Armenien
Ein Neubeginn für Flüchtlinge aus der Ukraine
Tausende Menschen fliehen vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine nach Armenien. Viele haben den Bombenhagel erlebt und eine gefährliche Flucht hinter sich. Eine Partnerorganisation von Brot für die Welt versorgt sie mit dem Nötigsten und hilft ihnen, neue Perspektiven zu entwickeln.
Flucht vor dem Ukraine-Krieg
Es ist schon Abend, als Nelly Harutunyan und ihre Tochter Milena zum ersten Mal an diesem Tag ein paar ruhige Minuten zusammen verbringen. Milena sitzt auf dem Schoß ihrer Mutter und malt in einem Buch. Nelly Harutunyan zeigt auf eine Figur und wiederholt mehrmals das armenische Wort für Nase, so lange, bis Milena es leise nachspricht. Die Mutter klatscht in die Hände und sagt „toll gemacht“.
Milena ist sechs Jahre alt. Sie spricht nicht viel, da sie eine Form von Autismus hat. Als Milena, ihre Mutter und die Großeltern im Juni 2022 in Armenien ankamen, war das Kind so verstört, dass es nicht einmal Kleidung auf seiner Haut ertragen konnte. Die Familie war vor dem Krieg in der Ukraine in das Land im Südkaukasus geflohen, so wie 6.000 bis 8.000 weitere Ukrainer. Die meisten der Ankömmlinge haben armenische Wurzeln. Auch Nellys Eltern sind einst von Armenien in die Ukraine gezogen. Jetzt kehren sie zurück auf der Flucht vor den russischen Granaten und Raketen.
Ansprechpartnerin

Projektfilm: Hilfe für Flüchtlinge
Unterstützung beim Neustart
Hohe Kosten für Flüchtlinge
Einen Monat hatte die Familie Harutunyan nach Kriegsbeginn in einem Schutzkeller in der ostukrainischen Stadt Mariupol ausgeharrt. Über Russland floh sie nach Armenien, in das Land, das die Familie vor fast 20 Jahren verlassen hatte. „Wir haben in Mariupol alles zurückgelassen“, sagt die 43-jährige Nelly Harutunyan. „Ich bin froh, dass wir überlebt haben.“
Wie viele Geflüchtete zog es die Familie zunächst in die Hauptstadt Eriwan. Dort traf sie auch auf Zehntausende Russinnen und Russen. Die haben wegen der Wirtschaftssanktionen ihre Heimat verlassen und verfügen über ein relativ hohes Einkommen. Die Mieten und Lebensmittelpreise in Eriwan sind deshalb stark gestiegen. Nelly Harutunyan, Milena und die Großeltern konnten sich die Unterkunft nur drei Tage lang leisten. Dann waren ihre Ersparnisse aufgebraucht.
Starthilfe für Geflüchtete
Unterstützung erhielt die Familie von Syunik. Die armenische Partnerorganisation von Brot für die Welt hat Erfahrung im Umgang mit Geflüchteten. Syuniks Büro befindet sich in der Provinzhauptstadt Jeghegnadzor im Südosten des Landes. In diese Region fliehen viele Armenierinnen und Armenier, wenn der Konflikt mit dem Nachbarland Aserbaidschan um die Region Bergkarabach wieder mal aufflammt. Syunik ermöglicht ihnen durch Nothilfe und Integrationskurse, sich ein neues Leben aufzubauen. Das Gleiche tut die Hilfsorganisation nun für Geflüchtete aus der Ukraine. Von Syunik bekamen Nelly Harutunyan und ihre Familie zunächst das Allernötigste: eine Unterkunft, Kleidung, Hygieneartikel und eine Geldkarte zum Einkaufen im Supermarkt. Anschließend suchten die Mitarbeiterinnen von Syunik einen Kitaplatz und einen kostenlosen Therapieplatz für Milena.
Ein neues Zuhause
Die Wohnung der Harutunyans liegt ebenerdig, weil Großmutter Anahit im Rollstuhl sitzt. Auf dem Fensterbrett stehen Gläser, in denen sie Melonen und Paprika eingeweckt hat. Den Kleiderschrank hat Nelly Harutunyan auf Kredit gekauft und überall stehen Knetfiguren von Milena. Sie stellt unermüdlich Fantasiegestalten mit Greifarmen und wirren Haaren her und schmückt damit die Wohnung. „Ich habe nicht gedacht, dass ich mich hier wohlfühlen kann, aber es ist schon ein wenig wie ein Zuhause“, sagt Nelly Harutunyan. Sogar eine Arbeit hat sie gefunden. Wochenlang war sie durch die Stadt gestreift und hatte eine Stelle als Friseurin gesucht. Dann bot ihr ein Schönheitssalon im Zentrum von Jeghegnadzor einen Job an. Die Kolleginnen erwarten sie dort jeden Tag mit Granatäpfeln, Kuchen und einem Lächeln.
Bildergalerie: Ein Neubeginn für die Flüchtlinge aus der Ukraine

Familie Harutunyan ist vor den russischen Bomben nach Armenien geflohen. Zuvor hatte sie einen Monat lang in einem Schutzkeller in Mariupol ausgeharrt.
© Thomas Einberger

Von der Hilfsorganisation Syunik bekam Nelly Harutunyan das Nötigste: eine Unterkunft, Kleidung, Hygieneartikel und eine Geldkarte zum Einkaufen im Supermarkt.
© Thomas Einberger

Nellys Tochter Milena hat besonders unter den Kriegserlebnissen gelitten. Die Sechsjährige spricht nicht viel. Sie leidet unter einer Form des Autismus.
© Thomas Einberger

Die Mitarbeitenden von Syunik haben für das Mädchen einen kostenlosen Therapieplatz in der Provinzhauptstadt Jeghegnadzor besorgt.
© Thomas Einberger

Logopädin Liana Enyatyan kümmert sich liebevoll um Milena. Mit Lichtspielen gelingt es ihr, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen und sie zu beruhigen.
© Thomas Einberger

Dank großer Eigeninitiative hat Nelly Harutunyan inzwischen auch einen Arbeitsplatz gefunden: Sie arbeitet als Friseurin in einem Schönheitssalon.
© Thomas Einberger

Durch die geleistete Unterstützung hat Syunik den Harutunyans das Ankommen sehr erleichtert. Nun will die Familie wieder auf eigenen Beinen stehen.
© Thomas Einberger
Angekommen in der Fremde
Es liegt immer noch ein weiter Weg vor der Familie. Die Mutter arbeitet sieben Tage in der Woche, Milena freut sich über jedes einzelne Wort, das sie über die Lippen bringt. Noch sind die Harutunyans auf die Unterstützung von Syunik angewiesen. Aber sie denken bereits voraus, wollen auf eigenen Füßen stehen. Nelly Harutunyan möchte noch einmal ganz von vorn anfangen. Die Energie dafür hat sie, weil Syunik ihr das Ankommen erleichtert hat.
Ich spende gegen die Armut in Armenien*
* Wenn mehr Spenden eingehen, als das Projekt benötigt, fließt Ihre Spende in ein anderes Projekt in diesem Bereich.