Im Dezember 2013 veröffentlichten Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst, medico international und PRO ASYL die Studie „Im Schatten der Zitadelle. Der Einfluss des europäischen Migrationsregimes auf Drittstaaten“. Die exemplarischen Fallstudien zeigten auf, wie sich die europäische Politik der Auslagerung von Flucht- und Migrationskontrolle an Drittstaaten fatal auf Schutzsu- chende auswirkt, die Gesellschaften und die politische Entwicklung in den Transit- und Herkunftsländer negativ beeinflusst und sich auf die Sicherheitsinteressen der europäischen Staaten geradezu kontraproduktiv auswirkt. Bereits zu dem Zeitpunkt waren Tausende von Schutzsuchenden auf dem Weg in das vermeintlich sichere Europa im Mittelmeer ertrunken.
Mehr Kontrolle schafft nicht mehr Überlebenssicherheit, so der Befund der Studie, sondern im Gegenteil mehr Tod und Verfolgung. Europas Politik, die darauf ausgerichtet ist, Sicherheit durch Abwehr und Ausschluss zu schaffen, gefährdet den sozialen Zusammenhalt in den betroffenen Gesellschaften, zerstört nachhaltige Entwicklungspotentiale und schafft neue Unsicherheit. Mit Waffen, die von Europa an das Gaddafi-Regime in Libyen als Gegenleistung für das Zurückhalten von Flüchtlingen geliefert worden waren, begann ein Krieg in Mali, der noch immer in die Sahelzone ausstrahlt und die gesamte Region destabilisiert. Gleichzeitig vernichten die europäische Freihandelspolitik, der Handel mit Agrarerzeugnissen oder Investitionen in großflächige Agrarproduktion (land grabbing) massenhaft die Existenzen von Kleinproduzenten, die auf der Suche nach sozialer und wirtschaftlicher Sicherheit für ihre Familien nur den Ausweg finden, nach Europa auszuwandern.
Nach Angaben des Journalistenprojekts „The Migrant Files“ kamen bis Mitte dieses Jahres bereits über 1.800 Menschen ums Leben, seit dem Jahr 2000 insgesamt über 29.000. Die europäischen Außengrenzen sind längst die tödlichsten der Welt. Dies war Anlass für Hanne-Margret Birckenbach, im Januar 2015 ein Thesenpapier vorzulegen, in welchem sie die Sicherheitslogik, die der Europäischen Flüchtlingspolitik zu Grunde liegt, grundsätzlich hinterfragt. Die Friedens- und Konfliktforscherin stellte ihre Überlegungen bei einer Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll im April 2015 zum Thema „Leitbild Frieden. Wege zu einer friedenslogischen Flüchtlingspolitik“ zur Diskussion. In ihrem Beitrag entwirft Hanne-Margret Birckenbach das alternative Szenario einer von einer „Friedenslogik“ geleiteten Flüchtlingspolitik. Eine solche Politik, so die Autorin, begreift nicht den Flüchtling als Problem und Bedrohung der eigenen Sicherheit, sondern die Gründe und Bedingungen, die den Flüchtling zur Flucht zwingen. Der von einer Friedenslogik gelenkte Blick auf diese Ursachen nimmt auch den eigenen Beitrag europäischer und deutscher Politik für die Entstehung struktureller und direkter Gewalt, Ungerechtigkeit und Ungleichheit wahr. Und er erfasst die eigene Sicherheit als Ergebnis einer Politik, die die Sicherheit der zur Flucht Gezwungenen in den Mittelpunkt ihres Handelns stellt.
Gerade die deutsche Gesellschaft hat davon profitiert, dass eine auf Abwehr und Ausgrenzung fixierte Sicherheitspolitik während des Kalten Krieges Mitte der 1970er Jahre abgelöst wurde durch eine Politik der „gemeinsamen Sicherheit“. In Zeiten der Globalisierung und der globalen Auswirkungen von Veränderungsprozessen ist es anachronistisch, Sicherheit ausgrenzend in nationalstaatlich gedachten Kleinräumen schaffen zu wollen. Es ist Zeit damit zu beginnen, Sicherheit neu zu denken – gemeinsam mit den Schwächsten und den Menschen, die unter Unsicherheit in jeder Hinsicht am meisten leiden müssen: den Flüchtenden.