Interview

„Die Menschen reagieren sehr unterschiedlich.“

Von Kiew aus trainiert die Psychologin Oksana Khmelnytska Spezialistinnen und Spezialisten darin, traumatisierte Menschen an der Grenze zu Russland zu betreuen. In der aktuellen Krise beobachtet sie, dass viele Menschen nach acht Jahren Dauerkrise so zermürbt sind, dass sie über ihre Lage gar nicht mehr sprechen wollen.

Von Kai Schächtele am
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Die Initiatorin und Leiterin des Mental Health Service Oksana Khmelntytska

Frau Khmelnytska, wie erleben die Menschen in der Ukraine die aktuelle Bedrohung und wie gehen sie damit um?

Mit der Bedrohung leben wir seit acht Jahren. Zu Beginn dieses Jahres hat sich die Situation zugespitzt. Man merkte das auch in den Medien und den sozialen Netzwerken. Alle haben sich gefragt: Was erwartet uns und wie können wir reagieren? Aber seit einer Woche hat sich die Lage beruhigt.

Warum?

Mit der schriftlichen Antwort des US-Präsidenten Joe Biden an den russischen Präsidenten Wladimir Putin sind die Angst und die Unruhe nicht mehr ganz so groß (Anmerkung der Redaktion: US-Präsident Joe Biden erklärte in einem Schreiben an Putin eine der zentralen Forderungen Russlands – das Ende der Nato-Osterweiterung – für inakzeptabel). Alle warten jetzt ab, was passiert.

Aber die Gefahr eines Kriegs besteht doch nach wie vor.

Die Menschen reagieren sehr unterschiedlich. Die einen packen ihre Taschen und erarbeiten Fluchtpläne. Andere warten ab. Es weiß ja niemand, was uns bevorsteht. Kommt die Gefahr aus dem Osten oder aus dem Norden? Wird Kiew eingeschlossen? Wohin soll man dann fliehen? Solche Gespräche führen wir gerade. Währenddessen hat die Armee versprochen, uns zu verteidigen, und zählt gerade ihre Veteranen und Menschen mit Kriegserfahrung.

Zwischen Ihnen und der Ostukraine liegen 800 Kilometer. Wie nehmen die Menschen dort die aktuelle Situation wahr?

Sie wollen darüber nicht sprechen. Sie haben schon genug ausgehalten und sehen keinen Nutzen darin, weiter darüber zu diskutieren. Es ist für sie unerträglich und sie warten ab. Sie wissen auch, dass sie direkt an der Frontlinie umgeben sind von der ukrainischen Armee und Minen, die überall ausgelegt sind. Vielleicht sind sie sogar in einer besseren Lage als wir in Kiew.

Warum?

Dort gibt es schlicht mehr militärische Kräfte als an anderen Grenzen, etwa im Norden nach Belarus oder im Westen. Das sind von hier aus auch nur 150 Kilometer.

Wie können Sie aktuell helfen?

Wir bieten mit der Unterstützung von Brot für die Welt weiter Traumatherapie-Ausbildungen an für Betroffene von Konflikten im Osten der Ukraine. Jetzt weiten wir die Arbeit auf Belarus aus. Dort arbeiten wir mit den Opfern von Folter und Inhaftierungen nach den Demonstrationen im vergangenen Jahr. Und wir werden auch Menschen aus Belarus in Traumabehandlung ausbilden. Trainerinnen und Trainer aus Österreich kommen nach Kiew, die Psychologinnen und Psychologen weiterbilden.

Im Moment reisen viele Staatschefs und Ministerinnen und Minister nach Kiew, Moskau und Washington. In Deutschland gibt es heftige Debatten um die Haltung der Bundesregierung zu Waffenlieferungen und der Gaspipeline Nord Stream 2. Wie erleben Sie diese Diskussionen?

Deutschland ist hier wenig sichtbar. Dafür ist der französische Präsident Emmanuel Macron überall in den Medien und im Internet, zum Beispiel mit Persiflagen auf den riesigen Tisch, an dem er mit Putin saß. Auch die Aussagen aus Washington werden genau wahrgenommen.

Haben Sie selbst konkret Angst vor einem Krieg?

Nein. Ich lebe in der Nähe des Flughafens, der wahrscheinlich ein erstes Ziel von Raketen wäre. Ich lebe in einem Haus, in dem wir in den Keller gehen können. Ich habe eher Angst vor der Kälte, wenn der Strom ausfällt, und davor, dass uns das Wasser ausgeht. Was ich aber genau weiß: Wir werden nicht tatenlos zusehen, sondern uns verteidigen.

Und was tun Sie, um psychisch stabil zu bleiben?

Ich mache zweimal in der Woche Yoga, gehe zum Tanzen und spazieren mit meinem Hund. Außerdem habe ich eine Notfall-Liste abgearbeitet dazu, wie man sich in einer solchen Krise verhalten soll: Ich habe Wasser gelagert, Geld von meinem Konto abgehoben und mein Auto ist immer vollgetankt. Und ich habe verschiedene Medikamente gekauft wie Antibiotika oder Schmerztabletten. Mehr kann ich nicht tun.

 

Oksana Khmelnytska, 50, ist eine der Initiatorinnen und Leiterin des Mental Health Service. Der Berufsverband bildet von Kiew aus über das Internet Spezialistinnen und Spezialisten aus, die in der etwa 800 Kilometer entfernten Ostukraine psychologische Betreuung leisten. Einer der Schwerpunkte ist therapeutische Arbeit mit jenen, die durch Krieg, Folter, Flucht, Spaltung und die anhaltende Krise traumatisiert sind.

Unsere Schwesterorganisation Diakonie Katastrophenhilfe sammelt Spenden, um den Menschen in der Ukraine in der größten Not zu helfen. Hier können auch Sie spenden.

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Lachender Junge

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