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Interview: Nicaragua ist ausgeblutet

In Nicaragua festigt das Ortega-Regime seine Macht durch Kahlschlag in der Zivilgesellschaft: Seit 2018 hat es etwa 3.600 NGOs die Legalität entzogen und damit de facto verboten. Einige arbeiten im Exil weiter – wie unsere Partnerin Wendy Flores Acevedo. Die Menschenrechtsanwältin hat im Nachbarland Costa Rica das „Colectivo de Derechos Humanos Nicaragua“ gegründet.

Von Anne-Katrin Mellmann am
Wendy Flores Acevedo, Koordinatorin der Colectivo de Derechos Humanos Nicaragua Nunca Más, bei der 11. Werner Lottje Lecture.

Frau Acevedo, wie erleben Sie das Exil?

Es ist hart. Wir können unsere Heimat nicht besuchen, weil das zu gefährlich ist. Auch im Exil lauern Gefahren durch das Ortega-Regime: der Entzug der Staatsbürgerschaft, Enteignungen in Nicaragua und sogar Angriffe auf Aktivisten in Costa Rica. Dazu kommen psychische Auswirkungen. Es ist schwer zu ertragen, nicht da sein zu können, wenn Angehörige schwer erkranken oder versterben oder wenn ein Kind geboren wird.

Und Sie können Ihre Arbeit in Nicaragua nicht fortsetzen.

Nein, das ist leider unmöglich. Ich habe 16 Jahre lang für die renommierte Menschenrechtsorganisation CENIDH gearbeitet. Als sie Ende 2018 von einem Tag auf den anderen verboten wurde, floh ich mit einigen Kollegen und wenigen Habseligkeiten nach Costa Rica. Wir standen vor dem Nichts. Doch immerhin konnten wir unsere neue Organisation aufbauen und weiterarbeiten, auch dank der Unterstützung von Brot für die Welt.

Können Sie Kontakt in die Heimat halten? Wissen Sie, wie es Ihren Landsleuten geht?

Dank moderner Technologie bekommen wir Nachrichten aus erster Hand. Diejenigen, die noch in Nicaragua sind, leben mit hohen Risiken und Repressionen. Viele bekommen keine Arbeit oder keinen Reisepass, damit sie nicht ausreisen können, Häuser werden von Sicherheitskräften überwacht – die Mechanismen der Unterdrückung sind vielfältig. Das Regime will jegliche Mobilisierung oder Organisation verhindern.

Was können Sie im Exil für die Menschen in Nicaragua erreichen?

Dass die Willkür und der Machtmissbrauch nicht unbemerkt bleiben! Das Regime versucht im Land und international, den Eindruck zu erwecken, alles sei normal. Dagegen wehren wir uns: Wir sind die Stimme derjenigen, die im Land unterdrückt werden. Und wir setzen die Arbeit von CENIDH fort: Beispielsweise haben wir den Fall eines Femizids vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht. CENIDH hatte den Fall schon seit 2010 bearbeitet.

2018 gab es landesweit Proteste. Doch das Regime hat diese brutal niedergeschlagen. Wie hat sich das Land seitdem verändert?

Es ist verstummt. Wir waren mal sehr gastfreundlich und vertrauensvoll im Umgang miteinander. Doch jetzt herrschen vor allem Misstrauen und große Angst: Was kann ich wem sagen, was kann ich überhaupt sagen? Alles kann gefährlich werden. Die wirtschaftliche Situation ist auch schwierig. Viele Unternehmen mussten schließen oder haben das Land verlassen. Internationale Hilfe wurde wegen der schweren Menschenrechtsverletzungen eingestellt und auch weil sich Nicaragua aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zurückgezogen hat. Nicaragua ist eine Diktatur. In einer Diktatur zu leben bedeutet, zum Schweigen gebracht zu sein und mit der Angst zu leben, dass dir keine Institution mehr dabei hilft, deine Rechte zu schützen. Mehr als 700.000 Menschen sind ins Ausland gegangen. Das sind zehn Prozent der Bevölkerung. Das Land ist ausgeblutet. Für die jungen Leute gibt es keine Perspektive: Universitäten wurden geschlossen, viele mussten ihre Ausbildung abbrechen.

Warum gibt es keine neue Revolution, so wie 1979?

Weil die Revolution damals sehr viele Menschenleben gekostet hat. Der Schmerz ist immer noch präsent. Niemand will einen Krieg. Wir wissen, was das bedeuten würde. Und genau darauf setzt das Regime. Die Menschen wissen, dass der einzige Ausweg friedlich und mit demokratischen Mitteln sein kann. Die Opposition ist komplett zerschlagen. Es gibt noch zivilgesellschaftlichen Widerstand, aber seit der Gewalt von 2018 ist er nicht mehr organisiert.

Trotzdem erhält das Ortega-Regime Unterstützung von anderen Staaten in der Region. Wie schätzen Sie das ein?

Lateinamerika erlebt schwierige Zeiten, vor allem Mittelamerika. Es gibt autoritär arbeitende Regierungen, die nicht kritisiert werden wollen und deshalb halten sie sich Nicaragua gegenüber zurück – wenn sie zum Beispiel „Ausländische-Agenten-Gesetze“ einführen, also solche, die der Kontrolle von internationalen NGOs und der Verfolgung der Zivilgesellschaft dienen. Nicaragua ist ein Beispiel dafür, was passiert, wenn es keine sofortige Ächtung von Verstößen gegen internationale Abkommen gibt. Das Land hat sich nicht rechtfertigen müssen und ist ungestraft davongekommen.

Wie sollte international Druck auf Ortega ausgeübt werden?

Nicaragua sollte sich zum Beispiel vor internationalen Gerichten verantworten müssen. Derzeit schottet sich das Regime ab und isoliert sich, denn auf diese Weise kann es überleben. Es hat sich gestärkt und vergiftet inzwischen eine ganze Region.

Gibt es etwas, was Ihnen Hoffnung macht?

Ich glaube an die Widerstandskraft unseres Volkes und an die Kraft der Exilierten. Ganz gleich, wo sie sind, erheben sie ihre Stimme.

 

Wendy Flores Acevedo wird am 25. April im Rahmen der 11. Werner-Lottje-Lecture gewürdigt. Mehr zur Veranstaltung und zur Anmeldung: hier.

 

 

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