Von Praktikant Jonas Roleder.
Erschütternde Nachrichten erreichten uns am 24. März 2014 aus Ägypten: In einem Schnellprozess wurden unter Missachtung der Rechte der Angeklagten und rechtstaatlicher Prinzipien 529 Mitglieder der Muslimbruderschaft, größtenteils in Abwesenheit, wegen zwei Angriffen auf Polizeistationen und dem Tod eines Polizisten im letzten Sommer zum Tode verurteilt. Brot für die Welt erklärte dazu in einer Stellungnahme, dass Todesstrafe durch nichts zu rechtfertigen ist. Das UNO-Kommissariat für Menschenrechte kritisierte den Richterspruch scharf als Menschenrechtsbruch. Auslöser der Angriffe war die Absetzung des von der Muslimbruderschaft unterstützen Präsidenten Muhammed Mursi durch das Militär. Die Muslimbruderschaft ist inzwischen in Ägypten als „Terrororganisation“ eingestuft und verboten. Diese Einstufung durch die Regierung des Überganspräsidenten Adly Mansour hatte Bundesaußenminister Steinmeier kritisiert. Gegen das Urteil kann Berufung eingelegt werden. Der endgültige Richterspruch, wahrscheinlich eine Aufhebung der Todesurteile, wird am 28. April 2014 erwartet.
Neue Verfassung international kritisiert
Das Jahr 2014 hatte in Ägypten mit einem Verfassungsreferendum begonnen. Am Abend des 16. Januar 2014 stand es fest: Mit überwältigenden 98% hatten die Ägypter die Verfassung des am 3. Juli 2013 durch Militär und Großdemonstrationen gestürzten Muslimbrüder-Präsidenten Mohammed Mursi durch eine neue ersetzt. Dass lediglich 39% der Berechtigten zur Wahl gegangen waren, konnte die Freude nicht bremsen.
Zu begrüßen ist die neue Verfassung von 2014, weil sie sich klarer zur Gleichheit vor dem Recht, zum Verbot von Diskriminierung, zur Gleichberechtigung der Geschlechter, zu Kinderrechten, zur Pressefreiheit und zur Religionsfreiheit bekennt und den Einfluss von nicht gewählten religiösen Gremien auf die Gesetzgebung beschränkt.
Trotzdem bleibt in diesen Bereichen weiter die Notwendigkeit zur Verbesserung. International ist die neue, säkularer orientierte Verfassung von 2014, gemessen an rechtstaatlichen, völker- und menschenrechtlichen Standards, denen Ägypten verpflichtet ist, genauso kritisch aufgenommen worden wie die muslimisch geprägte Verfassung von 2012: So wurde die hastige Ausarbeitung der Verfassung von 2014 unter Übergangspräsident Adly Mansour durch ein Gremium, dessen Zusammensetzung nicht repräsentativ für die ägyptische Bevölkerung war, kritisiert.
UN-Menschenrechtsausschuss befasst sich mit der Menschenrechtslage
Die Situation in Ägypten war auch Thema der Sitzung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen vom 3. bis 28. März 2014 in Genf. Die Mehrheit der dort vertretenen Länder kritisierte in einer gemeinsamen Erklärung, dass es in der neuen Verfassung nicht gelungen ist, das Militär der zivilen Regierung zu unterstellen oder es wirksam zu kontrollieren. Laut der neuen Verfassung muss der Verteidigungsminister Angehöriger der Streitkräfte sein. Das Militär braucht darüber hinaus keine Rechenschaft für seinen Haushalt vor dem Parlament abzulegen. Gegen Zivilisten kann weiterhin der Prozess vor Militärgerichten gemacht werden kann. Dies wird von Menschenrechtsorganisationen stark kritisiert.
Auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, nimmt zu den jüngsten Entwicklungen Stellung: „In Ägypten, wo die Regierung, wie sie es beschreibt, eine Anti-Terror-Kampagne betreibt, ist es wichtig, dass Menschenrechte respektiert werden, besonders der Schutz vor willkürlicher Inhaftierung, faire Gerichtsverfahren, Meinungs- und friedliche Versammlungsfreiheit.“ Wie die Mehrheit der Mitglieder des Menschenrechtsrats, verurteilten auch Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International in ihrer gemeinsamen Erklärung Menschenrechtsverletzungen in Ägypten. Sie kritisierten die Diffamierung von Regimekritikern und die Beschränkungen des Versammlungsrechtes, sowie das brutale Vorgehen gegen Demonstranten. Sie begrüßten die Einsetzung von Wahrheitskommissionen zur Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen unter den gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi und Hosni Mubarak und forderten die ägyptische Regierung auf, diese auszuweiten und zu verbessern.
Berliner Bischof macht sich ein Bild von der Lage vor Ort
Bischof Markus Dröge, Aufsichtsratsvorsitzender von Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst und Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz reiste im Februar diesen Jahres nach Ägypten. Christen machen etwa zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung aus. Er besuchte von Brot für die Welt unterstützte Projekte und sprach mit Vertretern der Zivilgesellschaft und religiösen und weltliche Führungspersönlichkeiten, um sich ein Bild von der Situation der ägyptischen Christen zu machen. Bei einem Rundtischgespräch berichteten ägyptischer Christen, dass sich die „Lage der Christen heute im Vergleich zu der Situation unter der Regierung [Mohammed] Mursis sehr verbessert“ habe. Sie blickten optimistisch in die Zukunft, da das Christentum in der Verfassung anerkannt sei und sie sich Seite an Seite mit ihren muslimischen Mitbürger für friedliche Revolutionen engagiert haben. Der Konflikt in der ägyptischen Gesellschaft solle nicht als Konflikt zwischen Religionen dargestellt werden. In einem Vortrag vor Christen in Kairo warnte Bischof Markus Dröge, Christen in Ägypten als akut verfolgt darzustellen. Dies lehnten auch seine ägyptischen Gesprächspartner ab. „Sie sehen die Konflikte in Ägypten weit weniger als Konflikte zwischen Christen und Muslimen, sondern vor allem als einen Konflikt zwischen extremistischen Kräften einerseits und den moderaten Gesellschaftsanteilen andererseits. In diesem Sinne stehen sich Christen und Muslime nicht einfach nur gegenüber, sondern stehen Seite an Seite.“
Nach Ansicht von Human Rights Watch und andere NGOs werden religiöse Minderheiten nach wie vor nicht ausreichend geschützt. Christen seien rechtlich immer noch nicht mit Muslimen gleichgestellt sind, was zu Spannungen führen kann.
Gemeinsame Entwicklungsarbeit mit lokalen Partnern
Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst ist seit mehr als 20 Jahren in Ägypten engagiert. Die politische Entwicklung des Landes hat einen großen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen und Wirkungen der von Brot für die Welt unterstützen Entwicklungsorganisationen.
Zwei Millionen muslimische und christliche Ägypter werden jährlich von CEOSS(Coptic Evangelical Organisation for Social Services), dem Hilfswerk der evangelischen Kirchen in Ägypten, mit vielfältigen Projekten erreicht.
Für ein friedlicheres Zusammenleben in der Gesellschaft hat die Organisation das Forum für Interkulturellen Dialog ins Leben gerufen. Daran nehmen Vertreter von Kirchen, Muslimen, Medien, Wissenschaft, Kunst und Zivilgesellschaft teil. Bei Zahlreichen Gesprächsrunden und Workshops ebnen sie den Weg zu einer neuen, inklusiven, pluralistischen und demokratischen Gesellschaft in Ägypten.
Mit seinem integrierten Entwicklungsprogramm unterstützt CEOSS Selbsthilfekomitees, Graswurzelorganisationen und Existenzgründer, Verbesserungsmaßnahmen landwirtschaftlicher Anbaumethoden auf Dorfebene und fördert Bildung und Berufsqualifizierung. Zielgruppen sind marginalisierte Gruppen wie alleinerziehende Frauen und Menschen mit Behinderung. Da 26% der Gesamtbevölkerung und 34% der Frauen in Ägypten nicht lesen und schreiben können, bietet CEOSS Alphabetisierungskurse an. CEOSS bietet außerdem Zugang zu medizinischer Versorgung und reproduktiven Gesundheitsrechten.
CEOSS unterstützt Familien bei der Generierung von Einkommen, damit sie von den Erlösen der weit verbreiteten Kinderarbeit unabhängig werden und die Kinder in die Schule gehen können. CEOSS fordert vom ägyptischen Staat, mehr für gefährdete Kinder zu tun.
Da man Impfungen und Gesundheitsversorgung durch staatliche Stellen, andere staatliche Leistungen und das Wahlrecht nur mit Papieren in Anspruch nehmen kann, hilft CEOSS beim Beantragen von Geburtsurkunden, die der erste Schritt zum Personalausweis und dem vollen Maß an Bürgerrechten sind.
COC-BLESS (Coptic Orthodox Church – Bishopric for PubLic, Ecumenical and Social Services), die Entwicklungs-Diözese der koptisch-orthodoxen Kirche in Ägypten, verhilft durch die Förderung Brot für die Welts 45 Dorfgemeinschaften mit gemischter Religionszusammensetzung zur eigenständigen Entwicklung. Mit Unterstützung von COC-BLESS entwickeln Dorfbewohner Schwerpunkte, in denen sie sich Verbesserungen der Lebensbedingungen im Dorf wünschen: Sauberes Wasser, verbesserte Hygiene, Gesundheit, Bildung, Beschäftigungsmöglichkeiten oder Agrarproduktion. Fünf Jahre arbeitet die Dorfgemeinschaft und COC-BLESS dann eng zusammen. Die Erfolge können sich sehen lassen: Spannungen zwischen Christen und Muslimen bauen sich durch die Arbeit am gemeinsamen Projekt ab, weibliche Genitalverstümmelungen werden zum Teil vollständig eliminiert und die Lebensbedingungen in den geförderten Dorfgemeinschaften verbessern sich nachhaltig.