Interview

„Die Ernährungssysteme müssen reformiert werden“

Dürren, die Pandemie und Konflikte lassen die Zahl der akut von Hunger bedrohten Menschen dramatisch steigen. Am 18. Juli trifft sich der Welternährungsrat, um Lösungen für die sich verschärfende Ernährungskrise zu finden. Warum die Konferenz wichtig ist und was von ihr zu erwarten ist, darüber haben wir mit unserer Ernährungssicherheits-Expertin Dr. Ingrid Jacobsen gesprochen.

Von Redaktion am
Dürre Afrika

Am 18. Juli trifft sich der Welternährungsrat, um Lösungen für die sich verschärfende Ernährungskrise zu finden.

Frau Jacobsen, wir leben in einer Zeit der Superlative. Der jüngste ist: Die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze sagt, es drohe die schwerste Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg. Wie sehen Sie das?

Die Welternährungslage spitzt sich tatsächlich dramatisch zu. Die Hungerzahlen steigen aber nicht erst seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine an, sondern bereits seit 2015. Nach den Erhebungen des Welternährungsberichtes der Vereinten Nationen ist seit dem Ausbruch der COVID - Pandemie 2019 die Zahl der Hungernden um 150 Millionen auf 828 Millionen gestiegen. 2020, also schon vor dem Krieg, konnten sich 3,1 Milliarden Menschen aufgrund der immensen Steigerungen der Lebensmittelpreise keine gesunde Ernährung mehr leisten. In diesen Zahlen sind die Folgen des russischen Angriffs auf die Ernährungslage aber noch gar nicht erfasst. Es wird in nächster Zeit noch viel massivere Verwerfungen geben. Treiber der Ernährungskrise sind bewaffnete Konflikte, der Klimawandel und der Zusammenbruch der Nahrungsmittellieferketten. Die darunterliegenden Ursachen sind aber weit komplexer.

Inwiefern?

Die Ursachen der Ernährungskrise liegen in unseren Ernährungssystemen, die dringend reformiert werden müssen. Es ist ja so: Die weltweite Nahrungsmittelproduktion reicht trotz vieler Krisen immer noch aus, um die Menschheit gesund zu ernähren. Das Problem ist: Unsere Ernährungssysteme setzen einseitig auf Produktionssteigerungen und Freihandel und berücksichtigen nicht, dass die meisten Menschen, die hungern, schlicht zu arm sind, um sich gesund ernähren zu können.

Was muss getan werden, um dem entgegenzuwirken?

Kurzfristig muss die Nahrungsmittelnothilfe massiv aufgestockt werden, damit jetzt nicht viele Menschen verhungern oder an Schwäche sterben. Zudem sollten Nahrungsmittelspekulationen eingedämmt werden. Mittelfristig müssen von Armut betroffene Menschen über soziale Sicherungssysteme abgesichert werden. Längerfristig kann die Ernährung aber nur über mehr Ernährungssouveränität und eine agrarökologisch ausgerichtete Nahrungsmittelproduktion erreicht werden, um die Abhängigkeit des Globalen Südens von Nahrungsmittelimporten, Dünger und Pestiziden zu minimieren.

Das sind sicherlich auch Themen, die am 18. Juli beim Committee of World Food Security (CFS), dem Welternährungsrat, besprochen werden. Was bringt die Konferenz in dieser akuten Lage?

Dieses Treffen ist wichtig, um eine koordinierte politische Antwort auf die gegenwärtige Ernährungskrise zu finden. Und zwar eine Antwort, die nicht nur auf Produktionszuwächse und Freihandel setzt, sondern die Ursachen der Ernährungskrise in den Blick nimmt.

Was ist das Besondere am Welternährungsrat und wie setzt er sich zusammen?

Der Welternährungsrat ist durch die Vereinten Nationen beauftragt, die globalen Bemühungen zur Hungerbekämpfung und zur Durchsetzung des Menschenrechtes auf Nahrung zu koordinieren. Er setzt sich aus den Regierungen von 130 UN-Mitgliedsstaaten mit Stimm- und Entscheidungsrecht und einem Beratergremium zusammen. Im Beratergremium sind UN-Organisationen, UN-Forschungseinrichtungen, der Finanzsektor, die Privatwirtschaft, die Zivilgesellschaft und der UN-Sonderberichterstatter zum Recht auf Nahrung vertreten. Die Stärke dieses Gremiums liegt darin, dass von Ernährungsproblemen Betroffene sich über einen zivilgesellschaftlichen Mechanismus sehr gut Gehör verschaffen können. Gegenwärtig verfügt nur der Welternährungsrat über ein eindeutiges politisches Mandat, die erforderliche Expertise und die Repräsentanz aller Akteure, um kurzfristig erfolgreich zu intervenieren und langfristig die Neuaufstellung unserer Ernährungssysteme zu erreichen.

Haben Sie den Eindruck, dass die Politik dem CFS die Bedeutung einräumt, die ihm zusteht?

Leider nicht. Anstatt den inklusiven Welternährungsrat zu nutzen, um eine systemische Antwort auf die Ernährungskrise zu entwickeln, wurde im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft die „Global Alliance for Food Security (GAFS)“ gegründet. Mit dieser sollte ein schlagkräftiger „Zusammenschluss der Willigen“ geschaffen werden, um eine schnelle Antwort auf die gegenwärtige Krise zu koordinieren. Diese Allianz wäre ein Erfolg, wenn sie unter die Führung des Welternährungsrates gestellt und um finanzstarke Akteure wie die Weltbank ergänzt worden wäre. In ihrer gegenwärtigen Ausführung bildet sie jedoch eine Parallelstruktur zum Welternährungsrat, die offen ist für die verschiedensten Lobbyinteressen, ohne dass die Betroffenen Gehör finden. Sie setzt erneut auf Produktionssteigerungen und Stärkung des Freihandels, obwohl es vor allem Marktversagen ist, welches zur gegenwärtigen Ernährungskrise geführt hat. Das oft bemühte Einstein-Zitat, dass man „Probleme niemals mit derselben Denkweise lösen kann, durch die sie entstanden sind“ erfährt hier eine besondere Aktualität.

Was muss aus ihrer Sicht geschehen?

Brot für die Welt und seine Partner aus dem Globalen Süden fordern schon lange, dass der Welternährungsrat die Koordination der internationalen Bemühungen zur Überwindung der Ernährungskrise übernehmen muss. Deshalb ist dieses Treffen so wichtig. Ziel der Konferenz am 18. Juli ist es, gemeinsam mit einer Kriseninterventionsgruppe, der „UN Global Crisis Response Group on Food, Energy and Finance“ eine Antwort auf die Krise zu finden. Aufgrund der Inklusivität dieses Gremiums besteht hier die Möglichkeit, wirksame und nachhaltige Antworten auf die wachsenden Ernährungsprobleme zu liefern. Langfristig birgt diese Krise auch Chancen für eine Umstellung unserer Ernährungssysteme in Richtung ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Idealerweise sollte die Konferenz die Ernährungssouveränität der Länder des Globalen Südens zur Grundlage ihrer Diskussionen machen und das international verbriefte Recht auf Nahrung zum Ausgangpunkt aller weiteren Überlegungen nehmen.

Brot für die Welt beobachtet und begleitet Konferenzen wie diese seit Jahren. Was ist der Mehrwert?

Konferenzen sind wichtige Orte für eine gegenseitige Vernetzung. Bei den jährlichen Zusammenkünften des Welternährungsrates bietet sich für Konferenzteilnehmer und -teilnehmerinnen zudem die Möglichkeit, ihre Anliegen in selbstorganisierten Veranstaltungen einer größeren Öffentlichkeit darzulegen und zu diskutieren. Im Rahmen des zivilgesellschaftlichen Beteiligungsmechanismus können Forderungen an das Plenum des Welternährungsrates gestellt und dort diskutiert werden. Im Welternährungsrat werden zudem politische Leitlinien zu Themen wie die Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung oder die Nutzung von Land- und Fischereiressourcen erstellt. Brot für die Welt ermöglicht die Teilnahme von Partnern aus dem Globalen Süden und verhilft ihnen zu einer Stimme in diesen wichtigen Foren. Gemeinsam werden Positionen erarbeitet und eingebracht.

Sehen Sie Fortschritte?

Veränderungen in komplexen Bereichen wie Ernährungssystemen brauchen Zeit. Wichtig ist, dass sie überhaupt angestoßen und dann nachverfolgt werden. Konferenzen wie die Treffen des Welternährungsrates sind wichtige Plattformen dafür. Viele Positionen unserer Partner aus dem Globalen Süden haben jetzt Eingang in den letzten Welternährungsbericht der Vereinten Nationen gefunden. Dieser gibt einen klaren politischen Handlungsauftrag, der darin besteht, in der Agrarpolitik und in der Sozialpolitik endlich umzusteuern. So empfiehlt er, Agrarsubventionen, die gegenwärtig hauptsächlich in Grundnahrungsmittel wie Reis, Zucker und in die Produktion von tierischen Eiweißen fließen, in gesündere Produkte wie Obst und Gemüse umzulenken. Die Klimabilanz, Artenvielfalt und Umweltfolgen sind bei Subventionen mitzudenken. Agrarproduktion und Transport müssen zunehmend von fossiler Energie entkoppelt werden. Der Bericht betont zudem die Bedeutung von sozialen Sicherungssystemen für die Ernährungssicherung insbesondere von Frauen und Kindern.

 

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