Erfolgreicher Kampf gegen „Hähnchen des Todes“

Der Import von Hähnchenteilen, die aus Europa gefroren nach Westafrika verschifft werden, hat seit Gründung der WTO und der damit einhergehenden Herabsetzung von Zöllen von 1996 bis 2004 um das 20-fache zugenommen. Die kamerunische Bevölkerung wehrt sich – mit Erfolg.

Wir Kameruner lieben Hähnchen“, sagt Yvonne Takang, Direktorin von ACDIC (Association Citoyenne de Défense des Intérèts Collectifs). „Es gibt keine Feierlichkeiten, auf denen kein Hähnchenfleisch angeboten wird. Es ist das Essen, was immer als erstes auf einem Buffet aufgegessen ist! Teilweise wird es auch für traditionelle Riten in einigen Gegenden Kameruns verwendet. Es ist allerdings auch ein teures Fleisch.“

Darum hatten sich viele Konsumentinnen und Konsumenten in Kamerun gefreut, als Mitte der neunziger Jahre neben den lokal gemästeten ganzen Hühnern immer mehr einzelne gefrorene Hähnchenteile auf den Märkten angeboten wurden. Davor wurden in Kamerun Hühner und Hähne vor allem freilaufend auf Hinterhöfen oder in Ställen gehalten. Verkauft wurden die Hühner lebend auf dem Markt und wurden anschließend an Nachbarständen oder zu Hause zerlegt. Tiefgefrorenes Fleisch hingegen galt als Luxusgut. Doch plötzlich konnte man auch tiefgefrorene Hähnchenteile erwerben – und das zu günstigen Preisen: Exportiert aus Europa lag der Kilopreis bei maximal 2 Euro. Ein lokal gemästetes Huhn hingegen kostet pro Kilo etwa 2,5 – 3,5 Euro.

Dramatische wirtschaftliche Folgen

Auf Anweisung der Weltbank hatte Kamerun im Zuge der Entschuldungsverhandlungen seine Einfuhrzölle für Nahrungsimporte niedrig gehalten, zwischen fünf bis 20 Prozent Zolltarif. Eigentlich aber steht dem westafrikanischen Land seit seinem Beitritt zur World Trade Organization (WTO) 1995 das Recht zu, seine Zölle auf bis zu 90 Prozent anzuheben. Zur gleichen Zeit sah sich die Fleischindustrie vor allem in den Benelux-Staaten und Frankreich zunehmend mit dem Problem konfrontiert, wohin mit den Resten der Masthähnchen. Denn die Verbraucherinnen und Verbraucher verlangten nur noch nach Brustfilet. Legal und illegal wurden darum gefrorene Hähnchenteile aus verschiedenen europäischen Ländern nach Kamerun eingeführt. Innerhalb weniger Jahre machte die Einfuhrmenge mit 15.000 Tonnen Hähnchenfleisch im Jahr 2002 fast die Hälfte des damaligen inländischen Markts aus.

Die wirtschaftlichen Folgen waren dramatisch: Über zehn Millionen Euro an Steuereinnahmen gingen dem Staat jährlich verloren. Tausende Mäster verloren ihre Existenz, auch Bauern und Bäuerinnen, die bisher Futter für die einheimische Mast lieferten. Auch Korbmacher für den Transport der Hühner zum Markt, Tierärzte oder Kükenerzeuger hatten kein Einkommen mehr. Mit jeder Tonne importierten Billigfleischs verschwanden in Kamerun fünf Arbeitsplätze.

Bürgerbewegung wehrt sich

Zunächst blieben die negativen Folgen der Hähnchenteilimporte in Kamerun unbemerkt. 2003 fiel jedoch der Bauernorganisation SAILD (Service d’Appui aux Initiatives Locales de Développement) auf, dass sich die Zahl der Hühnerhalterinnen und -halter unter ihren Mitgliedern stark verringert hatte. SAILD ist ein langjähriger Partner von Brot für die Welt.

Von stichprobenhaft ausgewählten 100 Hühnerhaltern 1998 waren 2003 nur noch acht übrig. Der Rest hatte vor der Billigkonkurrenz aus Europa kapituliert oder stand kurz vor dem Ruin. SAILD beschloss, aktiv zu werden und gründete eine Bürgerbewegung: ACDIC – über- konfessionell, offen für alle Bevölkerungsschichten und für alle Betroffenen der europäischen Hähnchenteilimporte: Produzenten, Verbraucher, Importeure und Händler.

Frau mit einer Brot für die Welt Jacke und Fahne auf einer Demonstration
Yvonne Takang ist eine der Gründerinnen von ACDIC. Heute ist sie die Direktorin der Bürgerbewegung und macht international Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit für die Ziele von ACDIC.

Um sich gegen die Importe zu wehren, suchte sich ACDIC auch internationale Partner aus der Zivilgesellschaft, denn im autokratischen Kamerun war es schwer, Verbündete zu finden. „Wir kämpften nicht gegen kleine Leute, sondern gegen hochrangige Politiker“, sagt Takang. „Viele von ihnen waren selbst im großen Stil am Importgeschäft beteiligt und profitierten davon. Es war ein großer Kampf“, so das Gründungsmitglied von ACDIC. 2004 veröffentlichte ACDIC die Broschüre „Tiefgefrorene Hähnchen – Lebensgefahr!“.

Aktivistinnen und Aktivisten von ACDIC verteilten sie auf Märkten im ganzen Land und diskutierten mit Händlerinnen und Verbrauchern. Auch die einheimischen Medien interessierten sich für das Thema, über 100 Tageszeitungen, Radiosender und das Fernsehen berichteten über die Kampagne. Außerdem bot ACDIC Workshops für Mäster und Händler an und organisierte Demonstrationen. Immer mehr Kamerunerinnen und Kameruner mieden das gefrorene Fleisch. Europäische Partnerorganisationen, beispielsweise in Belgien und Frank- reich, machten parallel dazu auf die Folgen der Fleischexporte nach Kamerun aufmerksam. Und der Evangelische Entwicklungsdienst startete in Deutschland die Aktion „Keine chicken schicken“.

Keimgefahr im Fleisch

Nicht nur wirtschaftlich bedeuteten die Importe von europäischen Fleischkonzernen eine Gefahr: Bei 90 Prozent Luftfeuchtigkeit und 30 Grad Celsius vermehren sich Keime in den importierten Resten rasant. Selbst wenn die Kühlung bis zum Hafen von Douala gesichert war, konnte sie aufgrund fehlender Kühltransporter und stetiger Stromausfälle spätestens ab dem Verladen der Ware vom Schiff in LKWs nicht mehr gesichert werden.

Auf den meisten Märkten wurden die einst gefrorenen Teile dann ungekühlt einfach auf den Tisch liegend angeboten – und nach Nicht-Verkauf in instabilen oder verrosteten Kühltruhen wieder „eingefroren“. Weil ACDIC auffiel, dass nach Großveranstaltungen mit Importfleisch, zum Beispiel nach Hochzeiten, oft viele Teilnehmende erkrankten, ließ die Bürgerbewegung Proben von 200 Marktständen mit importierten Fleischteilen nehmen und im renommierten Labor Centre Pasteur untersuchen. Das schockierende Ergebnis: 83,5 Prozent der untersuchten Fleischstücken waren für den menschlichen Verzehr ungeeignet. Sie enthielten Camylobacter und Salmonellen.

Trotz Erfolg bleiben Sorgen

Das Engagement von ACDIC zeigte Wirkung: „Die Kampagne war erfolgreich, weil sie so ein hohes Mobilisierungspotential hatte“, ist Takang überzeugt. „Jeder Kameruner isst Hähnchen, jeder und jede.“ 2004 schaffte es die Bewegung, 120 Parlamentarierinnen und Parlamentarier sowie den Minister für Landwirtschaft und Tierzucht zu versammeln.

Das erste Mal kamen so Zivilgesellschaft und hohe politische Entscheidungsträger in Kamerun zusammen. Die Regierung lenkte ein: Im Frühjahr 2005 zog sie alle Importgenehmigungen für Hähnchenfleisch aus Übersee zurück und über- wachte den Hafen von Douala.

Doch viele der früheren Mästerinnen und Mäster, die angesichts der Importe ihren Betrieb einstellen mussten, schafften es nicht wieder, sich zu erholen. Sie waren oft hoch verschuldet, weil sie ihre alten Kleinkredite für Ställe oder Futter aufgrund der fehlen- den Einnahmen nicht bezahlen konnten. Nach dem Importstopp hatten die Kleinbauern kein Geld mehr, um ihre Mast wieder aufzubauen und neue Küken und Futter zu kaufen. Besonders Frauen, die vorher einen großen Teil der Hühner gemästet und verkauft hatten, konnten sich nicht wieder auf dem Markt etablieren. Deswegen forderte ACDIC, dass Initiativen der Entwicklungszusammenarbeit wie die Grünen Innovationszentren des BMZ sich vorrangig auf die Kleinmästerinnen und Kleinhalter konzentrieren.

Die dreizehn Mitarbeitenden von ACDIC sind besorgt: „Seit 2006 gibt es das faktische Importverbot, es werden keine Importlizenzen für Geflügelteile vergeben. Doch Kamerun hat ja ein Handelsabkommen mit der EU, das EPA, unterzeichnet. Wir haben Angst, dass die EU fordert, den kamerunischen Markt wieder für die europäischen Tiefkühlteile zu öffnen“, sagt Yvonne Takang. Dabei seien die Importrestriktionen sehr erfolgreich. Seit 2006 hat sich die einheimische Produktion fast verzehnfacht, auf 125.000 Tonnen in 2015. „Die Qualität des Fleischs ist sehr gut – doch die Preise sind noch immer für die meisten zu hoch und die Nach- frage noch lange nicht gedeckt“, so Takang. Schlachthöfe, die die Hähnchen zerteilen und so für arme Familien erschwingliches Fleisch liefern könnten, fehlen in Kamerun nach wie vor. ACDIC setzt sich dafür ein. „Handelspolitik wird von Menschen gemacht – und somit ist sie anfällig für Fehler. Es ist an der Zeit, sich erneut zusammenzusetzen und faire Handels- abkommen für alle neu zu verhandeln“, sagt Takang. Sonst kommen die gefrorenen Hähnchenteile womöglich zurück.

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