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Eine Frage der Gerechtigkeit

Die Pandemie hat die Dominanz der Digitalkonzerne in den Ländern des Globalen Südens verschärft. Ihnen droht ein digitaler Kolonialismus. Die Bundesregierung muss sich auf Augenhöhe mit den Entwicklungsländern für digitale Souveränität einsetzen und sie beim Aufbau einer eigenständigen Digitalwirtschaft unterstützen.

Von Sven Hilbig am
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Dank der Digitalisierung entfalten sich in vielen Entwicklungsländern zahlreiche innovative Projekte. Sie helfen, die Lebensverhältnisse der Menschen konkret vor Ort zu verbessern. Die App „Plantix“ ist nur eines von vielen Beispielen. Der mobile „Pflanzendoktor“ ermöglicht die Analyse von Pflanzenschädigungen und gibt zugleich Behandlungstipps, um die Ernteerträge der Bauern sicherzustellen. Digitale Lösungen haben oftmals den Vorteil, dass sie passgenauere Antworten auf die Probleme der Menschen bieten. Außerdem erreichen sie Menschen, die bisher oft außerhalb des Radius von Bildungs- oder Gesundheitsangeboten leben. So führen sie zu einem demokratischeren Zugang zu Bildung und manchen Dienstleistungen wie etwa mobilen Bezahlsystemen.

Ob diese zahlreichen innovativen Ansätze genügen, um langfristig auch in der Fläche die breiten Bevölkerungsschichten zu erreichen und zu verbessern, ist hingegen fraglich. Nicht nur der Entwicklungsbericht der Weltbank ‚Digital Dividends‘ macht skeptisch. Demnach kommen die Vorteile des digitalen Wandels vor allem den Wohlhabenden und gut Ausgebildeten zugute. Hauptursache hierfür ist zum einen die digitale Kluft. Weit über drei Milliarden vornehmlich im Globalen Süden lebende Menschen haben nach wie vor keinen Internetanschluss. Zum anderen fehlt es an ordnungspolitischen Maßnahmen auf globaler Ebene, um benachteiligte Gesellschaften zu befähigen, vom digitalen Wandel zu profitieren.

Gegenwärtig entfallen auf fünf US-amerikanische (Amazon, Apple, Facebook, Google, Microsoft) und zwei chinesische (Alibaba, Tencent) Digitalkonzerne fast 70 Prozent des Marktwertes der Plattformen-Ökonomie (UNCTAD, 2018). Weitere 20 Prozent teilen sich mittelgroße Plattformen, die ebenfalls ihren Sitz in den USA oder China haben. 191 Staaten müssen sich demgegenüber mit lediglich zehn Prozent begnügen. Die Corona-Krise hat diese Ungleichheiten nicht etwa gemindert, sondern sogar verschärft. Die Mehrheit der Entwicklungs- und Schwellenländer konnte nicht vom Digitalisierungsschub profitieren, der durch den Lockdown ausgelöst wurde. Das zeigt eine Analyse der UN-Wirtschaftskommission für Afrika am Beispiel des afrikanischen Kontinents. Sollte es uns nicht gelingen, die Konzentration von Daten, Macht und Kapital in der Hand weniger Digitalkonzernen aufzubrechen, droht den Entwicklungs- und Schwellenländern ein digitaler Kolonialismus.

Digitale Souveränität und Entwicklung: Zwei Seiten derselben Medaille

Seit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Digitalgipfel 2019 in Dortmund erklärte, Daten seien unser höchstes Gut und Europa müsse sich für mehr digitale Souveränität einsetzen, hat die Vision eines Dritten Weges (in Abgrenzung zu den USA und China) stark an Attraktivität gewonnen: Die Idee einer breiten gesellschaftlichen Beteiligung an der Wertschöpfung aus Daten erfreut sich inzwischen großer Beliebtheit.

Diese Vision darf aber nicht nur Deutschland und der EU vorbehalten bleiben. Vielmehr sollte der Grundsatz gelten: Was den Industrieländern recht ist, sollte den Ländern des Globalen Südens billig sein. Die Gesellschaften im Globalen Süden leiden, mehr noch als die EU, unter der Dominanz chinesischer und US-amerikanischer Plattformen und ‚Datamining‘. Langfristig werden diese Länder nur dann vom digitalen Wandel profitieren, wenn sie im Rahmen dieses Prozesses ihre Chancen auf gesellschaftliche und ökonomische Teilhabe erhöhen. Datensouveränität kommt dabei eine ganz besondere Bedeutung zu. Sie gibt ihnen die Möglichkeit, eine eigene, auf ihre lokalen und nationalen Bedürfnisse ausgerichtete digitale Wirtschaftspolitik zu gestalten.

Vor diesem Hintergrund sollte die EU sich zukünftig, gemeinsam und auf Augenhöhe mit Regierungen aus dem Globalen Süden, für digitale Souveränität und Datenhoheit einsetzen. Wenn Daten das Rohöl des 21. Jahrhunderts sind, dann dürfen wir mit Blick auf den Globalen Süden die Fehler der Vergangenheit (Rohstofflieferant hier, Wertschöpfung dort) nicht wiederholen.

Bedauerlicherweise werden die Herausforderungen, vor denen die Länder des Globalen Südens stehen, von keiner der relevanten Parteien in ihren Wahlprogrammen adressiert. Der Themenkomplex digitale Entwicklungszusammenarbeit wird kaum erwähnt. Hauptursache: Auch im Jahre 2021 geht ein Riss durch die Parteien. Die jeweiligen Digitalisierungsexpert:innen interessieren sich nicht für Entwicklungszusammenarbeit - und die Abgeordneten, die zu Entwicklungsfragen arbeiten, zeigen wenig Interesse am digitalen Wandel.

Forderungen an eine zukunftsfähige Digitalisierung

Deutschland sollte die Vision von digitaler Souveränität nicht auf Europa beschränken, sondern als eine globale Gestaltungsaufgabe betrachten. Deshalb fordern wir im Interesse einer zukunftsfähigen Digitalisierung von der nächsten Bundesregierung:

  • Digitalisierung und Entwicklungszusammenarbeit stärker zusammen zu denken und den so genannten Dritten Weg gemeinsam und auf Augenhöhe mit allen demokratischen Entwicklungs- und Schwellenländern zu entwickeln.
  • Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit sich dafür einzusetzen, dass Deutschland und die EU Ressourcen zur Verfügung stellen, damit Entwicklungsländer befähigt werden eine eigenständige öffentliche Dateninfrastruktur auf- und auszubauen, – angefangen von der finanziellen Unterstützung bis hin zum Wissens- und Technologietransfer.
  • Bei den gegenwärtigen WTO-Verhandlungen über ein Abkommen zum digitalen Handel keine Forderungen aufzustellen, die den Handlungsspielraum von Staaten - zum Aufbau einer eigenständigen Digitalwirtschaft - einschränken. Insbesondere darf es Entwicklungsländern nicht verboten werden, die in ihrem Land erhobenen Daten auch dort zu speichern.
  • den Aufbau genossenschaftlich organisierter digitaler Plattformen, damit der digitale Wandel möglichst vielen Menschen Arbeit bietet. Zugleich müssen neue Governance-Strukturen etabliert werden, die diese genossenschaftlichen Plattformen gegenüber Aktiengesellschaften wettbewerbsfähiger werden lassen. Im Rahmen ihrer G7-Präsidentschaft im kommenden Jahr sollte sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass die führenden westlichen Industrienationen das notwendige Kapital zur Verfügung stellen, damit entsprechende staatliche Programme – unterstützt durch globale Kapitalgeber – aufgesetzt werden.

Dieser Text ist ein Beitrag in der Reihe #brotfürdiewahl im Vorfeld der Bundestagswahl 2021. Alle weiteren Beiträge finden Sie hier.

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