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Veränderung tut Not – im Großen wie im Kleinen

Von Online-Redaktion am

Ein Gespräch mit Dr. Sonja Weinreich, Leiterin des Referats Grunddienste und Ernährungssicherheit bei Brot für die Welt, und Michael David, Referent für Sozialpolitik gegen Armut und soziale Ausgrenzung bei Diakonie Deutschland.

Der Kampf gegen den weltweiten Hunger ist eine der größten Herausforderungen der Gegenwart. Jetzt kommt auch noch das Thema Mangelernährung hinzu. Warum?

Weinreich: Jahrelang stand in der Debatte zur Welternährung die Kalorienzufuhr der hungernden Menschen im Vordergrund. Dann stellte man fest, dass zusätzlich zu den mehr als 800 Millionen unterernährten Menschen etwa eine Milliarde Menschen mangelernährt sind. Allen gemeinsam ist, dass  ihnen lebensnotwendige Vitamine, Nährstoffe, Mineralien oder Spurenelemente fehlen. Während der Kalorienmangel sich durch Hunger ausdrückt und auch häufig durch die Zeichen der Unterernährung sichtbar ist, können Menschen, die genügend Kalorien zu sich nehmen, um nicht zu hungern, zwar subjektiv satt, aber trotzdem durch die fehlenden Nährstoffe häufiger oder chronisch krank sein. Es geht hier um den versteckten oder „stillen Hunger“. Dieser betrifft vor allem Frauen und Kinder.

Wie kann der Kampf gegen die Mangelernährung erfolgreich geführt werden?

Weinreich: Die Durchsetzung des Rechts auf Nahrung spielt dabei eine zentrale Rolle. Über 160 Staaten haben es als verbindliches Menschenrecht anerkannt und sich somit verpflichtet, es auch umzusetzen. Leider tun das längst nicht alle. Das Recht auf Nahrung wird oft so interpretiert, dass Menschen nur einen Anspruch auf eine ausreichende Menge an Kalorien haben. Es bezieht sich aber nicht nur auf quantitativ ausreichende, sondern auch auf eine ausgewogene und qualitativ gute und gesunde Ernährung. Brot für die Welt unterstützt seine Partnerorganisationen dabei, sich gegenüber ihren Regierungen dafür einzusetzen, dass diese das Recht auf Nahrung anerkennen. Die Projektpartner fordern beispielsweise von ihren Regierungen eine Agrarpolitik, die kleinbäuerliche Familienlandwirtschaft unterstützt. Regierungen können auf verschiedene Weisen sicherstellen, dass Hunger und Mangelernährung überwunden werden. Dazu zählen die Förderung einer nachhaltigen, diversifizierten Nahrungsmittelproduktion wie auch die Einführung von Schulspeisungsprogrammen oder Bildungskampagnen zu gesunder Ernährung. Außerdem unterstützen unsere Partnerorganisationen Kleinbauernfamilien darin, selbst aktiv zu werden, um ihre Lebenssituation zu verbessern. Ziel ist, dass sie nahrhafte und gesunde Lebensmittel produzieren und dabei die Bewahrung der Schöpfung im Blick haben.

Was kann die deutsche Bundesregierung tun?

Weinreich: Sie sollte in ihrer eigenen Politik, auf europäischer und auf globaler Ebene dafür sorgen, dass alle Akteure das Recht auf Nahrung zu ihrer Leitschnur machen. So haben auch europäische Firmen eine Mitverantwortung, wenn sie in armen Ländern investieren – hier muss darauf geachtet werden, dass sie der kleinbäuerlichen Landwirtschaft nicht schaden. Armut und Hunger entstehen auch, wenn europäische Agrarprodukte auf den regionalen und lokalen Märkten armer Länder die Preise lokaler Produkte unterbieten.

Wie sieht es denn in Deutschland mit dem Menschenrecht auf Nahrung aus, Herr David?

David: Die Bundesregierung geht davon aus, dass  das Recht auf vielfältige, gesunde und bezahlbare Nahrung mit der Grundsicherung – in der Umgangssprache „Hartz IV“ – verwirklicht ist. Wenn man sich die Höhe der Leistungen aber genauer anguckt, bleiben diese weit hinter dem zurück, was für eine gesunde Ernährung notwendig ist. Die Regelsätze sehen für die Ernährung von Kleinkindern 2,82 Euro täglich vor, bei Erwachsenen sind es 4,77 Euro. Wie soll man sich davon ausgewogen ernähren? Hinzu kommen die vielen Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen. Auch sie haben zu wenig Geld, um sich gesund zu ernähren.

Ist Mangelernährung ein Armutsproblem?

David: In Deutschland verhungert kaum jemand, aber es gibt genug Leute, die essen, ohne nachhaltig satt zu werden. Wir haben zwar große Mengen an Nahrung, die zur Verfügung stehen, aber trotzdem Mangelernährung aufgrund fehlender Nährstoffe. Viele Menschen kommen gar nicht an gesunde Lebensmittel heran, die in ihrer Region produziert werden. Schlecht hergestellte, minderwertige und billige Lebensmittel bieten einen hohen Kaloriengehalt, aber nicht die umfassende Qualität, die ein gutes   Nahrungsmittel auszeichnet. Das kann zum Beispiel zu Fettleibigkeit führen.  Zwar ernähren sich auch nicht alle Menschen gesund, die mehr Geld und gute Bildung haben. Theoretisch könnten sie es aber. Ein sehr großer Bevölkerungsteil ist dazu jedoch schon aus finanziellen Gründen nicht in der Lage. Wenn das Geld für gute Nahrung fehlt, kann auch Aufklärung über eine bessere Ernährung nur wenig helfen.

Könnte man nicht in den Kindertagesstätten und Schulen ansetzen? Brasilien hat zum Beispiel ein Gesetz für kostenfreie Schulspeisungen erlassen, das hochwertige, regional erzeugte Produkte fördert.

David: Die Schul- und Kitaernährung so zu gestalten wäre gut, aber das würde eine Änderung der Kostensätze in den Förderbestimmungen voraussetzen. Mittlerweile sind auch die  Kontrollen in den Küchen so aufwendig und restriktiv, dass die meisten Kindertagesstätten gar nicht mehr selbst kochen können. Man müsste als zentrales Ziel formulieren, dass alles getan wird, damit in Schulen und Kitas auch wirklich gesund gekocht werden kann und das auch bezahlbar ist.

Da ist also die Politik gefragt?

Weinreich: Die politische Ebene ist natürlich sehr wichtig, daran arbeiten wir als Brot für die Welt und Diakonie ja auch intensiv. Wir versuchen, Einfluss auf die nationale und internationale Politik zu nehmen. Es muss sich aber auch etwas auf der individuellen Bewusstseinsebene ändern. Wenn viele Menschen bewusstere Entscheidungen treffen, kann das etwas bewirken. So können wir zum Beispiel mit dem Einkaufskorb Politik machen, indem wir im Laden oder auf Märkten nach heimischem, lokal angebautem Gemüse oder nach schon fast vergessenen Gemüsesorten wie Sauerampfer oder Petersilienwurzel fragen. Damit können wir zu mehr Vielfalt auf dem Acker und auf dem Teller und somit zu einer gesunden Ernährung beitragen. Und wir können etwas gegen Lebensmittelverschwendung tun, wenn wir bewusst einkaufen, kochen und alles Essbare verwerten statt vieles wegzuwerfen. Wir können auch unseren Fleischkonsum reduzieren und Lebensmittel kaufen, die ökologisch und fair produziert und gehandelt wurden. Und als Kirche können wir in Gemeinde und kirchlichen Einrichtungen mit gutem Beispiel vorangehen.

 

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Kleinbäuerin Claudine Hashazinyange mit Avocados vom Baum ihres Schwiegervaters.

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