Das Recht auf Leben ist ein fundamentales Menschenrecht. Es darf nicht leichtfertig als juristisches Mittel aufs Spiel gesetzt werden, um die politische Opposition zu unterdrücken. Auch in Ländern, wie Ägypten, in denen die Todesstrafe noch nicht abgeschafft ist, erfordert internationales Recht, den Respekt vor dem Leben sowie die Durchführung eines fairen Prozesses bei dem strenge Rechtsstandards eingehalten werden.
Erst vor einem Monat verhängte ein Richter im oberägyptischen Al Minya in einem für die ägyptische Geschichte bislang einzigartigen Massenurteil, für 529 Anhänger der Muslimbruderschaft das Todesurteil. Ungeachtet des weltweiten Protestes wurden am 28. April nun in einem zweiten Massenurteil weitere 638 Muslimbrüder, darunter der Präsident der Muslimbruderschaft Mohammed Badie, zum Tode verurteilt.
Von den ersten 529 Todesurteilen wurden mittlerweile 492 Urteile zu lebenslangen Haftstrafen umgewandelt, für 37 Personen wurde das Todesurteil bestätigt. Die Muslimbruderschaft wird mittlerweile als eine terroristische Organisation verfolgt.
Den Angeklagten wird ein Überfall und der Mord auf den Leiter der Polizeistation in Matay, sowie versuchter Mord von zwei weiteren Polizisten in der Provinz Al Minya, im August letzten Jahres vorgeworfen. Die Justiz hat keinerlei Versuche, die individuelle Verantwortung für die Gewalttaten juristisch zu untersuchen, unternommen. Auch für die nun verurteilten 638 Personen wurden nur zwei Prozesstage angesetzt, der Verteidigung wurde nicht erlaubt, etwas gegen die Klagen einzuwenden oder Zeugen zu befragen.
Ägyptische Menschenrechtsorganisationen darunter die Egyptian Initiative for Personal Rights haben in einem Statement ihr Entsetzen und ihre Kritik gegenüber diesen willkürlichen Massenprozessen zum Ausdruck gebracht, die jegliche Rechtsstandards vermissen lassen. Sie bezeichnen die Prozesse als eine Farce.
Seit der Entmachtung des früheren Präsident Mohammed Mursi geht die Militärregierung mit großer Härte gegen die Muslimbrüder vor. Tausende sitzen im Gefängnis. Menschenrechtsorganisationen sehen in den Urteilen, im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen Ende Mai, den Versuch der Militärs, sich der Opposition der Muslimbrüder zu entledigen. Vom "Kampf gegen den Terror" sind aber auch andere Oppositionelle wie Journalisten, Aktivisten oder Menschenrechtsverteidiger betroffen. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) kritisieren, dass die Gesetzesentwürfe zum Anti-Terrorismusgesetz zu vage formuliert sind und so den Sicherheitskräften unbeschränkte Befugnisse einräumen, Bürger auszuspionieren und gegen sie gewaltsam vorzugehen. Auch die Existenz realer Sicherheitsgefährdung durch terroristische Anschläge dürfe nicht dazu führen, dass Arbeiterstreiks oder friedliche Proteste, die angeblich die öffentliche Ordnung stören, als terroristische Akte gebrandmarkt werden, so HRW. Laut dieser Definition könnten alle Demonstranten, die sich 2011 und 2013 an Demonstrationen beteiligt haben, als Terroristen bezeichnet werden.
Am 28. April wurde ebenfalls die ägyptische Jugendbewegung 6. April, die sich für demokratische Werte einsetzt, gerichtlich verboten. Ihr wird vorgeworfen, den ägyptischen Staat diffamiert und illegale Kontakte ins Ausland unterhalten zu haben. Die Jugendbewegung 6. April hatte sich 2008 als Unterstützerbewegung für streikende Textilarbeiter gegründet. 2011 spielte sie eine zentrale Rolle bei den Protesten gegen Expräsident Hosni Mubarak in dem sie über das Internet zum Umsturz aufrief. Ihr gelang es Tausende auf die Straße zu bringen. 2013 unterstützte die Jugendbewegung die Kampagne, die zum Sturz von Mohammed Mursi führte. Ihr Mitbegründer Ahmed Maher sitzt wie einige andere Aktivisten der Bewegung in Haft, weil sie gegen die Militärherrschaft demonstriert haben.
Dr. Andrea Zaki, Direktor von CEOSS, Coptic Evangelical Organisation for Social Services, einer Partnerorganisation von Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst, spricht von einer zunehmend frustrierenden Situation für die Zivilgesellschaft. Er verurteilt Terrorismus und die Gewalt gegen Unschuldige und fordert ein faires Verfahren für alle Inhaftierten.CEOSS unterhält ein Forum für Interkulturellen Dialog, bei dem die unterschiedlichsten ägyptischen Gesellschaftsgruppen, Journalisten, Geistliche, Akademiker, Schriftsteller zusammenkommen, um über brennende Fragen in der post-revolutionären Phase zu diskutieren und sich auszutauschen. In Al Minya fanden Anfang des Jahres zwei Seminare zu sozialen Frieden statt. Der wird in Ägypten dringender denn je benötigt.