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Nachruf auf Dieter Müller

Compañero Dieter, PRESENTE! 40 Jahre Begleitung gesellschaftlicher Transformationsprozesse.

 

Am Samstag, den 12. August 2023, ist Dieter Müller, über 30 Jahre unermüdlicher Mitarbeiter von medico international, Frankfurt und seit einem Jahr Leiter des Regionalbüros der Rosa Luxemburg Stiftung in Mexiko Stadt, unerwartet und überraschend in einem Krankenhaus in Mexiko Stadt gestorben.

 

Von Wolfgang Seiß am
Dieter Müller

Dieter Müller war einer der Menschen, die Bertolt Brecht beschrieb und dessen Text der kubanische Sänger Silvio Rodríguez vertonte:

„Es gibt Menschen, die kämpfen einen Tag
Und sie sind gut
Es gibt andere, die kämpfen ein Jahr lang
Und sie sind besser
Es gibt welche, die kämpfen viele Jahre lang
Und sie sind sehr gut
Aber es gibt diejenigen, die ihr ganzes Leben lang kämpfen
Das sind die Unverzichtbaren“

Bertolt Brecht

 

Teil der internationalistischen Bewegung der achtziger Jahre

In Deutschland war Dieter Müller Teil des solidarischen Internationalismus der 1980er Jahre – in der Solidaritätsbewegung mit Guatemala, einem Land, das von Großgrundbesitzern, Militärs und Priestermördern beherrscht wurde, wo der Volksaufstand auch bewaffnete revolutionäre Bewegungen mit sich brachte, die den bestehenden repressiven Status quo ändern wollten.

In den 80er Jahren Teil der internationalistischen Bewegung zu sein bedeutete, Teil von Protestbewegungen zu sein, auf der Suche nach sozialer Veränderung, gegen Atomkraftwerke, gegen Aufrüstung, für den Frieden, die Besetzung von Gebäuden auf der Suche nach angemessenem Wohnraum, inmitten eines kalten Krieges, der durch Ronald Reagan als Präsident der USA verschärft wurde.

Mit einem Nicaragua, das sich von der Somoza-Diktatur befreite, einem Nicaragua, dessen Erfolg beim Sieg über einen Verbündeten Washingtons zu einem heftigen Krieg gegen die neue Regierung und zur Bildung der „Contras“ durch die CIA führte, die Waffen vermittelte und Routen für den Drogenhandel schuf, auf denen Kokain von Kolumbien in die USA transportiert und Waffen an die Contras geliefert wurden. Die Monroe-Doktrin „Amerika gehört den (Nord-) Amerikanern“ bedeutete die Unterstützung von blutigen Kriegen, Massakern und blutigen Regimen.
 

medico international und die Arbeit zu psychosozialer Begleitung

Als Dieter 1989 seine Arbeit bei medico international in Frankfurt aufnahm, arbeitete diese Organisation bereits mit der österreichischen Psychoanalytikerin Marie Langer zusammen, die vor den faschistischen Regierungen in Österreich und Deutschland und später vor der Militärdiktatur in Argentinien ins Exil gegangen war und in Nicaragua mit einem politischen Ansatz zur psychischen Gesundheit (salud mental) arbeitete.

Er kannte auch die Arbeit des Jesuiten Ignacio Martin Baro, der der Psychologie eine politische und befreiende Vision gab, indem er sich auf die Befreiungstheologie und die Volksbildung (educación popular) von Paolo Freire stützte. Gemeinsam mit seiner Kollegin Usche Merk griffen sie diese Konzepte für die kritische psychische Gesundheitsarbeit von medico international auf und stärkten die Ansätze der psychosozialen Begleitung in Mesoamerika.

1989, als Dieter seine Tätigkeit bei medico international aufnahm, wurde Ignacio Martin Baro in El Salvador zusammen mit fünf weiteren Jesuiten und zwei Mitarbeiterinnen vom Militär ermordet.

Dieser weltpolitische Kontext prägte Dieter als solidarischen Menschen mit einer kritischen Analyse der globalen Unterdrückungsprozesse, vor allem aber richtete er seine Aufmerksamkeit auf Lateinamerika, insbesondere auf Mittelamerika. Er förderte diverse Prozesse in seinen verschiedenen Arbeitsbereichen, reflektierte die gemachten Erfahrungen und war immer bereit zu lernen.

Wir werden ihn immer als einen Kollegen in Erinnerung behalten, der offen für neue Prozesse war, der „denen von unten“ zuhörte und sie begleitete und so zum Aufbau kollektiver Prozesse beitrug.

In den folgenden 30 Jahren übernahm Dieter verschiedene Positionen und Aufgaben bei medico international, u.a. als Projektleiter, Bereichsleiter, fünf Jahre Repräsentant in Nicaragua, drei Jahre Repräsentant in Palästina und Verantwortlicher für den thematischen Bereich Global Health.
 

Nicaragua und Kritik an der internationalen Linken

Sehr treffend schätzte er die Entwicklung der Situation in Mittelamerika und insbesondere in Nicaragua ein, wo sich die neue Diktatur von Daniel Ortega bereits vor dem Aufstand 2018 und der anschließenden Repression abzeichnete.

In einem Interview mit medico international im Jahr 2022 („Solidarität muss kritisch bleiben“) reflektierte Dieter auch die eigene Verantwortung: Wir müssen eine tiefgreifende Reflexion darüber führen, was kritische Solidarität aus linker Sicht bedeutet. Eine falsch verstandene Nachgiebigkeit gegenüber linken Regierungen oder solchen, die sich als links bezeichnen, halte ich für einen Fehler. Die internationale Linke hätte schon in den 80er Jahren klarer zu Nicaragua Stellung beziehen müssen, z.B. in Fragen der Frauenrechte, aber auch der politischen Partizipation und der Rechte ethnischer Minderheiten. Es ist auch sehr wichtig, dass es Akteure gibt, die das Handeln der Linken in der Regierung solidarisch, aber auch kritisch begleiten. Deshalb muss die Hauptkritik an uns als internationale Linke gerichtet werden: Wir machen oft einfach die Augen zu. Angesichts unserer Unfähigkeit, hier im Globalen Norden etwas zu verändern, projizieren wir viele unserer Wünsche auf andere Länder: Wenn dort die Befreiung stattfindet, unterstützen wir sie. Deshalb muss die Frage nach den Fehlern der Sandinisten notwendigerweise mit der Frage nach unseren eigenen Fehlern einhergehen.“
 

Rückkehr in die Region Mesoamerika

Als er 2022 die Leitung des Regionalbüros der Rosa Luxemburg Stiftung in Mexiko übernahm, verließ er medico international nach vielen Jahren und entschied sich, in die mesoamerikanische Region zurückzukehren. Eine Region, die sich seit den 1980er und 1990er Jahren sehr verändert hatte.

Er machte sich sofort wieder an die Arbeit – etwas, das ihn schon immer auszeichnete, oft über das hinaus, was für seine Gesundheit gut gewesen wäre. Er besuchte Partner in der Region, um weiter zuzuhören und darüber nachzudenken, was getan werden muss, immer auf der Suche nach Wegen der Hoffnung.

Bei einem Treffen mit dem kolumbianischen Hochkommissar für Frieden im Januar 2023 in Mexiko Stadt interessierte er sich für die Konzepte des „totalen Friedens“ der „alternativen“ Regierung von Petro inmitten der regionalen Narcopolitik und fragte, was dies für Kolumbien und andere Länder bedeutet.

Im April 2023 begrüßte Dieter die Verhaftung von Oberst Garay Saravia vom Atlacatl-Bataillon in El Salvador – einer blutrünstigen, von den USA ausgebildeten Einheit, die direkt für das Massaker von El Mozote im Jahr 1981 verantwortlich war, bei dem mehr als 1.000 Zivilisten massakriert wurden. Dieter fragte aber auch nach der Verantwortung der USA und der damaligen deutschen Regierung, die versucht haben, die Wahrheit zu vertuschen.
 

Viele von uns waren sehr froh, dass er in einer Zeit anwesend war, in der wir genauer nachdenken und analysieren müssen. Um vermeintlich funktionale Konzepte zu vertiefen und Konzepte zu hinterfragen, die behaupten, psychosozial zu sein, denen es aber an transformativen Visionen fehlt.

Vor allem aber wussten wir, dass Dieter nicht nur mit seiner Erfahrung, sondern auch mit seiner freundlichen, bescheidenen und zugewandten Art bereits ein verbündeter Freund in schwierigen Zeiten war.

Bei all diesen Diskussionen, Überlegungen und vielem mehr vermissen wir Dieter.

Und wir vermissen ihn als einfühlsamen, bescheidenen, liebevollen und fürsorglichen Menschen.

Lebe wohl, Compañero Dieter!

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Lachender Junge

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