut kundgetan über verweigerte Landrechte, die Privatisierung von Gesundheitsversorgung und mangelnde politische Repräsentation. Sie beklagen die Gewalt der Vertreibung und Vergiftung, die ihren Territorien und ihren Körpern gleichermaßen angetan werden. Sie sind aus allen Teilen des Landes angereist und haben dafür ihre Ernte und ihre Familien zurückgelassen, um ihre Stärke zu demonstrieren: „Die nationale Kraft sind wir! Wir sind die Kraft, die Brasilien wirklich braucht!“ ruft Sonja Guajajára, in Anspielung auf die wegen der Proteste in Alarmbereitschaft gerufene Nationalgarde (Força Nacional). Die Koordinatorin des indigenen Dachverbandes APIB (Articulação dos Povos Indígenas do Brasil) gehört zurzeit zu den wichtigsten oppositionellen Stimmen des Landes. Zusammen mit Guilherme Boulos kandidierte sie als Vizekandidatin der PSOL bei den letzten Präsidentschaftswahlen.
Anders als in anderen lateinamerikanischen Ländern haben Indigene kaum politische Repräsentanz in den Institutionen des Landes. In Brasilien liegt der Anteil Indigener an der Gesamtbevölkerung - mit knapp einer Million Indigenen - bei unter 0,5 %. Für die Proteste zu Brasiliens Feierlichkeiten anlässlich von 500 Jahren Kolonialisierung gab es 2000 erstmals überhaupt eine gemeinsame indigene Stimme des Widerstandes: Trotz der so unterschiedlichen Erfahrungen, die Indigene an der Küste, im Amazonas und im Süden des Landes mit Landraub, Ausbeutung und Verfolgung von damals bis heute machen.
Agrarindustrielobby macht Waldschutz und Landrechte mit einem Streichholzstreich zu Nichte
Sonja Guajajara und ihre Mitstreiterinnen der Kaingang, Xokleng, Tupinambá, Kariri, Xakriabá und andere sind Zeuginnen von Jahrzehnten des zähen Ringens um (1) die Anerkennung indigener Rechte in der Verfassung, (2) die schleppende Einrichtung von Schutzgebieten und deren Unterfinanzierung und mangelnde Überwachung, (3) der Bedrohung und Ermordung ihrer Führungspersonen sowie (4) der Kriminalisierung von Indigenen in jahrzehntelangen Prozessen um offensichtliche Landrechtsansprüche. Sie kämpfen mit Großprojekten wie dem Staudamm Belo Monte, dessen Bau nicht nur rechtswidrig, sondern wissenschaftlich bewiesen auch größenwahnsinnig ist. Bolsonaros zerstörerische Politik auf Kosten Amazoniens, etwa durch die Zulassung von 239 neuen Pestiziden und die Jagd auf Bodenschätze in geschützten Gebieten, ist nur die Spitze des Eisbergs.
Einmaliges Empowerment - neue Allianzen!
Die gute Nachricht angesichts dieser Welle von Diffamierung und Ignoranz ist das Empowerment indigener Frauen und die Bildung ganz neuer Allianzen für Selbstbestimmung und politische Teilhabe. Nicht nur für indigene Frauen sind Körper und Territorien untrennbar miteinander verbunden. Das haben auch die verschiedenen Strömungen der Frauenbewegung längst erkannt und es geschafft, Differenzen anzuerkennen und zu überwinden, um Raum für gemeinsame Mobilisierung unterschiedlicher Frauen und Sichtweisen zu schaffen. Es ist der brasilianischen Frauenkoordination (Articulacação das Mulheres do Brasil) zu verdanken, dass es gelang den Aufbruch der indigenen Frauen langfristig zu unterstützen und die indigenen Demonstrationen mit dem traditionellen Protestmarsch der Landarbeiterinnen (Margaridas) zu verbinden. Dazu gelang sogar noch der Brückenschlag zu dem Protest der Schüler*innen und Studierenden gegen Bolsonaros autoritäre Bildungspolitik.