Interview

„Die Lageberichte werden seit langem beschönigt“

Silke Pfeiffer leitet bei Brot für die Welt das Referat Menschenrechte und Frieden und gehört zum Koordinierungskreis des Forums Menschenrechte. Von Außenminister Heiko Maas hat das Forum bei einem Treffen nun gefordert: Die Situation in Afghanistan muss zu einem Umdenken führen.

Von Kai Schächtele am
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Silke Pfeiffer, Leiterin des Referats Menschenrechte und Frieden

Frau Pfeiffer, was ist das Forum Menschenrechte?

Dieses Netzwerk von mehr als 50 Nichtregierungsorganisationen in Deutschland setzt sich für Menschenrechtsschutz ein – einige Organisationen mit klarem Fokus auf Deutschland, andere mit Fokus auf unterschiedliche Regionen in der Welt. Wir befinden uns in einem regelmäßigen Dialog mit dem Außenminister. Einmal im Jahr treffen wir uns, um über die Situation der Menschenrechte weltweit zu sprechen. Darüber hinaus gibt es Treffen zu bestimmten Themen. Das jüngste war dem Thema Flucht und Migration gewidmet und aus gegebenem Anlass besonders der Situation in Afghanistan.

Welche Forderungen hatten Sie an den Außenminister?

Viele unserer Mitgliedsorganisationen haben Partner in Afghanistan, die jetzt akut gefährdet sind. Deshalb haben wir gefordert, dass sowohl die Ortskräfte staatlicher als auch nicht-staatlicher Organisationen evakuiert werden. Das gilt aber ebenso für bedrohte Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten, insbesondere auch Frauenrechtlerinnen, die nicht mit deutschen Kooperationen zu tun hatten, aber sich von unseren Werten und unserem Engagement gestärkt gefühlt haben. Wir haben auch den sofortigen Familiennachzug von in Deutschland lebenden Schutzberechtigten gefordert, die seit Jahren auf ihre Angehörigen warten – auch die sind jetzt in großer Gefahr.

Wie hat Heiko Maas reagiert?

Er hat klar gemacht, dass man jetzt tatsächlich versucht, so viele akut gefährdete Menschen wie möglich zu evakuieren. Aber es sei zu diesem Zeitpunkt keine einfache Situation, weil die Taliban nur noch ausländische Kräfte aus dem Land ließen. Für afghanische Staatsangehörige ist es im Moment äußerst schwierig, überhaupt zum Flughafen zu gelangen.

Die Bundesregierung beruft sich darauf, dass bei der Bewertung der Situation in Afghanistan nicht nur ihr, sondern der gesamten internationalen Gemeinschaft eine Fehleinschätzung unterlaufen sei. Wie bewerten Sie diese Aussage?

Die Fehleinschätzung hat es sicher gegeben, was das Tempo angeht, mit dem dieses Land zusammenfällt. Sehr viele Akteure, unter anderem Mitgliedsorganisationen dieses Forums, weisen allerdings seit Jahren auf Beschönigungen in den sogenannten Lageberichten des Auswärtigen Amtes hin. Diese Berichte geben die Sicherheitslage in Afghanistan nicht adäquat wieder.

Können Sie das konkretisieren?

Noch im Mai hat das Auswärtige Amt einen aktualisierten Lagebericht herausgegeben, in dem beispielsweise stand, dass keine Informationen über Gewalttaten an nach Afghanistan Abgeschobenen vorliegen. Gerade einmal vier Wochen später aber haben wir eine Studie vorgelegt, die dokumentiert, dass 90 Prozent aller Abgeschobenen schwere Gewalterfahrungen erlitten haben. Als im Frühjahr der Abzug der Truppen beschlossen wurde, haben viele Organisationen außerdem darauf hingewiesen, wie wichtig es sei, die Ortskräfte zu schützen. Man muss ganz klar sagen: Es wurden keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen. Und jetzt hat man die Lage nicht mehr in der Hand.

Ein Teilnehmer sagte nach dem Treffen: „Wenn tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken und Hilfe unterlassen oder behindert wird, sind Ermahnungen an andere Staaten, Menschenrechte zu achten, wenig glaubwürdig.“ Steht auch Deutschlands Glaubwürdigkeit gerade auf dem Spiel?

Wir haben in Afghanistan sehr viele Anstrengungen unternommen, die staatlichen Akteure sowie Hilfswerke und Nichtregierungsorganisationen, aber auch die Afghaninnen und Afghanen selbst bei der demokratischen Entwicklung ihres Landes zu unterstützen. Unsere Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel, wenn es uns nicht gelingt, jene zu schützen, die diesen Weg mit uns gegangen sind. Das betrifft natürlich nicht nur Afghanistan, sondern beispielsweise unser Verhalten an den europäischen Außengrenzen oder bei der Seenotrettung. Wir können anderen Ländern keine Lektionen in Sachen Menschenrechte erteilen, wenn wir als Europäische Union an unseren Außengrenzen systematisch völkerrechtliche und menschenrechtliche Grundsätze missachten.

Was folgt für Sie aus dem gegenwärtigen Verhalten Deutschlands?

Der Außenminister hat klar gemacht, dass das Verfahren der Lageberichte auf der Basis dieser Erfahrung noch einmal angepasst werden muss. Und wir haben uns dafür stark gemacht, dass bei der Erstellung der Lageberichte die Menschenrechtsbeauftragten samt der dazu gehörigen Infrastruktur der Bundesregierung und die Zivilgesellschaft nicht nur gehört werden – ihre Perspektiven müssen in die Lageberichte auch direkt einfließen.

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