Atlas der Zivilgesellschaft 2019

Weniger Freiheit in der Europäischen Union

Die wenigsten Menschen auf der Welt leben in uneingeschränkter Freiheit. Sogar in der EU wird es enger für zivilgesellschaftliche Organisationen, wie die Herabstufung von Italien und Österreich zeigt und die gefährliche Lage in Ungarn.

Freiheit für Wenige

Nur rund vier Prozent der Weltbevölkerung genießen uneingeschränkte zivilgesellschaftliche Freiheiten. Sie leben in den 45 Staaten, die die Grundrechte voll respektieren und schützen. In 109 Staaten der Erde ist die Freiheit dagegen „beschränkt“, „unterdrückt“ oder „geschlossen“. Das zeigen die Daten des Atlas der Zivilgesellschaft 2019. Wenn Menschen die Machthaber in diesen Ländern kritisieren, werden sie inhaftiert, verletzt oder sogar getötet. Vollständig „geschlossen“ ist der Civic Space, der Handlungsraum der Zivilgesellschaft, in 23 Staaten, in denen rund zwei Milliarden Menschen leben. Dieses knappe Drittel der Weltbevölkerung erlebt also, wie zivilgesellschaftliches Handeln durch staatliche Gewalt vollständig unterbunden wird. Soweit ist es in der EU noch nicht, aber es gibt Grund zur Sorge.

Unfreiheit in der EU

Mandeep Tiwana, Leiter des Bereichs Politik und Forschung bei CIVICUS in New York, lobt zwar, dass sich die EU weltweit für Menschenrechte und demokratische Werte eingesetzt habe. Doch die aktuellen Entwicklungen machten es der EU schwer, weiter für die offene Gesellschaft einzutreten. Denn knapp die Hälfte der EU-Staaten (46 Prozent) behindern aktuell die Zivilgesellschaft. In 12 der 28 EU-Mitgliedsstaaten ist der Civic Space „beeinträchtigt“ und in einem sogar „beschränkt“, nämlich in Ungarn.

Ungarn ist am schlimmsten

Ungarn markiert damit unter dem Premier Viktor Orbán erneut einen Tiefpunkt im CIVICUS-Monitor für die EU. Ein wesentlicher Grund dafür ist das sogenannte Stop-Soros-Gesetz, das die Hilfe für Flüchtlinge durch NGOs kriminalisiert und die Unterstützung aus dem Ausland somit erschwert. Die Evangelische Diakonie Ungarn zum Beispiel fürchtet deshalb, ihre Arbeit bald nicht mehr finanzieren zu können.

Italien und Österreich steigen ab

In Italien und Österreich hat sich der zivilgesellschaftliche Handlungsspielraum im Vergleich zum Vorjahr verringert. CIVICUS hat nach den Wahlsiegen der rechten Parteien Lega und FPÖ in Italien beziehungsweise Österreich die ersten politischen Maßnahmen der neuen Regierungen überprüft und anschließend den Freiheitsgrad der Zivilgesellschaft in beiden Ländern herabgestuft, von „offen“ auf „beeinträchtigt“.

Den Zustand der Zivilgesellschaft messen

Der Atlas der Zivilgesellschaft 2019 greift auf die Ergebnisse des CIVICUS-Monitors zurück, der weltweit umfassendsten Dokumentation zum Zustand der globalen Zivilgesellschaft. Die Nichtregierungsorganisation CIVICUS beobachtet dafür 194 Mitgliedstaaten der UN sowie Palästina und Taiwan (Province of China). Analystinnen und Analysten werten laufend Berichte von hunderten lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und internationalen Partnerorganisationen aus sowie öffentliche Quellen. CIVICUS misst den Einschätzungen lokaler und regionaler Akteure dabei stärkere Bedeutung bei als jenen internationaler Experten. Daten staatlicher Stellen werden nicht berücksichtigt. Am Ende steht ein Index-Wert für jedes Land, der den Umfang der zivilgesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten beschreibt. 

Formen der Gewalt gegen Aktivisten

Die Ideologien repressiver Regierungen sind weltweit sehr unterschiedlich. Aber die Methoden, mit denen sie gegen Menschenrechts-Aktivistinnen und -Aktivisten vorgehen, gegen unliebsame Journalistinnen und Journalisten oder soziale Proteste, sind erstaunlich ähnlich. CIVICUS hat mehr als 1.400 Berichte über konkrete Angriffe auf die Zivilgesellschaft im Zeitraum von Oktober 2016 bis Oktober 2018 ausgewertet. Sie stehen exemplarisch für viel höhere Fallzahlen. Die häufigsten Vergehen waren: In 563 Fällen handelte es sich um die Festnahme von Aktivistinnen und Aktivisten, in 626 Fällen wurden Menschenrechtsverteidigerinnen oder Aktivisten eingeschüchtert und schikaniert. 368 Mal wurden Journalistinnen und Journalisten angegriffen, 360 Mal übten staatliche Stellen Zensur aus, 320 Mal gingen staatliche Akteure mit „exzessiver Gewalt“ gegen Aktivistinnen und Aktivisten vor und 296 Mal lösten sie gewaltsam Versammlungen auf.

Entwicklung braucht Freiheit

Die CIVICUS-Daten zeigen, wie sehr Entwicklung und gesellschaftliche Freiheit miteinander einhergehen. Je stärker die gesellschaftlichen Freiheiten eingeschränkt werden, desto schwieriger ist es für Menschen, sich aktiv für Umverteilung einzusetzen, für eine funktionierende Infrastruktur oder gegen Korruption und Diskriminierung. Wo der Civic Space hingegen „offen“ ist, sind die Gesellschaften deutlich weiter entwickelt. Das weltweit anerkannte Maß dafür ist der Human Development Index (HDI), der für offene Länder im Schnitt bei 0,794 liegt. In Staaten, in denen der Raum für die Zivilgesellschaft „beschränkt“ ist, erreicht der HDI im Schnitt nur noch 0,636 Punkte. In Staaten, die den Civic Space „geschlossen“ haben, liegt er bei durchschnittlich nur noch 0,611 Punkten.

Fortschritt entsteht durch offene Diskussionen

Einige der Staaten, die nach den Daten des CIVICUS-Monitors den Raum für die Zivilgesellschaft geschlossen haben, setzen auf ein Entwicklungsmodell, dass die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Entscheidungsprozessen nicht vorsieht. Doch die Korrelation der CIVICUS-Daten belegt deutlich, dass autoritäre Entwicklungsmodelle langfristig keine Perspektiven bieten. Alle historische Erfahrung zeigt: Menschlicher Fortschritt wird nicht von Mächtigen gewährt, sondern entsteht durch gesellschaftliche Kämpfe um soziale Rechte.

Der Kampf um die Freiheit der Zivilgesellschaft ist auch ein entwicklungspolitisches Anliegen. Denn keine der Kernfragen für die Entwicklung von Gesellschaften wird ohne zivilgesellschaftlichen Druck vorangetrieben – weder die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern noch die Rechte von Frauen und Mädchen, der Schutz der Umwelt, der Ausbau sozialer Grundsicherung oder der Zugang zu Bildung. Fortschritte in diesen Feldern sind immer auch das Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.

Gesetze gegen die Zivilgesellschaft

Trotzdem erlassen Regierungen zunehmend Gesetze, um die gesellschaftlichen Freiheiten einzuschränken. So haben zwölf Staaten im Jahr 2017 Gesetze auf den Weg gebracht oder beschlossen, um die Finanzierung von NGOs zu erschweren. Unter ihnen sind demokratische Staaten wie Kolumbien und autoritäre Regime wie Ägypten. Sehr häufig zielen die Regelungen darauf ab, die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnerorganisationen zu erschweren, was ein direkter Angriff auf die moderne partnerschaftliche Entwicklungszusammenarbeit ist.

Korruption befördert die Unfreiheit

Weltweit gibt es noch mehr schlechte Nachrichten. Brasilien droht nun wie die Philippinen zum Vorreiter eines vollkommen enthemmten Autoritarismus zu werden. Dass es in beiden Ländern soweit kommen konnte, lag auch an der dort verbreiteten Korruption. Sie zu bekämpfen ist eines der weltweit wichtigsten Anliegen zivilgesellschaftlicher Akteure. Die Daten des CIVICUS-Monitors belegen: Korruption steht auf Platz zwei der häufigsten Gründe für Protestaktion weltweit. Autoritäre Machthaber antworten auf solche Proteste aber mit Gewalt.

Die Rechten schränken die Rechte ein

Die Zivilgesellschaft, Verfechter und Gestalter einer offenen, demokratischen und gerechten Globalisierung, ist weltweit mit einer Wiederkehr des Nationalen konfrontiert. Minderheitenrechte und Multilateralismus werden unter dem Kampfbegriff der „Souveränität“ ausgehöhlt. Regierungen ziehen sich aus Systemen und Konventionen zum Schutz von Menschenrechten und Grundrechten zurück. CIVICUS hält das für einen „systematischen, globalen Angriff“ auf die Zivilgesellschaft, und gegen den müssen freiheitliche Länder wie Deutschland sich wehren.

Wie Deutschland die Freiheit verteidigen kann

Brot für die Welt fordert deshalb von der Bundesregierung, beim Schutz zivilgesellschaftlicher Freiräume ein Vorbild zu sein. Gerade einflussreiche Staaten wie Deutschland haben eine besondere Verantwortung für die internationalen Menschenrechte und die zivilgesellschaftliche Teilhabe. Die deutsche Wirtschafts- und Sicherheitspolitik darf daher nicht den zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum in anderen Ländern einschränken. Außerdem sollte die Bundesregierung ihren wirtschaftlichen Einfluss dazu nutzen, repressive Gesetze und Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und im besten Fall zu verhindern. Neben vielen weiteren Punkten sollte sie auch multilaterale Initiativen und internationale Menschenrechts-Institutionen stärken, indem sie aktiv darin mitarbeitet, sie finanziell unterstützt, deren Entscheidungen anerkennt und vor allem umsetzt.

Material zum Mitnehmen

Atlas der Zivilgesellschaft

Alle Daten und Grafiken zum Stand der Freiheit in der Welt und detaillierte Beschreibungen der Lage in einzelnen Ländern finden Sie im Atlas der Zivilgesellschaft 2019.

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Lachender Junge

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