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Herausforderungen nachhaltiger Urbanisierung

Um die globalen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 zu erreichen, müssen Prozesse der Urbanisierung und der Entwicklung in den Städten sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltig gestaltet werden.

 

Von Dr. Luise Steinwachs am
Supermarkt in Njombe

© Christof Krackhardt

Die Urbanisierungsprozesse der letzten Jahre haben dazu geführt, dass heute mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt. 1980 waren es 38,6%. Es wird erwartet, dass 2050 ca. zwei Drittel der Menschen in Städten leben. Knapp 90% dieses Wachstums finden in Afrika und Asien statt, was massive Auswirkungen auf den peri-urbanen und ländlichen Raum hat.

Das Wachstum ergibt sich durch Zuwanderung aus ländlichen Regionen und durch das Wachstum einer Stadt aus sicher heraus. Die Migration in städtische Räume hält unvermindert an. Insbesondere für Frauen ist die Perspektive städtischen Lebens oft mit der Hoffnung verbunden, aus repressiven Geschlechterverhältnissen herauszukommen.

Nur 20% der städtischen Bevölkerung lebt in Ballungsgebieten mit mehr als 5 Mill. Einwohnern. Die Hälfte der Stadtbevölkerung weltweit lebt in Städten mit weniger als 500.000 Einwohnern. Die UN-Welternährungsorganisation FAO spricht daher von einem „Land-Stadt-Spektrum“, das von Megastädten über große regionale Zentren, Marktstädte bis zu ländlichen Gegenden reicht. Bereits in der im Habitat-Prozess der Vereinten Nationen verabschiedeten New Urban Agenda (2016) heißt es „räumliches Kontinuum vom Land bis zur Stadt“.

Viele Menschen leben in multilokalen Haushalten, die eine Verbindung von Stadt und Land umfassen, und die z.B. durch verwandtschaftliche Netzwerke oder die Art der Beschäftigung aufrechterhalten werden. Ein Teil der städtischen Bevölkerung lebt neben städtischem zusätzlich vom Einkommen aus eigener, meist saisonal organisierter, ländlicher landwirtschaftlicher Tätigkeit. Die Corona-Pandemie brachte deutlich ins Bewusstsein, dass viele Menschen, die in Städten leben, ihre Lebensgrundlagen nach dem Zusammenbruch von existenzsichernden Einkommensmöglichkeiten in der Stadt auf dem Land suchten.

Der Fokus der Entwicklungszusammenarbeit sollte darauf gelegt werden, eine integrierte Entwicklung zu fördern und die überkommene Dichotomie zwischen Stadt und Land aufzuheben.

 

1. Einkommen, Armut und das Recht auf Wohnen

Das Städtewachstum geht mit einer deutlichen Zunahme von Armut einher. Armut, Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung zeigen sich zunehmend als städtische Probleme, da die städtische Bevölkerung weltweit zunimmt. Durch das schnellere Anwachsen der absoluten Zahl von Menschen, die in Städten leben, verschiebt sich auch der Anteil der in Armut lebenden Menschen an der Gesamtbevölkerung hin zu städtischer Armut.

Aktuell leben 24% der städtischen Bevölkerung weltweit in sogenannten Slums. Von den derzeit 40% der Bevölkerung Afrikas, die in Städten leben, wohnen 50 – 60% in als slums bezeichneten informellen Siedlungen mit extrem schlechten Lebensverhältnissen. Weltweit wohnen mehr als eine Milliarde Menschen in beengten Verhältnissen, provisorischen Behausungen, ohne ausreichende Wasserversorgung, Sanitäranlagen und Müllabfuhr. Wenn nicht aktiv Verbesserungen wirksam werden, sind es am Ende der Agenda 2030 drei Milliarden Menschen. Gekennzeichnet ist diese Situation durch geringes und unregelmäßiges Einkommen und den fehlenden Zugang zu Ressourcen und Dienstleistungen. In vielen Armutsvierteln herrschen äußerst schlechte Umwelt- und Lebensbedingungen. Gerade diese städtische Bevölkerung, die in slums und unter beengten und gesundheitsschädigenden Verhältnissen lebt, ist besonders von der Corona-Pandemie betroffen.

In informellen Siedlungen leben viele Menschen ohne Wohnrechte, Landbesitz oder Eigentumstitel und ständig in der Gefahr, vertrieben zu werden. Häufig werden ganze Wohnviertel zerstört für Infrastrukturprojekte, Straßen und Autobahnen, für den Bau teuren Wohnraums oder auch für Maßnahmen zum Schutz vor klimabedingten Katastrophen. Menschen werden an die Stadtränder vertrieben, verlieren ihr Eigentum und haben dann sehr lange Wege zurück zu legen zur Arbeit oder für soziale Dienstleistungen. Auch steigende Mieten drängen ärmere Bewohner an den Rand der Städte. Der Ruf auch lokaler Regierungen nach privatem Geld für die Verbesserung der Lebensverhältnisse führt nicht selten zu Vertreibung der Menschen, die in informellen Siedlungen leben, und einem dann folgenden „up-grading“ von Stadtvierteln durch den profitablen Bau teurer Wohnhäuser. Informelle Siedlungen verschieben sich so aus dem Zentrum - das einst selbst am Stadtrand lag - an den neu entstehenden Rand der Städte mit allen damit verbundenen Nachteilen.

Arme städtische Bevölkerung lebt in informellen Siedlungen nicht nur in Abwesenheit städtischer Institutionen (häufig auch in Abwesenheit städtischer Polizei und damit fehlender Sicherheit), sondern auch mit fehlenden Aufstiegschancen und mangelnden Beteiligungsmöglichkeiten am politischen und wirtschaftlichen Leben. Viele der zumeist jungen Menschen in informellen Siedlungen haben keine gute schulische oder berufliche Ausbildung, die ihnen ein Einkommen sichern würde, und auch kaum Zugang zum formellen Arbeitsmarkt.

Da eine große Zahl von Menschen nicht registriert ist, fehlen ihnen Zugänge zu staatlichen Institutionen wie sozialen Sicherungssystemen. Eine solche Situation chronifiziert Armut über viele Generationen. Dem gegenüber sind die Lebenshaltungskosten hoch. Für ihr Einkommen müssen immer mehr Menschen als Tagelöhner oder Saisonkräfte arbeiten, oft ohne jegliche soziale Sicherung. Auch hängt die Ernährungssituation stark von der finanziellen ab. In vielen Ländern geben extrem arme Haushalte mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Ernährung aus.

  • Armut, soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten in und zwischen städtischen und ländlichen Räumen müssen verringert und stabile regional verankerte Stadt-Land-Beziehungen etabliert werden.
  • Die gesamte städtische Bevölkerung muss Zugang zu sozialen Dienstleistungen, zu angemessener Gesundheitsversorgung, Bildung und zu sozialen Sicherungssystemen haben. Die Versorgung mit Wasser, Strom, Energie, Sanitärversorgung und angemessenem Wohnraum muss für alle gesichert sein. Dies sind die Voraussetzungen, für existenzsichernde Einkommen und für wirtschaftliche, politische und soziale Teilhabe.


2. Ernährungssicherung

Typisch für das Leben in der Stadt ist, dass die Bevölkerung in besonderem Maße von Marktpreisen für Nahrungsmittel und andere Gütern des täglichen Grundbedarfs abhängig ist. Ein finanzielles Einkommen ist vor allem in der Stadt eine wichtige Voraussetzung für den Zugang zu gesunder Nahrung. Selbstversorgung, beispielsweise durch eigenen Anbau in der Stadt, kann meist nur einen Teil des Bedarfs decken, zumal die städtische Bevölkerung größtenteils einer nicht landwirtschaftlichen Beschäftigung nachgeht und in prekären Arbeitsverhältnissen mit hoher Wochenarbeitszeit oft kaum Zeit für den eigenen Anbau hat.

Städte werden gegenwärtig noch immer mehrheitlich durch ländliche Nahrungsmittelproduktion versorgt, wobei der Anteil der industriell produzierten und durch Nahrungsmittelkonzerne verarbeiteten Nahrungsmittel zunimmt. Die städtische Bevölkerung kauft sowohl auf Märkten, auf denen Produkte aus regionaler bäuerlicher Produktion angeboten werden, als auch in Supermärkten. Über informelle Märkte versorgt sich besonders die arme städtische Bevölkerung mit frischen Produkten.

Vor allem die arme Bevölkerung ist den Folgen von Preissteigerungen für Lebensmittel besonders stark ausgesetzt. Wenn die Nahrungsmittelpreise ansteigen, wird auch an der Qualität und Vielfalt der Nahrungsmittel gespart. Der Rückgriff auf industriell erzeugte billige Produkte führt oft zu Fehl- und Mangelernährung. Die großen Nahrungsmittelkonzerne bewerben besonders in armen Ländern importierte und stark verarbeitete Produkte, weil diese vermeintlich hochwertiger, moderner und gesünder sind als herkömmliche lokale Nahrungsmittel. Die weltweite Expansion der großen Supermarktketten verdrängt oft die informellen lokalen Märkte, auf denen landwirtschaftliche Betriebe aus dem Umland die Produkte anbieten, die den formalen Standards der großen Supermärkte bezüglich Größe oder Aussehen nicht genügen.

Damit kleinbäuerliche Betriebe für ihre regional angebauten frischen Lebensmittel Abnehmer finden, muss der Einfluss der großen Konzerne auf die gesamte Nahrungsmittelkette zurückgewiesen und bäuerliches Engagement gefördert werden. Verlässliche und faire Liefer- und Wertschöpfungsketten sind nötig, um die Nachfrage in den Städten und die Versorgung aus den ländlichen Regionen zu verbinden. Es ist darum dringend geboten, dem Verlust der Souveränität der lokalen Bevölkerung über die natürlichen Ressourcen wie Land, Wasser, Saatgut und Betriebsmittel entgegen zu wirken.

Territoriale Versorgungssysteme streben an, den Nahrungsmittelbedarf der wachsenden Städte durch eine Nahrungsmittelproduktion im weiteren Umland zu sichern. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie die ganze Lieferkette von der Nahrungsmittelproduktion, ihrer Veredelung, ihrem Transport und ihrer Vermarktung in die Städte berücksichtigen und der Vielfalt der daran beteiligten Akteure Rechnung tragen. Mit einem holistischen Ansatz zielen sie darauf ab, sowohl die ökonomische und soziale Situation der Nahrungsmittelproduzierenden zu verbessern als auch die Versorgung der Stadtbevölkerung mit frischen und reichhaltigem Essen auszubauen.

Zentral dabei ist, dass die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ihren Zugang zu produktiven Ressourcen wie Agrarland, Wasser und angepasstes Saatgut erhalten beziehungsweise ausbauen können. Dieser Zugang muss durch ein umfangreiches Paket aus Agrarberatung, der Vermittlung von Techniken über die Veredelung und Konservierung von Lebensmitteln und des Wissens über eine gewinnbringende Vermarktung flankiert werden. Zudem ist der Ausbau der Transportinfrastruktur und der Kühl- und Lagermöglichkeiten für Lebensmittel entlang der gesamten Wertschöpfungskette erforderlich. Armutsorientiert und inklusiv gestaltet können agrarische Wertschöpfungsketten, Lebensmitteltransporte und Produktveredelung Einkommensmöglichkeiten – insbesondere für junge Menschen – schaffen und die ländlichen Räume wirtschaftlich stärken.

  • Städtische Versorgungssysteme wie eine öffentlich zugängliche Lagerhaltung und hygienische Standards müssen gefördert werden ebenso wie lokale Märkte, Produktion und Handel, etwa durch das Bereitstellen von Mikrokrediten und anderen Finanzinstrumenten. Eine bessere ländliche Infrastruktur einschließlich des Zugangs zu sauberem Wasser, Kühlung und angepasster Verpackung sowie sichere Transportmittel und -wege sind notwendig, um Ernteverluste zu verhindern und die Versorgung der Städte mit frischen Produkten zu gewährleisten.
  • Die fortschreitende „Supermarketisierung“ muss aufgehalten werden. Der Erhalt von Stadtteilmärkten ist ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Armut, Hunger und Mangelernährung und trägt zu einem vielfältigen Angebot und zur Einkommenssicherheit von bäuerlichen Familienbetrieben bei.
  • Politischer Gestaltungsspielraum sollte genutzt werden, um eine positive Rückkopplung zwischen Versorgung in der Stadt und ernährungssicherndem Einkommen auf dem Land zu bewirken.
  • Nutzungskonflikte um Land und Wasser müssen gelöst, informelles Stadtwachstum und Zersiedlung müssen verhindert und Ökosysteme und Stoffkreisläufe erhalten werden, um eine treibhausgasneutrale Stadtentwicklung zu sichern.

(Stellungnahme von Brot für die Welt anlässlich der 67. Sitzung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am 16. Dezember 2020 zum Thema "Urbanisierung in Afrika - Herausforderungen für die Entwicklungszusammenarbeit")

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