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EU-Finanzplanung gefährdet zivile Krisenprävention

Die EU-Kommission hat ihre Vorschläge zur Haushaltsplanung im "Mehrjährigen Finanzrahmen 2021-27" konkretisiert und Verordnungen zu den Bereichen Migration, Verteidigung, Entwicklung und Auswärtiges vorgelegt. In der zivilen Krisenprävention und Friedenskonsolidierung werden Aufgaben gestrichen.

Von Dr. Martina Fischer am

Die Europäische Kommission hat heute genauer dargelegt, wie sie sich das neue "Instrument für Nachbarschaft, Entwicklung und internationale Zusammenarbeit" (NDICI) vorstellt, das eine Reihe von bisher eigenständigen Finanzierungslinien schlucken soll. Die Kommission will damit ihre Budgets für sicherheits-,  entwicklungs- und friedenspolitische Aufgaben nach eigener Aussage bündeln und "flexibler" gestalten. Brot für die Welt sieht diesen Trend mit großer Besorgnis und hat in einem Presse-Statement und Hintergrundpapier am 12. Juni die Gründe dafür erläutert (siehe pdf-Dateien in deutscher und englischer Version im Anhang). Die Sorge bezieht sich vor allem auf die Gefahr der zunehmenden Umfunktionierung von Entwicklungsgeldern für außen- und sicherheitspolitische Ziele. Außerdem besteht die Gefahr, dass mit dem Wegfall von eigenständigen Budgets wie zum Beispiel des "Instruments für Stabilität und Frieden" (IcSP), bzw. des "Instruments für Demokratie und Menschenrechte" (EIDHR) der Zugang für zivilgesellschaftliche Akteure zu EU-Förderprogrammen erschwert wird.  Mit dem IcSP wurden in den vergangenen Jahren 273 Projekte in mehr als 70 Ländern gefördert, viele in Kooperation mit NGOs. Mit dem EIDHR konnten wiederum zahlreiche Menschenrechtsaktivisten in schwierigen Situationen flexibel unterstützt werden. Ähnlich kritisch wie Brot für die Welt haben sich das entwicklungspolitische europäische Netzwerk CONCORD, das Human Rights and Democracy Network (HRDN), sowie das European Peace Liaison Office (EPLO) positioniert. Sie alle fordern, die Eigenständigkeit der Entwicklungszusammenarbeit, sowie des IcSP und des EIDHR zu erhalten.

Ausgaben für zivile Krisenprävention und Friedenskonsolidierung werden halbiert

Die Befürchtungen waren offenbar berechtigt. Aus den neuen Unterlagen wird deutlich, dass die Kommission zwar insgesamt für die Finanzierung der Auswärtigen Politik einen Aufwuchs vorgesehen hat. Gleichzeitig werden aber wichtige Initiativen für Konfliktprävention und Friedenskonsolidierung, die bisher im Instrument für Stabilität und Frieden enthalten waren, finanziell deutlich heruntergefahren. Während in den Jahren 2014 bis 2020 2,3 Milliarden Euro für das "Instrument für Stabilität und Frieden" bereitgestellt wurden, wird in den Jahren 2021 bis 2027 nur noch knapp eine Milliarde Euro für einen reduzierten Aufgabenkatalog kalkuliert. So entfallen in dem Verordnungsentwurf eine Reihe wichtiger Aufgaben zur Friedenskonsolidierung, z.B. Maßnahmen zur Aufarbeitung von Vergangenheit, Reintegration von ehemaligen Kämpfern, zur Resozialisierung von Kindersoldaten, Beseitigung von Landminen, ziviler Kontrolle des Sicherheitssektors, Unterstützung der Rolle von Frauen, Unterstützung von Zivilgesellschaft in der Friedensförderung, oder auch zur Unterstützung der Friedensforschung (siehe nächsten Abschnitt).

Struktur des "Instrument for Neighbourhood, Development and international Cooperation" (NDICI)

Im neuen Auswärtigen Instrument NDICI sollen 12 bisherige auswärtige Instrumente zusammengefasst werden, darunter auch ein budgetierter (also fortan der Kontrolle des Parlaments unterliegender) European Development Fund. Es soll drei Sorten von Programmen und Aktivitäten geben: 

(1) Geographische (Länder oder Mehr-Länder-) Programme; die Regionen sind im Anhang II der Verordnung aufgelistet);

(2)  Thematische Programme (z.B. Menschenrechte) (siehe Anhang 2), und

(3) sogenannte "Rapid response actions" mit einer Dauer von 18 - maximal 30 Monaten, darunter (a) Maßnahmen für die Bewältigung von politischen Krisen und Naturkatastrophen (ehemals Artikel 3 IcSP), (b) Maßnahmen für die Stärkung von Resilienz und entwicklungsorientioerte Nothilfe, sowie (c)   "activities addressing foreign policy needs and priorities ("global concern including migration"); (siehe dazu Anhang 4 der Verordnung zum NDICI).

Die Politikbereiche, die zuvor im "Instrument für Stabilität und Frieden" geregelt waren, werden im NDICI in verschiedenen Säulen aufgesplittet: In der geographischen Säule finden sich frühere IcSP -Aktivitäten wie Krisenprävention, Frühwarnung, Friedensförderung, Mediation, Krisenmanagement, Sabilisierung, Sicherheitssektorreform, regionale und internationale Friedensaktivitäten, sowie Maßnahmen gegen gewaltbereiten Extremismus, organisiertes Verbrechen, Korruption; die Themen maritime Sicherheit, Cybersicherheit, und nachhaltiges Ressourcenmanagement bis hin zur friedlichen  Zusammenarbeit bei der Nutzung von Kernenergie. Im thematischen Programm wurden zusätzlich noch folgende Punkte  (Artikel 4 and 5) aus dem IcSP aufgenommen: "post-conflict and disaster recovery, reconciliation, threats against law and order, public health and environmental stability including climate change effects". Dafür entfallen andere wichtige Themen.

Was fehlt (...)

Auffällig ist, welche Aufgaben in der neuen Struktur nicht mehr aufgeführt werden:  (1) Errichtung von Interim-Verwaltungen, (2) Entwicklung demokratischer und pluralistischer staatlicher Institutionen einschließlich der Aktivitäten zur Unterstützung der Rolle von Frauen, (3) zivile Kontrolle über Sicherheitsapparate, (4) Unterstützung internationaler Tribunale und Wahrheits- und Versöhnungskommissionen; (5) Demobilisierung und Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer/innen in die Gesellschaft, (6) Unterstützung für ehemalige Kindersoldaten und weibliche Kombattantinnen, (7) Soziale Abfederung bei der Restrukturierung von Sicherheitsapparaten, (8) Maßnahmen zur Bewältigung der sozio-ökonomischen Auswirkungen von Landminen, (9) Vorgehen gegen unerlaubten Waffenbesitz, (10) Maßnahmen zur Unterstützung von Frauen und Kindern in Krisen und Konflikten, (11) Maßnahmen gegen gender-basierte Gewalt, (12) Rehabilitierung der Opfer von bewaffneter Gewalt, (13) Unterstützung der Entwicklung von Zivilgesellschaft und deren Partizipation im politischen Prozess, (14) Stärkung von zivilen Elementen in Stabilisierungsmissionen, (15) Initiativen gegen den Raubbau an natürlichen Ressourcen für die Finanzierung von Gewaltkonflikten, (16) strukturierter Dialog als Mittel der Friedensförderung, (17) "good governance" und Beachtung des Völkerrechts, (18) Fokus auf Gesetzgebung und Justizmaßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus, (19) Zivile Forschung als Alternative zur Sicherheitsforschung, (20) Förderung von Rüstungskonversion, (21) effektive Kontrolle von Waffenexporten und der Ausfuhr von "dual-use" Gütern in Drittstaaten, sowie (22) effektive zivile Katastrophenschutzprogramme.

Fokus auf Migration und Militärhilfe

Dem Stichwort "Migration" wird in dem neuen Instrument ein sehr hoher Stellenwert beigemessen. In Artikel 8 des NDICI wird angegeben, dass man einen besser koordinierten und "holistischen" Ansatz zum Umgang mit Migration anstrebe. Im Artikel 15 wird der "Migrationsdruck" erwähnt, unter dem die Union und ihre Nachbarn stünden. Artikel 17 kündigt an, dass 10% der Mittel für "Nachbarschaftspolitik" an bestimmte Kriterien geknüpft werden, darunter "cooperation on migration". Außerdem sollen 10% des Gesamtbudgets des NDICI auf "Migration" gerichtet werden. Neben der Migration wird Sicherheit ein zentraler Stellenwert beigemessen, die weitgehend militärisch verstanden wird.

Die Unterstützung von Armeen in Drittstaaten soll ebenfalls über das NDICI fianziert werden. Das sogenannte  "Capacity building for security and development" (CBSD) (Ausbildung und Ausrüstung, hierzulande als "Ertüchtigung" von Partnerarmeen beschrieben), nimmt prominenten Raum ein, dem Thema ist sogar ein eigener Abschnitt im NDICI gewidmet. CBSD wird auch in den thematischen und geographischen Programmen stark  betont. Dabei handelt es sich um die seit 2017 im IcSP erlaubten Formen der Militär- und Polizeihilfe, bei denen der Transfer von Waffen und Munition im Rahmen dieser Budgetlinie durch Artikel 41(2) des EU-Vertrags untersagt bleibt; Maßnahmen, die den Transfer von Waffen und Munition einschließen, werden off-budget über andere Mechanismen von den Mitgliedstaaten finanziert, und zukünftig in der sogenannten "European Peace Facility" zusammengefasst. Friedensaktivist/innen kritisieren diese Budgetbezeichnung mit Recht als - unzulässigen - Etikettenschwindel. Die Haushaltsplanungen für die "Europan Peace Facility wurden am 13. Juni veröffentlicht. Wie Euractiv berichtet, wird ein Großteil des 10,5 Milliarden schweren Budgets für Ausrüstung - inklusive Waffen und Munition - für Partnerländer in Krisenregionen wie der Sahelregion veranschlagt. Gleichzeitig ist geplant, die europäische Rüstungsindustrie massiv zu subventionieren, und zwar über den "European Defense Fund", der mit 13 Milliarden zu Buche schlägt. Mit diesem Fonds werden neue Absatzmärkte für die europäische Industrie (z.B. in Afrika) erschlossen. 

Europäische Entwicklungspolitik verliert Eigenständigkeit

In dem neuen Instrument NDICI, das einen "starken Fokus auf Migration" erhalten wird, sollen auch das "European Development Fund" und das "Development Cooperation Instrument" aufgehen. Damit wird die Europäische Entwicklungspolitik nicht nur ihre Eigenständigkeit verlieren, sondern auch kurzfristigen  außen- und sicherheitspolitischen Eigeninteressen der Mitgliedstaaten (z.B. Migrationsabwehr) untergeordnet. Es ist absehbar, dass das Ziel der Armutsbekämpfung und die Schaffung von Lebensperspektiven in besonders bedürftigen Regionen aus dem Blick gerät, weil zunehmend Länder bedient werden, die für die Kanalisierung von Migration relevant erscheinen. Abgesehen von den genannten Einschnitten im Bereich der zivilen Krisenprävention und der Unterordnung der Entwicklungsfinanzierung unter außenpolitische Schwerpunkte droht das, was die Kommission als Projekt zur "Flexibilisierung" verkauft, zudem Intransparenz und Kontrollverlust Tür und Tor zu öffnen.

"Flexibilisierung" = Weichenstellung für Intransparanz und Kontrollverlust

Gegen die starke Fixierung auf Migration (bzw. Migrationseindämmung) und auch gegen den Trend zur "Versicherheitlichung" der EU-Außenpolitik haben die meisten Mitgliedstaaten der EU zwar bislang wenig einzuwenden. Gleichwohl zeichnet sich aber gegen die Integration der teilweise grundverschiedenen Instrumente in einem Mega-Instrument namens "NDICI" aber doch Widerspruch ab. Vor allem hinsichtlich der Überführung des "Nachbarschaftsinstruments" scheint kein Konsens zu bestehen. Außerdem wird die Sorge geäußert, dass die Kommission auf diese Weise über große Ausgabenposten dann nach Gutdünken allein entscheide. Angesichts dieser Kontroversen besteht begründete Hoffnung, dass die Kommission vom EP oder den Mitgliedstaaten dazu bewegt werden könnte, das gesamte Paket nochmal aufzumachen und neu zu schnüren. Dafür sollten sich auch die deutsche Bundesregierung und die Abgeordneten im Deutschen Bundestag starkmachen.

Wie weiter?

CONCORD hat in einem ersten Kommentar darauf hingewiesen, dass die Verordnung für das NDICI zwar insgesamt mehr Geld für das auswärtige Engagement der EU vorsieht. Das Bündnis sieht aber weiterhin die Gefahr der Umfunktionierung der EZ für außen- und migrationspolitische Ziele. CONCORD hat angekündigt, in den kommenden Tagen eine detallierte Analyse der neuen Gesetzentwürfe zur Entwicklungsfinanzierung vorzulegen. Im EU-Parlament soll es in der nächsten Woche zu einer ersten Aussprache kommen. Gerade erst haben die Abgeordneten die umfangreichen Texte der Kommission zur Kenntnis genommen, doch schon regen sich erste Proteste. Die Fraktionen der Vereinigten Linken und der Grünen teilen die Bedenken und Vorschläge der NGOs, und auch aus dem sozialdemokratischen Spektrum melden sich kritische Stimmen gegen die Überführung der entwicklungs- und friedensbezogenen Instrumente (siehe Pressemitteilungen im Anhang zu diesem Blogbeitrag). Die Europäische Volkspartei wiederum sieht die Integration des Nachbarschaftsinstruments kritisch.

Die EU-Kommission möchte die Verhandlungen und Beschlussfassungen zum MFR gern noch vor den Wahlen zum EP 2019 durchdrücken, was von vielen Expert/innen aus der EU-Administration für unrealistisch (d.h. technisch kaum machbar) und von manchen auch als demokratisch bedenklich eingeschätzt wird (ein Zeitplan für die geplanten Beratungen findet sich im Anhang zu diesem Blogbeitrag). Schließlich handelt es sich bei den nun angeregten Haushaltsumgestaltungen nicht einfach nur um einen bürokratischen Akt, sondern um sehr pointierte politische Weichenstellungen, die in einem demokratischen Prozess sorgfältig beraten und abgewogen werden müssen.

 

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