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Von Porto Alegre nach Rio de Janeiro

Das Thematische Sozialforum auf dem Sprung zum Nachhaltigkeitsgipfel

 

Von Ehemalige Mitarbeitende am

 

Ein „Welt“-Sozialforum ist das Thematische Sozialforum 24.-28.Januar nicht gewesen, aber die brasilianische Zivilgesellschaft hat – vor allem in Hinblick auf den Nachhaltigkeitsgipfel Rio+20 - ihren Führungsanspruch in der weltweiten Zivilgesellschaft unterstrichen. Den kann sie aber nicht einlösen – weil sie soziale und Umweltfragen trennt und den Anschluss zu den neuen sozialen Bewegungen nicht mehr gefunden hat.

Chico Whitaker, einer der Gründerväter des Weltsozialforums, hat seiner Sorge um die Zukunft dieses „Open Space“ der Zivilgesellschaft in einem Brief an die Mitglieder des Internationalen Rates Ausdruck verschafft. Darin heißt es: „.. In der Tat ist das Ziel, uns selbst umzuerziehen, ein extrem langer Prozess. Er erfordert, Praktiken abzustellen, die sich in über hundert Jahren vertikaler politischer Aktion herausgebildet haben, sogar bei der Linken, die doch den Wandel anstrebt, aber autoritäres Gehabe zu akzeptiert… Deshalb gibt es Foren im WSF-Prozess, die weiterhin „Koordinatoren“ haben – wenn sie nicht gar „Präsidenten“ sind oder die als dauerhafte Einrichtungen funktionieren, ganz offenbar mit „Eigentümern“, statt den Open-Space-Gedanken zu verfolgen und statt Gemeingut zu sein, das nicht privatisiert werden kann.“

Der Mann weiß, wovon er redet. Whitaker ist derjenige, der über ein Jahrzehnt den Charakter des „Open Space“ verteidigt und in zahllosen erregten Debatten des Internationalen Rates immer wieder die Verpflichtung Aller auf dieses Prinzip herbeigeführt hat. Denn zu verlockend erscheint es vielen, sich zum Sprachrohr der Internationalen Zivilgesellschaft machen zu wollen. Zu verführerisch ist es, eine Art zivilgesellschaftlicher Weltregierung bilden zu wollen – und sei der Anspruch noch so an den Haaren herbeigezogen und Ausdruck eines Allmachts-Wunschdenkens, das in den anti-neoliberalen Debatten immer wieder Einzug hält, weil es ein vorgebliches „Wir“ gibt, das einen gemeinsamen Willen zu haben scheint, den niemand als der jeweilige Sprecher oder Sprecherin am besten verkörpert.

Der Brandbrief von Chico Whitaker hatte seine Gründe kurz vor dem „Thematischen Sozialforum“ in Porto Alegre. Gleich mehrere Friktionen haben ganz empfindlich am Grundverständnis eines Sozialforums genagt:

Zum einen haben diesmal – ausgerechnet im brasilianischen Porto Alegre – die Nichtergierungsorganisationen das Heft so in die Hand genommen, dass die sozialen Bewegungen aus der Kurve geflogen sind. Das Forum war Volkshochschule, nicht Open Space für Bewegungen, Organisationen, Gruppierungen. Der bevorzugte Versammlungsort war der Hörsaal an der Uni, noch dazu zerstreut auf mehrere Lokalitäten. Die Teilnehmer des Forums gingen also brav in Vorlesungen. Die Sprecher auf den Podien kamen einem schnell vertraut vor – immer dieselben, in wechselnden Zusammenstellungen. Große Mobilisierungen sind nicht gelungen. Die Manifestation zu Beginn des Forums, die in anderen Jahren mehrere Hunderttausend angezogen hat, blieb überschaubar, hat aber immer noch eine fünfstellige Teilnehmerzahl erreicht.

Zum anderen haben die Organisatoren auf Internationalisierung weitgehend verzichtet. Nun war dieses Forum eine knifflige Angelegenheit: kein „Welt“-Sozialforum, sondern ein thematisches, regionales, aber eben doch das Forum, das Auge in Auge mit dem Weltwirtschaftsforum Davon stattfand, also damit rechnen musste, von der Weltöffentlichkeit und den Medien als Platzhalter für das WSF betrachtet zu werden. Dann diente es außerdem erklärtermaßen der Vorbereitung der Zivilgesellschaft auf den Nachhaltigkeitsgipfel Rio+20, der 20.-22.Juni in Rio de Janeiro stattfinden soll. Aber welcher Zivilgesellschaft? Den nicht sehr zahlreichen internationalen Gäste wurde an einem Informationsabend das Grundkonzept des „Peoples´ Summit“ / der „Cúpula dos povos“, der auf dem Aterro do Flamengo – dem historischen Ort des Ergipfels 1992 – stattfinden wird, erklärt. Deutlich wurde dabei, dass auch der Peoples´ Summit ein brasilianisches Ereignis werden kann –von Brasilianern geplant, mit brasilianischen Themen und der brasilianischen Sicht der Dinge belegt.

Ein wenig peinlich war den zukünftigen Organisatoren des Peoples´ Summit die Reaktion der internationalen Gäste schon – aber es wurde auch offensichtlich, dass Chico Whitakers Warnung den Kern der Sache trifft: das Weltsozialforum hat den Sprung aus dem brasilianischen Nest nicht wirklich geschafft, auch weil der Muttervogel die Küken nicht fliegen lassen will. Alle Internationalisierung im Internationalen Rat oder dem „Internationalen Sekretariat“ des WSF zum Trotz – es sind die brasilianischen Platzhirsche, die „ihr“ Forum (und „ihren“ Peoples´ Summit im Juni 2012) nicht aus der Hand geben wollen. Es sind die politisch erfahrenen Nichtregierungsorganisationen des Landes, die ihren Stil und ihre Inhalte wieder finden wollen und die darüber wachen, dass die politische Botschaft, die sich im Grundlagendokument des WSF, der „Charta of Principles“ wieder finden, nicht aufgegeben werden. Ein „Wächterrat“ hat sich gebildet, der in bester Absicht dabei ist, die Zukunft des Forums zu verspielen.

Denn das hat sich in der Diskussion des Internationalen Rates auch gezeigt. Die neueren Bewegungen orientieren sich wenig oder gar nicht am WSF. Nicht die Indignados, nicht die Occupy-Bewegung, nicht die vielfältigen über Internetforen agierenden Demokratie- und Transparenzinitiativen. Ein WSF aber, das den eingefrorenen Moment der späten 90er Jahre zur Betrachtung freigibt, wäre Historie geworden.

Das Forum darf aber auch nicht unterschätzt werden. Wenn auch die brasilianischen NRO gummibandartig immer wieder ein Zurückschnellen auf den Ausgangszustand erzwingen, sind ausholende Bewegungen möglich. Das nächste WSF soll in Nordafrika stattfinden. Eine Staffel ist angedacht, die – unter vermutlich widrigen, wenn nicht feindseligen Bedingungen – in Ägypten starten soll, in Marokko, wo Freiheitsräume sich erweitern, Station macht und schließlich in Tunesien ankommt, wo sie Demokratie- und Menschenrechtsbewegungen unterstützen soll. Vor allem Italiener und Spanier im Internationalen Rat reagieren euphorisch auf diesen Vorschlag, denn für sie würde sich mit einem nordafrikanischen Forum die uralte und erst im Lauf der letzten Jahrhunderte in Frage gestellte Zusammengehörigkeit der Gesellschaften um das Mittelmeer herum entfalten.

Es ist auch mit einem Peoples´ Summit zum Nachhaltigkeitsgipfel im Juni 2012 in Rio de Janeiro zu rechnen, der – die brasilianischen WSF-Erfahrungen fortführend - kräftige Akzente setzen wird. Die Zivilgesellschaft hat von der brasilianischen Regierung gefordert: Das Gelände des Erdgipfels 1992, 100%-Finanierung für die Infrastruktur, vollständige Rede- und Versammlungsfreiheit, obwohl harte – aber natürlich friedfertige - Kritik in Aussicht gestellt wurde. Das alles haben die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff und ihr Umweltminister am Morgen des 26. Januar der Zivilgesellschaft zugesagt. Am Nachmittag desselben Tages hat Frau Rousseff sich zum Gespräch mit dem Internationalen Rat des Forums begeben – ein politisches Signal, das sie medienwirksam inszeniert hat: Schaut her, hieß es in den Zeitungen des Landes, die brasilianische Regierung fährt nicht mehr nach Davos und zu den verblassenden Wirtschaftsmächten Europas, sondern sucht für Zukunftsfragen die Diskussion mit der Zivilgesellschaft. Wie hart der Konflikt werden wird, hat das zweistündige Treffen mit der Präsidentin – bevor sie zur Großveranstaltung ins Stadion aufbrach – gezeigt. Sie fährt einen harten Kurs der verbalen Ablehnung Europas, das sie förmlich als gescheitertes Modell hinstellt, um gleich der erwarteten Kritik europäischer Frager zuvorzukommen, ob nicht Natur in Brasilien auf Kosten der sozialen Entwicklung geopfert werde. Sie versichert sich des Wohlwollens der Gewerkschaften, der Nachbarschaftsgruppen der Favelas oder der Landlosen, wenn sie das baldige Ende der Armut in ihrem Land ankündigt und auf die überaus günstigen Prognosen für Wirtschaftsentwicklung und – dabei inbegriffen – für die soziale Lage der Ärmeren verweist. Sie macht durch ihre Sympathie für ein neues Waldgesetz, das stärkere Eingriffe in die Biosphäre des Landes wieder zuließe, deutlich, wo ihre Prioritäten sind, und was sie als posteriär betrachtet. Die NRO sind nun gespalten – die einen können den Nachhaltigkeitsgipfel als Manifestation eigener Stärke gegenüber den alten imperialen Mächte ansehen, die anderen werden beklagen, dass Umweltziele in Brasilien keinen Pfifferling wert sind.

Schon während des Thematischen Sozialforum hat ein Nachdenkensprozess eingesetzt: Das Planungskomitee für den Peoples´ Summit soll internationalisiert werden. Kandidaten werden derzeit gesucht.

 

 

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